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Eierlegen im Dienste der Wissenschaft

Eine vorsorgliche Impfung von Nutzgeflügel gegen die Vogelgrippe soll in Deutschland vorerst nicht erfolgen. Doch die Entwicklung neuer Impfstoffe wird auf Hochtouren vorangetrieben. Einige Geflügelzüchter liefern spezielle pathogenfreie Eier, die für die Impfstoff-Entwicklung gebraucht werden.

Von Jörn Pietschke |
    "Ich kenne Hühner noch von früher vom Misthaufen, das waren Mistkratzer, die liefen über den Hof, aber das hat sich jetzt total geändert."

    Denn Hans-Dieter Tiedemanns Hühner legen besondere Eier. Der 56-jährige Landwirt produziert in seinem modernen Stall im Kreis Cuxhaven spezifiziert pathogenfreie Eier für die Herstellung von Impfstoffen:

    "Das ist High Tech. Wir haben ja auch noch einen Milchviehbetrieb. Aber hier ist vielmehr Technik, die muss gesteuert und bewacht werden."

    Und deshalb dringt kein Hahnenschrei nach draußen, obwohl drinnen 3500 Tiere in den Käfigen hocken. Hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt legen sie sozusagen Eier im Dienste der Wissenschaft, selbst das Futter kommt computergesteuert und automatisch in die Stallgasse:

    "Das Futter wird über sechs Minuten mindestens auf 85 Grad erhitzt und dann wieder heruntergekühlt mit gefilterter Luft wie hier im Stall auch. Das hat OP-Qualität. Das wird im geschlossenen System hier angeliefert, um sicherzustellen, dass keine Keime eingetragen werden."

    Dr. Gerhard Seemann von der Firma Lohmann-Tierzucht in Cuxhaven. Das niedersächsische Unternehmen produziert nach eigenen Angaben mehr als die Hälfte der weltweit in Impfstoffwerken, Labors und Forschungseinrichtungen benötigten Spezialeier. Ein Dutzend Ställe wie diesen unterhält die Cuxhavener Firma bundesweit. Lohmann ist alleiniger Abnehmer der 1,5 Millionen Eier, die jedes Jahr im Stall von Bauer Tiedemann produziert werden.

    Durch eine Wasserschleuse rollt die Tagesproduktion an, kullert über ein Förderband auf den Sortiertisch. Drinnen im Stall knipst der Computer Neonröhren an. Das einzige Licht, dass die Hühner in den 63 Wochen ihres Lebens sehen. Kein einziges Tier verlässt die vier Wände der Spezialfarm. In diesem Stall sind sie geboren und hier werden sie geschlachtet - nachdem sie zuvor noch Eier mit den eigenen Nachfolgern gelegt haben, die in der stalleigenen Brutmaschine ausgebrütet werden. Ein geschlossener Produktionskreislauf, der nur ein Ziel kennt: die absolut keimfreie Eierproduktion für medizinische Zwecke. Denn nur diese Eier können bei der Impfstoffproduktion eingesetzt werden, erläutert Dr. Seemann:

    "Ja, die Eier werden ja nicht zum Frühstück gegessen, sondern die werden zur Impfstoffproduktion überwiegend verwendet und es geht mit anderen Eier nicht, weil – wenn ich einen Impfstoff herstellen will – nur dieser entsprechende Impfvirus wachsen soll im Ei und nicht irgendwelche anderen Viren, die schon drin sind mitverimpft werden nachher, sonst erreiche ich genau das Gegenteil, dass ich mit einer Impfung nicht Schutz bringe, sondern die Bestände infiziere."

    Dabei müssen die Eier für die Produktion von Geflügelimpfstoffen noch reiner sein, als die zur Herstellung von Grippeimpfstoffen für Menschen. Doch die Sauberkeit hat ihren Preis: Das 10 bis 30-Fache eines gewöhnlichen Frühstückseis bringen Hans-Dieter Tiedemanns "goldenen Eier". Aber dafür ist der Aufwand auch ungleich größer als in normalen Legebatterien - und in Zeiten, in denen draußen die Vogelgrippe grassiert, nimmt Tiedemann die Hygienevorschriften noch genauer als sonst. Keine Besichtigung mehr, kein fremder Besucher. Bauer Tiedemann macht die Schotten dicht.