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"Eigendynamik dieser Entwicklung zeigen"

Das Deutsche Historische Museum in Berlin präsentiert eine Ausstellung unter dem Titel "1990 – Der Weg zur Einheit". Für den Kurator der Ausstellung, Jan Werquet, war es wichtig, die verschiedenen Handlungsebenen darzustellen, die diesen Einigungsprozess ausmachten.

Jan Werquet im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Am 3. Oktober ist schließlich der 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. Das Deutsche Historische Museum in Berlin präsentiert daher nun eine neue Ausstellung unter dem Titel "1990 – Der Weg zur Einheit". Dabei können die Besucher Bilder, Videos und Objekte aus der Wendezeit sehen und anhand von Schautafeln die Ereignisse vom Sommer 1989 bis Ende 1990 nachvollziehen. Frage an den Kurator der Ausstellung Jan Werquet: Herr Werquet, vergangenes Jahr wurde 20 Jahre Mauerfall gefeiert, was zeigen Sie denn in der Ausstellung, was man nicht schon 2009 gesehen hat?

    Jan Werquet: Es ist so, dass diese Ausstellung "1990 – Der Weg zur Einheit" eine Fortsetzung zu einer Ausstellung darstellt, die letztes Jahr im Deutschen Historischen Museum gezeigt wurde zum Jahr 1989. Neu sind Exponate, die so noch nicht in der Öffentlichkeit zu sehen waren, originale Objekte, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Prozess der Wiedervereinigung 1990 stehen – darunter an erster Stelle zu nennen der originale "Runde Tisch", an dem die Berliner Runde der Zwei-plus-Vier-Verhandlung stattfand, Originalmanuskriptseiten der Zehn-Punkte-Rede Helmut Kohls, aber auch Waffen, beispielsweise von Betriebskampfgruppen, die noch im Januar 1990 von der Belegschaft der Magnetbänderfabrik Dessau unbrauchbar gemacht wurden.

    Das Besondere, denke ich, an der Ausstellung ist über solche Originalobjekte hinaus ein Versuch, die verschiedenen Handlungsebenen, die diesen Einigungsprozess ausmachen, und auch die Eigendynamik dieser Entwicklung darzustellen.

    Schäfer-Noske: Was sagt denn die Ausstellung aus über den Weg vom Fall der Mauer bis hin zur Wiedervereinigung?

    Werquet: Er zeigt im Grunde die Interaktionen zwischen einer großen Dynamik, die von der breiten Bevölkerung vor allen Dingen in Ostdeutschland ausging – hier sind die Stichworte zu nennen: massenhafte Ausreise in die Bundesrepublik, der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft, eben auch als wesentlicher Aspekt dieser Eigendynamik –, und auf der anderen Seite die Initiativen, die von verschiedenen Politikern in dieser Zeit ergriffen wurden, um diesen Prozess zu steuern: Da ist zum Beispiel eben zu nennen die sehr frühe Initiative Helmut Kohls im Rahmen seines Zehn-Punkte-Plans, aber auch andere Konzepte, die in dieser Zeit vorgetragen wurden, die noch auf eine stärkere Eigenständigkeit der DDR zielten, beispielsweise der Aufruf "Für unser Land", der von Stefan Heym an just demselben Tag vorgetragen wurde, an dem Kohl seinen Zehn-Punkte-Plan vorstellte. Und wir versuchen in der Ausstellung zu zeigen, welche Alternativen es gegeben hätte, aber auch, zu zeigen, warum sich dieser Weg, wie er denn dann beschritten wurde mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, dann realisiert wurde.

    Schäfer-Noske: Herr Werquet, wie ist denn diese Ausstellung aufgebaut?

    Werquet: Wir haben in der Ausstellung das so gelöst, dass wir im Zentrum diese außenpolitische Entwicklung an diesem Zwei-plus-Vier-Tisch, an diesem Verhandlungstisch darstellen. Um diesen Tisch herum sind zwölf Stationen gruppiert, die die entscheidenden politischen Schritte auf dem Weg zur Einheit zeigen, und an den Außenwänden des Saales verläuft ein Fries von Fotografien, die die Stimmung im Land in der DDR in dieser Zeit einfangen.

    Schäfer-Noske: Das heißt, es geht um die Stimmung der Westdeutschen, aber auch der Ostdeutschen, die diese Ereignisse begleitet haben?

    Werquet: Es ist so, dass wir versucht haben, die Stimmung in Ostdeutschland durch Fotografien einzufangen, die Massendemonstrationen zeigen – sowohl im Herbst 1989 als auch im April, als zum Beispiel die Frage der Währungsunion diskutiert wurde, der Umtauschsatz, Ausschnitte aus Medienberichten, in denen die Menschen aus der DDR zu Wort kommen, indem sie ihre Erwartungen, ihre Befürchtungen schildern. Die westdeutsche Perspektive haben wir punktuell eingestreut. Wir haben hier Nachrichtenmagazine, "Spiegel", "Stern", die zeigen, wie man diese Sache aus der westlichen Perspektive betrachtet hat, diesen Prozess.

    Schäfer-Noske: Gibt es da Reaktionen, die Sie überrascht haben?

    Werquet: Ja, es ist zum Beispiel bemerkenswert, dass noch im Frühjahr 1990 ein Großteil der westdeutschen Bevölkerung die Wiedervereinigung nicht unbedingt als erste Priorität betrachtet hat. Es gibt Emnid-Umfragen aus dieser Zeit, die zeigen, dass beispielsweise Themen wie der Umweltschutz, die Haltung von Arbeitsplätzen in Westdeutschland bei den größten Teilen der westdeutschen Bevölkerung damals höhere Priorität hatte. Und man sieht eben, wenn man sich diese einzelnen Stationen anschaut, wie das deutschlandpolitische Thema im Laufe des Jahres immer mehr sich in den Vordergrund schob und dann auch von der Bundesregierung in Bonn und Helmut Kohl auch gezielt aufgegriffen wurde – dass es eben keine Einheitseuphorie gab, die durchgehend das Ganze Jahr 1990 begleitet hätte, sondern es gab eben Konjunkturen, es gab Entwicklungen, die sich verstärkt haben. Und es fällt eben auf, dass beispielsweise noch im September ein gutes Drittel der westdeutschen Bevölkerung einer Wiedervereinigung durchaus skeptisch noch gegenüberstand.