Mittwoch, 08. Mai 2024

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Eifel-Liebe

Die Leute wollten diesen Siggi Baumeister und Rodenstock, Emma, die Freundin des Baumeister. Und mir war überhaupt nicht klar, was ich da eigentlich angerichtet habe. Das ist dieses merkwürdige Phänomen der Serie, das die klinische Psychologie übrigens ganz intelligent beschreibt: als den Wiedererkennungswert, die Identifikationsmöglichkeiten einer kleinen, überschaubaren Welt. Das habe ich völlig unterschätzt.

Christoph Vratz | 07.04.2003
    Als Michael Freute kennen ihn nur noch wenige. Unter diesem, seinem wirklichen Namen, ist er seinem journalistischem Handwerk nachgegangen, hat im Auftrag von Spiegel und Stern die Welt bereist und Reportagen angefertigt. Inzwischen kennen ihn viele nur noch als Jacques Berndorf, als den Verfasser der sogenannten "Eifel"-Krimis.

    Soeben ist der elfte Band in der Reihe um den ermittelnden Siggi Baumeister erschienen: Eifel-Liebe heißt er. Im Mittelpunkt steht zunächst Oma Ohler, die verzweifelt ist über die gescheiterte Ehe ihrer Enkelin Anna, deren Ex-Mann an dieser Situation zu zermürben droht. Daher bittet sie Baumeister, der Sache einmal nachzugehen. Doch der hat, von Beruf Journalist, andere Aufgaben, als sich in diese scheinbar alltägliche Privatangelegenheit einzumischen. Erst als wenig später die erste Leiche auftaucht, die mit Anna und ihrer dubiosen Clique in Zusammenhang steht, begibt sich Baumeister auf die Pirsch nach dem Täter. Doch es bleibt nicht nur bei einem Mord, der Fall wird kompliziert.

    Im unvermittelt anhaltenden Boom mit Regional-Krimis -also jenen Kriminalromanen, die ausschließlich in einer bestimmten Gegend oder nur in einer Stadt spielen - nimmt Freute alias Berndorf eine unangefochtene Sonderstellung ein. Niemand sonst hat so viele Bücher verkauft, niemand sonst hat diese Gattung so beeinflusst wie er. Nach Reclams neuestem Krimi-Lexikon gilt er sogar als der eigentliche "Auslöser" des Regionalkrimi-Fiebers. Während die Durchschnittsauflage eines Taschenbuchs bei rund 3000 Exemplaren liegt, war bereits vor der Veröffentlichung von "Eifel-Liebe" eine Flut von 75.000 Bestellungen über den Buchmarkt hereingebrochen. Bereits vierzehn Tage nach Erscheinen waren mehr als 130.000 Exemplare verkauft. Die Gesamtauflage seiner Eifel-Krimis bewegt sich längst im Millionen-Bereich. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

    Es ist einfach so: Ddie Eifel ist paradigmatisch, denn wenn ich Lesungen mache - und ich mache ja Lesungen in der Opferpfalz, im Westerwald, im Gebiet Bodensee, Berlin - dann merke ich, dass etwas wirklich ein Paradigma ist: Das ist die kleine überschaubare Welt, in die das Verbrechen einbricht. <53>: Es kann überall sein, und Sie können diese Dinger einfach transponieren. Sicherlich sind geschichtliche Einzelheiten hier anders gelagert als die in der Oberpfalz, aber im Prinzip ist es dasselbe. Es sind relativ abgeschlossene Kulturräume, Jahrhunderte lang gewesen, die sich jetzt öffnen, und bei der Öffnung zeigen sich ganz spezifische Probleme und Schwierigkeiten.

    Wenn Freute diese Probleme in fiktionalen Geschichten verarbeitet, bewegt er sich in einer Grauzone zwischen literarischem Eigenwert und leicht bekömmlicher Unterhaltungskost. Er selbst denkt jedoch nicht in solchen Kategorien:

    Es ist einfach so, dass ich an Literatur wirklich nicht denke. Ich erzähle gerne Geschichten.

    Dabei spielt auch der spezifisch regionale Faktor nicht die entscheidende Rolle:

    Du kannst soviel Regionalität reinpacken, wie Du magst. Wenn der Krimi- Plot, wenn er schlecht ist oder Mängel hat, es nutzt alles nichts.

    Vielmehr geht es Freute in erster Linie darum,

    dass ich eigentlich ganz bewusst bei der Schilderung heutiger Gesellschaft das Gefühl erzeugen möchte in Leserinnen und Leser, das könnte so passiert sein.

    Gerade diese Nähe zur Authentizität, die Arno Holz für seine Naturalismus-Definition auf die Formel "Realität minus X" brachte, ist eines der entscheidenden Kriterien für seinen Erfolg. Hinzu kommt eine kühle, ironische Distanz, die - wie Freute zugibt - die Leute mögen; andererseits dienen ihm seine Figuren dazu, den Menschen ihren Spiegel vorzuhalten:

    Die meisten Menschen sind heutzutage völlig unfähig zu sprechen. Wenn sie aber die Chance bekommen, mal zu sprechen, dann tun sie das in überreichem Maße. Der Grund ist ganz einfach: Sie tun es sonst in ihrem Leben nicht. Das ist auch meine Realität hier: die Realität eines altbackenen Ehepaars, die einfach nicht miteinander über ganz einfache Dinge reden und sich infolge dessen das Leben versauen.

    Der Sitz im Leben und gleichzeitig eine Mischung aus Moralisieren und Idealisieren sind Gründe, warum sich Berndorf von vielen seiner Kollegen abhebt. Modische Erscheinungen wie "Shopping" fallen bei ihm auf unfruchtbaren Boden. Solche Themen haben in seinen Romanen keinen Platz. Gleichzeitig verkörpert seine Hauptfigur Siggi Baumeister eine Art Berufsethos, die in unserem Alltag mittlerweile fremd geworden zu sein scheint:

    Aber ich jage, und das darf man nicht vergessen, einem Traum nach. Dieser Traum besteht darin, dass ich den Siggi Baumeister Recherchen zur Langzeit machen lasse, weil im Grunde diese Form von Journalismus tot ist.

    Diese Idealvorstellung legt er jedoch zugrunde, wenn er seine Krimis vorbereitet:

    Die Recherche ist weitgehend Handwerk. Bei der Recherclie bild ich mir immer ein, Aust oder Augstein oder wer auch immer, Nannen, hätten mir den Auftrag gegeben, ein ganz bestimmtes Bild zu malen. Und zwar einer ganz bestimmten Gruppe, ohne irgendwelche Vorurteile zunächst einmal. Ich mach ja immer sogenannte Lebensfelder. Also: Jagd oder Nürburgring oder - weiß der Geier. Und da ist es ganz einfach, dass ich zunächst einmal das Feld beackere. Ich will ja wissen, was da los ist. Und erst dann kommt so ganz langsam die Möglichkeit, eine Leiche zu platzieren, d.h. also ein mögliches Verbrechen zu denken.

    Erst nach diesen Vorarbeiten, die im Durchschnitt drei Monate Zeit in Anspruch nehmen, beginnt die eigentliche Schreibarbeit. Wie die aussieht?

    Seht schnell. Per PC, und mit unregelmäßigen Pausen, drei Stunden, mal vier Stunden Schlaf, sechs Stunden Schlaf, nicht rasieren, muffig sein. Also ich mach so ein Manuskript wie "Eifel-Liebe", das vielleicht so 400 Seiten hat, in einem Monat.

    Preutes Leser rekrutieren sich auch aus allen Alters- und Berufsgruppen. Gleichwohl sind es vornehmlich weibliche Leser, die ihrem Autor huldigen. Sie kommen nach Lesungen auf ihn zu und wollen mit ihm reden, als sei Berndorf gleich Baumeister.

    Preutes Popularität nimmt inzwischen ähnlich abstruse Züge an wie die des Engländers Peter Mayie, der Ende der 80er Jahre von London in die Provence gezogen war, die Skurrilitäten der Franzosen entlarvte und literarisch verarbeitete, sich aber in den Folgejahren vor seinem eigenen Haus penetranten Touristen ausgesetzt sah, dass er die Flucht ergreifen musste. Auch Freute hat dieses Phänomen kennen gelernt, mitten in der beschaulichen Eifel, in einem Dorf, das ohne ihn wahrscheinlich wohl nie Berühmtheit erlangt hätte.

    Also die Leute, die hier einfach anhalten und schellen, das ist beinahe jeden Tag. Die Leute, die hier die Dorfstraße runterkommen und allein aus dem offenen Auto filmen, das ist dauernd; das ist so grotesk. Es gibt sogar Leute, die parken hier vor dem Haus und gehen in den Garten, ohne zu scheuen oder zu fragen, und dann stehen die da unten am Teich.