Archiv


"Eichhörnchen auf Ecstasy"

Nun sind wir alle Spezialisten! Endlich! Ausgewiesene Fachleute für Fragen von Papst, Kirche und Vatikan. Noch vor Wochen und Monaten bestand unser gängiger Wortschatz aus sehr rudimentären Bruchstücken, wie "Petersplatz" und "vatikanische Grotten" oder etwa dem Begriff "Konklave"; fast über Nacht tummeln wir uns nun wie die Fische in der Sprachwelt des kleinsten Staates der Welt.

Von Hartmut Kriege |
    Ohne Mühe können wir das Wort "Pon-ti-fi-kat" buchstabieren, geht uns das Wort "Pro-to-De-kan" stotterfrei über die Lippen, und bei dem Wort "Se-dis-va-kanz" versinkt unser Gegenüber in Ehrfurcht und schlackert nur noch mit den Ohren.

    Und das alles - Dank sei den modernen Kommunikationsmitteln! - wegen eines Supergaus, eines bis heute so nicht gekannten medialen Gigantismus, der nicht nur Augen und Ohren stresst, sondern auch noch unser Gehirn besoffen macht; zu normalen Zeiten ist der Wortschatz des Volkes der "Denker und Dichter" bekanntlich mehr in der Welt des Fußballs zuhause.

    Seit Dienstag jedoch hat im Zentral-Nervensystem der aufrecht gehenden Wirbeltiere zwischen Kiel und Konstanz. Kleve und Cottbus der Quantensprung eingesetzt. Da ersetzt das Wort "Generalversammlung" die "Viererkette", wird der "Manndecker" zum "Zeremoniar", der "Übersteiger" zum "Camerlengo", der "Schiri" zum "Dekan".

    Gelobt sei, was aufklärt!

    Waren zum Begräbnis des Papstes "nur" etwa 4000 angereist, stritten sich zum Konklave gut 6000 Journalisten um die besten Plätze mit Blick auf den "Rauchmelder", auf jenen unscheinbaren Schornstein auf dem Dach des Wahllokals der Kardinäle - der "Sixtinischen Kapelle".
    Überall hörte man ein Raunen: "Heiliger Vater"! Obwohl es niemanden mehr gab, den man so hätte anreden können.

    Die Wohnung des Papstes wurde zum "Appartement", sein Haus zum "Apostolischen Palast", seine Kleidung zum "Ornat".

    Mit wichtiger Miene dreinblickend informierten öffentlich-rechtliche wie private Meinungsmacher der verzauberten Nation, welche Bedeutung das Schneider-Atelier "Gamarelli" für die Medientauglichkeit eines Papstes haben kann, mit welch kulinarischen Einfällen die Konklave-Küche den Hunger der Kardinäle zu stillen suchte, und welche Papstmacher welchen Überraschungskandidaten aus dem Zylinder ziehen werden - wie das berühmte Kaninchen: die Oberflächlichkeit der Berichterstattung korrespondierte mit der Dürftigkeit und dem totalen Mangel an kirchen-historischem und kirchen-politischem Wissen.

    Und wenn es nicht mehr weiterging, endete die Kaffeesatzleserei in verlegenem Stottern oder auch - welche Emotionen! - in heißen Tränen! Journalisten wie "Eichhörnchen auf Ecstasy".
    Was soll’s! Der Papst ist tot, es lebe der Papst, und der ist auch noch Deutscher. Und wir waren dabei; wie bei Charles und Camilla;bei Harald Juhnke und Fürst Rainier…
    Und morgen ist wieder Formel 1.