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Eigenes Ich und Alter Ego

Wenn man in St.Gallen ankommt und sich nach dem Weg zum Museum erkundigt, dann kann es passieren, dass man folgende Antwort bekommt: "Ich halte nichts von Kultur - fragen Sie meine Frau". So sprach ein etwa 50-Jähriger, wahrscheinlich unbescholtener Schweizer Bürger, und es ist klar, dass man für solche Menschen endlich einmal Andy Warhol zeigen muss, oder wenigstens für die Gattin.

Von Christian Gampert |
    Wenn einem gar nichts mehr einfällt, macht man eine Warhol-Ausstellung, so die Faustregel für Kuratoren in den Metropolen. Auf Warhol können sich alle einigen, der ist so lieb - und der war so innovativ, und so bunt! Besser als Warhol ist nur Picasso - in der Zuschauerbilanz.

    In der Provinz ist es noch mal anders; es möchte durchaus verdienstvoll sein, hier dem Publikum ein paar Warhol-Selbstportraits, Siebdrucke, Malerei, Fotos, Zeichnungen, alles bearbeitet und ineinanderlappend, um Augen und Ohren zu schlagen - während anderswo Ausstellungsmacher Warhols alte Kisten auspacken und den pathologischen Sammeltrieb des Meisters ewigkeitstauglich inszenieren, wird in St.Gallen noch Aufklärungsarbeit geleistet.

    Das Kunstmuseum ist in St.Gallen mit dem Naturkundemuseum im selben Haus untergebracht: man kann Andy Warhol in die Augen blicken und im nächsten Augenblick etwas über den Süßwasserpolypen erfahren - eine surreale Mischung ganz eigener Qualität, man muss nur das Stockwerk wechseln. Andererseits ist aber der sehr ernsthafte Versuch dieses Museums zu würdigen, die Warhol-Show durch eine historische Parallelausstellung abzufedern, "Von Angesicht zu Angesicht - das Antlitz des Menschen in der Kunst". Während man oben von hippen Videos über den großen Selbstinszenator Andy Warhol empfangen wird, Warhol in der Maske, beim Wimpernankleben, beim Telefonieren, sieht man unten wackere Portraits von Friedrich August von Kaulbach und Franz von Lenbach oder, als Gips- und Bronze-Büsten, Nietzsche, Jacob Burckhardt und Gerhard Hauptmann.

    Ja, das Antlitz des Menschen in der Kunst hat sich wahrlich geändert, und zu konstatieren ist, dass Andy Warhol dabei keine besonders gute Figur macht. Denn obwohl seine Ausstellung wunderbar gehängt ist und die weiten Räume sehr großzügig bespielt sind, wird doch deutlich, dass Warhol eine Modeerscheinung war, ein Neuerer in einem eng umrissenen Zeitraum, eine posenhafte Kunst, die das Prinzip der Wiederholung reichlich überstrapaziert.

    Natürlich, der Mann hat seine Verdienste, und wenn man die großen Self-Portrait-Siebdrucke von 1967 betrachtet, in Farbvarianten von Blau-Gelb bis Rot-Grün, Rot-Blau und Blau-Lila durchgespielt, mag man es schön finden, wie auch eine solche Serie in einem großen Saal eine Aura entfaltet. Da passiert also etwas, was gar nicht geht: Serie und Aura. Aber die Bilder stammen aus dem Höhepunkt der Bewegung, als Pop-Art noch fast so revolutionär war wie Angela Davis.

    Auch die vielfach bearbeiteten, depressiven "Shadows" von 1981 zeigen Warhols handwerkliches Geschick, und die in Portrait-Tapeten gehängten Graphit-Skizzen beweisen, dass Warhol ein exzellenter Zeichner war.

    Aber sobald die Warhols in Konkurrenz treten zu anderem, wirken sie seltsam fad: neben den grellen Kunstharz- und Siebdruckfarben stehen da in St.Gallen zum Beispiel zwei riesige, rostige, schuppig geriefelte Stahlwände von Richard Serra im Winkel - und da merkt man auf einmal, was Kraft ist.

    Auf einem langen Wandbild, "Big Retrospektive Painting", spielt Warhol fast alle seine Themen durch: Kitschblume, Cornflakes, ein Negativ der Monroe, Autounfall, Campbell Tomato Soup, Mao Tse-Tung, elektrischer Stuhl, Selbstportrait. Immer ist er am Puls der Zeit - nach dem Kennedy-Mord haben seine Selbstbilder die Ästhetik von Fahndungsfotos, in der Haschisch-Ära betreibt er psychedelische Camouflage. In den beigefügten Video-Dokumentationen wird dann aber erschreckend klar, dass Andy Warhol eine Modepuppe war, die ihr Gesicht nach Belieben verwandelte, weil sie vielleicht gar keins hatte: das Gesicht eines Mannequins.

    Trost findet man in der historischen Parallelausstellung über das Antlitz des Menschen: dort kann man, in einer Installation von Erwin Wurm, sich selbst fotografieren - mit detaillierten Anweisungen: "Luft anhalten und an Spinoza denken". Oder auch: "Nehmen Sie ein Gummiband zwischen die Zähne und singen Sie die Schweizer Nationalhymne". Das tun wir gerne. Und dabei beschleicht uns der Verdacht, dass Andy Warhols Selbstportraits in ähnlichen Situationen entstanden sein könnten.