Martin Steinhage: Frau Ministerin, auch politisch sehr interessierte Hörerinnen und Hörer haben möglicherweise nach all dem Hin und Her der letzten Wochen und Monate inzwischen ein bisschen den Überblick verloren, was denn nun eigentlich der Zweck und der Sinn der ganzen Gesundheitsreform sein soll. Können Sie vielleicht in kurzen Worten noch einmal sagen, was mit dieser Reform eigentlich beabsichtigt ist?
Ulla Schmidt: Ja, mit der Reform ist beabsichtigt, dass wir auch unter schwierigen ökonomischen Bedingungen, aber auch unter einem veränderten Altersaufbau der Gesellschaft in Zukunft das retten und sichern können, was für Menschen meiner Generation ganz selbstverständlich ist: Dass wir den Menschen zusichern, dass sie Hilfe bekommen, wenn sie krank sind, und zwar alles das, was medizinisch notwendig ist auf der Höhe des medizinischen Fortschritts, unabhängig davon, wie viel Geld sie im Portemonnaie haben. Das ist im Grunde genommen der Kern der Reform. Deshalb müssen wir uns damit befassen, genau hinzuschauen, wie kann jeder Euro, der ins System fließt, optimal eingesetzt werden, effizient auch zum Wohle der Patienten und Patientinnen, und welche Reformen müssen dafür auf den Weg gebracht werden.
Steinhage: Und wird diese Reform nach Ihrer Auffassung diesem Anspruch, den Sie eben formuliert haben, gerecht?
Schmidt: Ja, sie macht große Schritte in diese Richtung. Gesundheitspolitik ist eine Daueraufgabe. Der medizinische Fortschritt entwickelt sich sehr dynamisch, und auch viele Veränderungen in den Erwerbsbiografien, auch die Beitragsgrundlagen, verändern sich oft. Und deswegen wird es immer auch Reformen geben müssen. Aber diese Reform hier setzt mehr als alle Reformen in den 20 Jahren vorher daran an, dass wirklich Strukturen geändert werden. Es ist die erste Reform, die sagt, wir wollen nicht die Zuzahlungen für Patienten und Patientinnen erhöhen, wir wollen kranken Menschen keine Leistungen kürzen, sondern im Gegenteil da, wo es notwendig ist, Leistungen ausweiten. Aber wer das will, der muss sich eben mit allen anderen auch beschäftigen, die in diesem Gesundheitswesen auch tätig sind. Und deshalb verändern wir viel bei den Kassen, bei den Verbänden; bei der Frage, wie ist eigentlich das selbstverwaltete System aufgebaut, wie können die Finanzströme transparenter fließen und wie kann eigentlich der Patient oder auch der Versicherte mehr Einblick in das Geschehen erhalten, und auch mehr Möglichkeiten, für sich selber passgenaue Tarife bei den Kassen zu erhalten. Das ist ein schwieriges Werk, aber darauf geben wir Antwort.
Steinhage: Nun hagelt es ja jede Menge Kritik, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Es mag ja normal sein, dass die Lobbygruppen gegen vieles sind, dass die Opposition Widerstand angemeldet hat und Protest. Aber, Frau Ministerin, auch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die meisten Wissenschaftler, die meisten Wirtschaftsexperten, selbst die Regierungsfraktion - Union wie auch Ihre SPD - sind nun nicht wirklich glücklich mit dieser Reform. Haben Sie da nur ein Vermittlungsproblem, oder ist die Reform gar nicht so toll, wie Sie es darstellen?
Schmidt: Warum sind die Arbeitgeber nicht einverstanden? Die Arbeitgeber möchten, dass die Arbeitgeber sich nicht mehr an der Finanzierung des Gesundheitswesens beteiligen. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen, dass sie in der Verantwortung bleiben und dass sie auch Mitverantwortung übernehmen für ein bezahlbares Gesundheitswesen, zum Beispiel indem sie prozentual und auch in der Parität mit beteiligt sind. Aber auch indem sie die betriebliche Prävention stärken, damit Menschen, die ja im Betrieb auch einen Hauptteil ihres Lebens verbringen, dort auch gute Gesundheitsangebote haben. - Was ist bei den anderen, die da beteiligt sind? Die Apotheker möchten nicht, dass Einsparungen gemacht werden, dass sie, wenn es Rabattverträge der Kasse mit Pharmaunternehmen gibt, dass sie auch davon das so einsetzen müssen und auch so Medikamente vergeben müssen, dass es letztendlich bei den Versicherten ankommt, nämlich in Beitragssatzentlastung. Die Pharmazeutische Industrie möchte keine Regelung: Die möchte Medikamente auf den Markt bringen, und zwar zu Preisen, wie sie es gerne hätten. Krankenhäuser sind nicht glücklich, weil wir sagen, bei einem Bereich, der praktisch ein Drittel aller Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung ausmacht - etwa 50 Milliarden -, muss man doch auch ein Prozent einsparen können. Die Krankenkassen sind in vorderster Front - nicht mal die Kassen als solche, sondern die Kassenverbände -, weil wir sagen, wir brauchen keine sieben Vorstände und sieben Verbände, einer tut's auch. Und deshalb wird massiver Protest organisiert. Und wenn man das einmal wegnimmt, dann wundert es auch nicht, dass bei dieser ganzen Debatte eigentlich das verloren geht, was in der Reform steckt. Wir weiten notwendige Leistungen aus. Menschen, die schwer krank sind, die todkrank sind, erhalten Hilfe in Zukunft: Dass sie auch, was viele möchten, zu Hause behandelt werden, zu Hause auch sterben können, wenn sie das möchten. Wir wollen, dass ältere Menschen, auch wenn sie pflegebedürftig sind, einen vollen Rechtsanspruch darauf haben, so gut wie möglich rehabilitiert zu werden, damit so viel Selbständigkeit wie möglich bleibt. Wir sagen, es ist falsch, dass die Kassen in den letzten Jahren bei den Vater-Mutter-Kind-Kuren gespart haben. Das sind ganz wichtige Vorbeugemaßnahmen, und deshalb machen wir das zur Pflicht. Wir wollen, dass Kassen Impfungen, die empfohlen werden, bezahlen. Wir wollen, dass behinderte Menschen Krankenhilfe auch erhalten können, wenn sie in Heimen der Lebenshilfe sind. Das ist deren Zuhause. Und so könnte ich eine Palette zeigen, die wir verändern. Und wir sagen, wir wollen für schwerkranke Menschen und Menschen, die selten Erkrankungen haben, dass Krankenhäuser geöffnet werden. Darüber zu diskutieren und die Kassen auch dahin zu bringen: "Leute, reicht das, ist das gut, was hier an Vorschlägen ist, wie könnte man es besser machen" - das wäre eigentlich die Diskussion, die wir führen müssten, wenn alles zuträfe. Alle sagen, es geht um die Patienten. Bei keinem geht es um die Patienten, es geht nur um eigene Interessen. Denn wenn es um die Patienten, um die kranken Menschen ginge, würden wir über diese Inhalte diskutieren, die wir mit dieser Reform auf den Weg bringen.
Steinhage: Frau Schmidt, Sie haben jetzt mit Ihrer Antwort schon meine folgende Frage vorweg genommen, nämlich die Frage nach den Strukturreformen, die Frage, was es den Patienten bringt. Dieses ist ja in letzter Zeit in der Diskussion gelegentlich auch etwas zu kurz gekommen ...
Schmidt: Ja, leider.
Steinhage: ... die Kritikpunkte, die Experten und auch die Regierungsparteien anbringen, da werden wir sicherlich im Laufe dieses Gespräches noch einmal drauf zurück kommen. Das kann ich Ihnen nicht ersparen. - Eine andere Frage noch einmal, vielleicht eine Klarstellung, von Ihrer Seite: In dieser Woche gab es viel Aufregung um eine Regelung im Referendenentwurf, wonach chronisch Kranke nur dann wie bisher maximal ein statt zwei Prozent ihres Einkommens an Zuzahlungen leisten müssen, wenn sie künftig regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben und sich - Zitat - "therapiegerecht" verhalten. Hier macht ja das böse Wort die Runde, Krebspatienten drohe geradezu eine Bestrafung. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?
Schmidt: Es geht nicht um Bestrafung. Bestrafung würde völlig dem widersprechen, was wir eigentlich wollen, sondern - worum geht es? In einer Gesellschaft, in der jedes zweite heute geborene Mädchen doch das nächste Jahrhundert erreicht, in der wir selber merken, zum ersten Mal sehr bewusst, dass man etwas tun muss, damit man möglichst fit alt wird, und in der auch in einer Gesundheitspolitik der Gesundheitsvorsorge, der Prävention, eine eigenständige Säule eingeräumt werden muss, damit auch möglichst alles, was vermeidbar ist an Krankheiten, auch verhindert wird, da müssen wir uns Maßnahmen überlegen, wie denn der Vorsorgegedanke gestärkt werden kann. Und Sie wissen, dass es zwei Prozent Zuzahlungen gibt. Wir machen Ausnahmen für Menschen, die chronisch krank sind. Und wir sagen im Prinzip, viele Menschen sagen das: "Ich tue etwas für mich, warum eigentlich habe ich davon keinen Vorteil?" Und was wir jetzt wollen, ist, zu sagen: Wo gibt es denn wirklich sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen, zum Beispiel zur Erkennung eines Bluthochdrucks, zum frühzeitigen Erkennen eines Diabetes. Sie wissen, dass in unserem Land wahrscheinlich doppelt so viele Menschen an Diabetes erkrankt sind, als derzeit aktuell behandelt werden. Und wenn es dann erkannt wird, sind meistens die Schäden schon so weit, dass eben eine Krankheit sehr viel schwerer ist, als wenn sie frühzeitig erkannt ist. Und da wollen wir für junge Menschen, und das beginnt bei den zwanzigjährigen und dreißigjährigen, sagen: Wir erwarten von euch, dass ihr in Zukunft das, was von den Ärzten über den gemeinsamen Bundesausschuss als notwendige Vorsorgeuntersuchung auch ausgewiesen wird, dass ihr diese Vorsorgeuntersuchung alle zwei Jahre oder alle drei Jahre, wie es festgelegt wird, auch wahrnehmt und dass ihr dazu auch ein Checkheft führt. Und dann habt ihr auch später den Anspruch darauf, auf ein Prozent die Zuzahlungen reduziert zu bekommen. Kein Mensch, der an Krebs erkrankt ist, kein Mensch, der früh krebserkrankt ist oder andere sind davon betroffen. Sondern es geht um ganz spezielle Untersuchungen, von denen man sagt, die Früherkennung hilft da. Und sie hilft auch Menschenleben retten. Sie hilft Menschen, dass eine Krankheit in einem Stadium entdeckt wird, wo sie auch gut behandelbar ist. Und es ist ein wichtiger Bestandteil. Jeder ist zunächst mal für sich und seine Gesundheit auch verantwortlich. Und Solidarität setzt auch voraus, dass jeder das, was er tun kann, auch dafür tut, sonst werden wir in einigen Jahren auch große Probleme haben, ein Gesundheitswesen zu finanzieren. Es sind also zwei Dinge: Finanzierbarkeit sicherstellen, aber auch dem Einzelnen ein Stück gesundheitsbewusstes Verhalten mit zu empfehlen und nach vorne zu bringen. Und das kann nur von Nutzen sein für die gesamte Gesellschaft.
Steinhage: Ein anders Dauerthema in den letzten Wochen ist der ominöse Zusatzbeitrag, den die Krankenkassen erheben können, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfond, der 2009 kommen soll, nicht auskommen. Der Vorwurf lautet, und das ist ja prima vista auch einleuchtend, dass Bezieher kleiner Einkommen hier relativ stärker belastet werden. Dieser Vorwurf kommt ja auch gerade aus den Reihen Ihrer Partei. Was sagen Sie den Genossinnen und Genossen?
Schmidt: Also erstens, in dem Gesetz steht nicht, dass es regelmäßige Aufgabe einer Kasse ist, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Sondern unser Ziel ist, dadurch, dass wir sagen, wir wollen das Geld, das heute ins Gesundheitssystem fließt, und zwar ins gesetzliche Krankenversicherungssystem fließt, wollen wir gerechter verteilen, so dass Kassen, die viele kränkere Menschen haben, behinderte Menschen haben, Menschen mit niedrigem Einkommen, ausreichend Geld haben, eine gute Gesundheitsversorgung anzubieten. Und dass die, die viele gesunde und junge Mitglieder haben, auch ein Stück von ihrem Geld abgeben müssen an die anderen, damit überall die Aufgaben wahrgenommen werden können. Das Zweite ist: Da gibt es Kassen, die gut wirtschaften, die auch dafür sorgen, dass sie gute Versorgungsangebote haben, die in Prävention investieren, die dafür sorgen, dass sie Rabattverträge mit Unternehmen schließen, damit Arzneimittel günstiger sind, die Tarife anbieten für ihre Versicherten, die kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten belobigen. Und da werden Kassen sein, die kommen mit dem Geld dann gut hin. Es gibt Kassen, die können ihren Versicherten Geld zurückzahlen, und es wird Kassen geben, die vielleicht auch sagen, bei uns muss man einen Zusatzbeitrag zahlen. Erstmals, anders als bisher, werden die Versicherten Ende des Jahres, also so im November, erfahren: Meine Kasse fordert nächstes Jahr einen Zusatzbeitrag, bei meiner Kasse passiert gar nichts, und die Kasse meines Nachbars gibt vielleicht zehn Euro im Monat zurück ...
Steinhage: ... das heißt, man bekommt eine Liste an die Hand, auf der steht, wer wie viel . . .
Schmidt: ... das muss veröffentlicht werden. Und jedes Mal, wenn eine Kasse einen Zusatzbeitrag erheben würde, muss sie ihre Versicherten darauf hinweisen, dass sie umfassende Wechselrechte haben, dass es Kassen gibt, die keine Zusatzbeiträge erheben und andere, die Beiträge zurück geben. Und dann kann der Versicherte erst mal wählen. Wir wissen aber auch, dass es ältere Menschen gibt, oder Kranke, die möchten das nicht. Wenn die Kasse gut ist, sagen auch manche, ich zahle fünf Euro im Monat mehr, denn ich habe ein gutes Versorgungsangebot. Wir haben als SPD darauf gedrungen, dass dieser Zusatzbeitrag wirklich nur ein Ausdruck dafür ist, ob eine Kasse gut wirtschaftet oder nicht, und nicht zukünftig die Finanzierung über den Zusatzbeitrag läuft. Deshalb haben wir gesagt, es darf nie mehr sein als ein Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens.
Steinhage: Aber bis acht Euro keine Einkommensprüfung?
Schmidt: Bis acht Euro braucht die Kasse keine Einkommensprüfung zu machen. Sie hat aber erstens die Möglichkeit, einen prozentualen Beitrag zu erheben. Dann fallen die acht Euro auch nicht an. Wenn sie eine feste Pauschale hat, dann gibt es bis acht Euro keine Einkommensprüfung. Nur ältere Menschen zum Beispiel, die ja jetzt als Beispiel gebracht wurden, die nur ausschließlich 400 Euro Einkommen haben - die leben auch heute nicht von diesen 400 Euro - sondern, die haben Anspruch auf ergänzende Grundsicherung. Die Grundsicherung übernimmt jede Beitragssatzsteigerung. Diejenigen, die in der Sozialhilfe sind, diejenigen, die Grundsicherung erhalten, haben alle einen Anspruch, auch heute schon, darauf, dass Beitragssatzsteigerungen aufgefangen werden.
Steinhage: Aber Sie wissen, Frau Ministerin, beispielsweise jeder sechste AOK-Versicherte hat ein Einkommen von unter 800 Euro, das sind 17 Prozent.
Schmidt: Ja, aber die haben dann 780 vielleicht, und die Frage ist, jeder der da drunter liegt, der Anspruch auf ergänzende Hilfe hat, hat Anspruch darauf. Aber jeder kann auch wechseln. Es werden nicht alle Kassen das halten. Ich sage mal, man kann das für gut oder richtig halten wegen der Entbürokratisierung, dass man sagt, die Kassen haben sich auch dagegen gewehrt, dass sie immer, auch bei kleinen Beträgen, Einkommensprüfungen vornehmen müssen. Wer wirklich nichts hat, wer Anspruch hat auf Hilfe des Staates, für den steht auch der Staat in dieser Situation gerade. Und das Zweite ist, viele Kassen werden keine Beiträge erheben. Es gibt Kassen wie die AOK, die immer gesagt haben, wir wollen, dass die Beiträge prozentual erhoben werden können, wegen unserer Einkommensstruktur. Die werden es dann auch prozentual machen. Dann stellt sich die Frage nicht, weil man über ein Prozent nicht gehen kann. Und bei zum Beispiel Taschengeldbeziehern in den Heimen, da zahlt das Sozialamt.
Steinhage: Gut. Sie kennen das Argument, das müssen wir jetzt auch nicht weiter ausführen, dass die Kassen - die Spitzenverbände - gerade diese Woche wieder gesagt haben, dann müssen wir halt freiwillige Leistungen eindampfen. Das werden wir erleben, ob das passiert.
Schmidt: Darf ich dazu etwas sagen?
Steinhage: Ja bitte, gerne.
Schmidt: Ich finde das eigentlich unglaublich. Ich finde es unglaublich, dass Kassen sagen: Erstens, bei uns wird alles teurer, und zweitens, ihr bekommt dafür weniger Leistung. Stellen Sie sich mal vor, irgendeine Organisation würde damit werben: "Komm zu uns, du musst zwar viel bezahlen, aber das, was ihr kriegt, das wird weniger bei uns". Was glauben Sie, wo die Menschen dann hingehen? Und die Verbände - nicht die Einzelkassen, von denen hören Sie das nicht -, die wehren sich dagegen, dass aus sieben Vorständen einer wird. Um das mal zu sagen. Keiner weiß, wer bei dem einen dabei ist, oder ob alle weg sind. Das weiß man auch nicht. Das hat mit sehr eigenen Interessen zu tun. Wir haben sehr genau hingeschaut, welche Leistungen, die die Kassen den Mitgliedern heute schon nicht geben, müssen wir eigentlich zu Pflichtleistungen machen. Ich habe das eben genannt: Vater-Mutter-Kind-Kur, um bis zu 80 Prozent hat man die gestrichen. Rehabilitationsansprüche für ältere Menschen, das macht man als Ermessensleistungen und nicht als Pflichtleistungen. Bei Impfen und vielen Dingen könnte ich ihnen das sagen. Und deswegen: Es gibt wenig Satzungsleistungen dann noch, alles, was medizinisch notwendig ist, nehmen wir in den Pflichtleistungskatalog. Aber wenn Sie eine Einzelkasse ansprechen - und wir haben ja auch die Diskussion mit den Einzelkassen -, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass die Vorsitzenden der Kassen das anders angehen, weil die sagen: "Wir wollen attraktive Kassen sein im Wettbewerb mit den anderen. Unser Ziel ist, die nächsten zwei Jahre so zu nutzen mit den neuen Tarifmöglichkeiten, auch mit den neuen Möglichkeiten, kostengünstige Verträge auszuhandeln, dass wir mit dem Geld hinkommen. Wir wollen keinen Zusatzbeitrag erhalten, aber wir wollen im Wettbewerb mit anderen bestehen". Und das ist das, was unser Ziel ist: Gute Versorgungsangebote. Und wenn ich Kassenverbandsvorsitzender wäre, dann sollten die besser mal darüber nachdenken, ob sie eigentlich dem System der gesetzlichen Krankenversicherung noch etwas Gutes antun, wenn sie es so schlecht machen, wie es kaum ein Gegner dieses Systems könnte.
Steinhage: Ein anderer Punkt: Sie haben in diesem Gespräch auch schon den logischen Zusammenhang hergestellt zwischen einer Kasse, die gut wirtschaftet und dann keinen Zusatzbeitrag erheben muss, sondern vielleicht sogar noch etwas an die Versicherten zurück zahlen kann und Kassen, die eben - wie Sie sagten - nicht gut wirtschaften und dann eben einen Zusatzbeitrag erheben müssen. Nun ist es aber so, dass unabhängige Experten sagen, dass die Preisunterschiede zwischen den Krankenkassen kein Gradmesser seien für gutes oder schlechtes Wirtschaften der Kassen, sondern allein Ausdruck der Einkommensunterschiede. Und das widerspricht ja Ihrer Logik.
Schmidt: Nein, das widerspricht gar nicht, sondern deswegen führen wir zum Beispiel den Fonds ein. Die Preisunterschiede zwischen den Kassen, die sind heute auch nicht gerecht. Sie haben bis zu vier Prozent oder mehr Unterschiede, obwohl alle Menschen, die dort einzahlen, den gleichen Anspruch auf Arztbesuche, auf Krankenhausbehandlung, auf Arzneimittelversorgung und so weiter haben. Und wenn Sie heute die günstigste Kasse haben und die teuerste und sie nehmen einen Rentner mit 1000 Euro, dann kann es sein, dass er bis zu 23 Euro mehr bezahlt, allein als Rentner. Da diskutiert heute niemand, ob das sozial gerecht ist oder nicht. Ich finde das nicht sozial gerecht. Und deswegen sagen wir, jeder zahlt den gleichen durchschnittlichen Beitragssatz, dieses Geld fließt in den Gesundheitsfonds, und dieses Geld wird gerecht verteilt. Und deshalb spielt zum ersten Mal es keine Rolle, ob eine Kasse sehr viele ältere Menschen hat, sehr viele Menschen mit niedrigen Einkommen - nehmen Sie mal manche Kassen in den neuen Bundesländern, wo das Lohnniveau ja sehr viel geringer ist als im Westen -, sondern das wird gerecht verteilt, für alle gleich hundertprozentigen Einkommensausgleich. Das kann nämlich keine Kasse beeinflussen. Und das Zweite ist: Dann muss noch ausgeglichen werden, dass es Kassen gibt, die viel mehr Risiken versichern als andere. Es gibt Kassen, da sind viele junge Gesunde, und es gibt Kassen, da sind viele ältere Menschen, viele kränkere Menschen, viele chronisch Kranke. Und deswegen sagen wir, wir wollen neben Alter, Geschlecht und ob jemand erwerbsunfähig ist oder nicht, auch Zuschläge geben, wie denn die durchschnittlichen Behandlungskosten für kranke Menschen aussehen, und zwar für kranke Menschen, die chronisch krank sind oder schwere Erkrankungen haben. Und dann haben die Kassen ganz andere Bedingungen, mit denen sie starten können. Dann spielt nämlich der Preis oder der Einkommensunterschied keine Rolle mehr, sondern es geht darum, dass die mit dem Geld, mit den durchschnittlichen Behandlungskosten wirtschaften können. Und das Dritte ist, bis der Fonds startet, müssen alle Kassen entschuldet sein, so dass alle von einer gleichen Ebene aus starten können. Und dann kann Wettbewerb um gute Qualität stattfinden.
Steinhage: Für die Hörerinnen und Hörer, die nicht so in der Materie drin sind, noch einmal zur Erläuterung: Sie sprachen jetzt von diesem künftigen morbitätsorientierten Risikostrukturausgleich, wo 50 bis 80 schwere und kostenintensive und chronische Krankheiten drin katalogisiert werden sollen. - Frau Ministerin, nur gibt es da wieder die Kritik: Erstens steht noch gar nicht fest, welche Krankheiten in diesen Katalog kommen werden, zweitens werde auch dieser Risikostrukturausgleich zwangsläufig unvollständig und willkürlich sein, und drittens wird das ganze Projekt den Finanzausgleich eher noch ungenauer machen und damit den betroffenen Kassen nur sehr unzureichend helfen. Was sagen Sie dazu?
Schmidt: Da sage ich, das entspricht von vorne bis hinten nicht der Wahrheit, sondern es ist klar, keiner weiß, welche diese 50 bis 80 Krankheiten sind. Aber wir haben uns geeinigt auf ein Verfahren, wie wir Daten ermitteln. Und zwar geht es darum - um das kurz zu erläutern -, wie man Daten aus Krankenhäusern auswertet und auch die Verordnung von Wirkstoffen. Da kann man nämlich sehen bei bestimmten Wirkstoffen, ob es teuere, chronische, aufwendige Erkrankungen sind. Und dann wird man sehen, welche Krankheiten bildet man damit am besten ab. Da sagten alle Wissenschaftler, 80 Krankheiten reichen auf jeden Fall aus, um eine gute Datenlage zu haben. Bei 60, 70 Krankheiten kann man es nicht so genau sagen. Die Amerikaner haben 70 Krankheiten in diesem Bereich, andere Länder haben anderes. Und deshalb ist das bis 80 Krankheiten. Das wird von Wissenschaftlern jetzt entwickelt und wird ausgewertet. Im kommenden Jahr werden die Daten erhoben und auch dann in 2008 und bis zum 1.1.2009 wird dieser neue Risikostrukturausgleich da sein . . .
Steinhage: Ironisch gesagt, im Augenblick läuft da ein gewisser Wettbewerb, wer denn wohl den höchsten Beitragssatz für die Krankenkassen prognostiziert. Das geht also langsam bis 15,9 Prozent. Wir sind heute, wenn wir die 0,9 Prozent Sonderbeitrag einrechnen, glaube ich bei 14,2 oder 14,3.
Schmidt: 14,3.
Steinhage: Die Bundesregierung hat mal gesagt, 0,5 Prozent werden wohl drauf kommen. Was sagen Sie, reichen 0,5 als eher 0,7? Ihre Prognose?
Schmidt: Also, ich beteilige mich an diesen Prognosen gar nicht. Wir haben gesagt, im kommenden Jahr gibt es 0,5, also etwa fünf Milliarden Risiko. Dabei ist zu sehen, dass natürlich auch durch Entscheidungen der Koalitionsfraktionen - aber schon zu Beginn des Jahres, das hat nichts mit der Gesundheitsreform zu tun - auch die Situation nun nicht einfacher ist, weil 2,7 Milliarden Steuermittel gestrichen werden sollen. Es hat ja kein Mehraufkommen aus der Tabaksteuer gegeben, um hier zu finanzieren . . .
Steinhage: ... dazu rund eine Milliarde Mehrwertsteueranhebung . . .
Schmidt: ... da sind ungefähr 800 Millionen durch die Mehrwertsteueranhebung, aber die wird nicht voll zum Tragen kommen, weil ja auch die Kassen verhandeln können über die Festbeträge bei Arzneimitteln, und die so festsetzen können, dass das die Unternehmen tragen und nicht die Versicherten. Aber das ist natürlich eine zusätzliche Belastung. Und insofern kann man sagen, ich bedauere das, dass das im kommenden Jahr passiert mit der Frage der Absenkung des Steuerzuschusses. Kein Gesundheitspolitiker oder -politikerin hat das begrüßt. Aber es waren die Fraktionen aus beiden Koalitionsfraktionen, die das auch in den haushaltspolitischen Beratungen mitgetragen haben. Ich bin sehr froh, dass wir ab 2008 eben kein Runtergehen auf null Euro haben bei den Steuerzuschüssen, sondern dass ab 2008 aus dem Haushalt es einen kontinuierlichen Aufbau von Steuermitteln gibt bis rund zehn Prozent der jetzigen Ausgaben der Krankenversicherung über Steuern auch finanziert werden ...
Steinhage: ... wobei es mit einem Prozent anfängt, nämlich 1,5 Milliarden ...
Schmidt: ... es fängt mit 1,5 an. Die Vereinbarung ist, wenn die Haushaltslage das hergibt, soll dieser Aufbau auch schneller stattfinden.
Steinhage: Letzte Frage, Frau Schmidt: Haben Sie ein bisschen die Hoffnung, dass jetzt nach diesen monatelangen Kämpfen und Auseinandersetzungen ein bisschen Ruhe einkehrt, oder sind Sie darauf eingestellt, dass es in den nächsten Monaten, mindestens bis zum Start der Reform im April 2007, so weiter geht wie bisher?
Schmidt: Ich glaube, dass die Debatten anhalten. Jeder versucht ja mit allen Mitteln, dort etwas zu erreichen. Man könnte Bücher darüber schreiben, wie die auf der einen Seite bei uns im Ministerium sitzen und dann wieder auf der anderen Seite draußen schimpfen, man würde nicht gehört oder so etwas. Da bin ich ja auch einiges gewohnt jetzt in den Jahren. Erfahrungsgemäß ist es so, erst dann, wenn alles verabschiedet ist, wenn es in Kraft getreten ist, wenn dann die praktisch neuen Bedingungen laufen und wenn dann die Menschen auch erfahren, es ist nicht so, wie vorher immer gesagt wurde, und das kann man nun über alle Jahre hinweg nachvollziehen, dann wird die Situation etwas ruhiger. Denken Sie mal an die Reform 2004. Ein halbes Jahr noch nach Inkrafttreten der Reform hat es heftigste Debatten gegeben . . .
Steinhage: Stichwort Praxisgebühr . . .
Schmidt: Praxisgebühr und alles Mögliche. Erst als Mitte des Jahres dann klar war, es bildet sich ein Überschuss, Ende des Jahres waren es vier Milliarden Überschuss, da waren auch manche der Kritiker die sagen mussten, es hat doch etwas gebracht. Und ich sage noch mal, das war eine große Reform. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wo wir heute wären, wenn wir die damals nicht gemacht hätten.
Steinhage: Vielleicht sagen wir das ja auch nach der nächsten Reform. Wir werden es erleben. Frau Ministerin, ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
Schmidt: Bitte schön.
Ulla Schmidt: Ja, mit der Reform ist beabsichtigt, dass wir auch unter schwierigen ökonomischen Bedingungen, aber auch unter einem veränderten Altersaufbau der Gesellschaft in Zukunft das retten und sichern können, was für Menschen meiner Generation ganz selbstverständlich ist: Dass wir den Menschen zusichern, dass sie Hilfe bekommen, wenn sie krank sind, und zwar alles das, was medizinisch notwendig ist auf der Höhe des medizinischen Fortschritts, unabhängig davon, wie viel Geld sie im Portemonnaie haben. Das ist im Grunde genommen der Kern der Reform. Deshalb müssen wir uns damit befassen, genau hinzuschauen, wie kann jeder Euro, der ins System fließt, optimal eingesetzt werden, effizient auch zum Wohle der Patienten und Patientinnen, und welche Reformen müssen dafür auf den Weg gebracht werden.
Steinhage: Und wird diese Reform nach Ihrer Auffassung diesem Anspruch, den Sie eben formuliert haben, gerecht?
Schmidt: Ja, sie macht große Schritte in diese Richtung. Gesundheitspolitik ist eine Daueraufgabe. Der medizinische Fortschritt entwickelt sich sehr dynamisch, und auch viele Veränderungen in den Erwerbsbiografien, auch die Beitragsgrundlagen, verändern sich oft. Und deswegen wird es immer auch Reformen geben müssen. Aber diese Reform hier setzt mehr als alle Reformen in den 20 Jahren vorher daran an, dass wirklich Strukturen geändert werden. Es ist die erste Reform, die sagt, wir wollen nicht die Zuzahlungen für Patienten und Patientinnen erhöhen, wir wollen kranken Menschen keine Leistungen kürzen, sondern im Gegenteil da, wo es notwendig ist, Leistungen ausweiten. Aber wer das will, der muss sich eben mit allen anderen auch beschäftigen, die in diesem Gesundheitswesen auch tätig sind. Und deshalb verändern wir viel bei den Kassen, bei den Verbänden; bei der Frage, wie ist eigentlich das selbstverwaltete System aufgebaut, wie können die Finanzströme transparenter fließen und wie kann eigentlich der Patient oder auch der Versicherte mehr Einblick in das Geschehen erhalten, und auch mehr Möglichkeiten, für sich selber passgenaue Tarife bei den Kassen zu erhalten. Das ist ein schwieriges Werk, aber darauf geben wir Antwort.
Steinhage: Nun hagelt es ja jede Menge Kritik, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Es mag ja normal sein, dass die Lobbygruppen gegen vieles sind, dass die Opposition Widerstand angemeldet hat und Protest. Aber, Frau Ministerin, auch die Arbeitgeber, die Gewerkschaften, die meisten Wissenschaftler, die meisten Wirtschaftsexperten, selbst die Regierungsfraktion - Union wie auch Ihre SPD - sind nun nicht wirklich glücklich mit dieser Reform. Haben Sie da nur ein Vermittlungsproblem, oder ist die Reform gar nicht so toll, wie Sie es darstellen?
Schmidt: Warum sind die Arbeitgeber nicht einverstanden? Die Arbeitgeber möchten, dass die Arbeitgeber sich nicht mehr an der Finanzierung des Gesundheitswesens beteiligen. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen, dass sie in der Verantwortung bleiben und dass sie auch Mitverantwortung übernehmen für ein bezahlbares Gesundheitswesen, zum Beispiel indem sie prozentual und auch in der Parität mit beteiligt sind. Aber auch indem sie die betriebliche Prävention stärken, damit Menschen, die ja im Betrieb auch einen Hauptteil ihres Lebens verbringen, dort auch gute Gesundheitsangebote haben. - Was ist bei den anderen, die da beteiligt sind? Die Apotheker möchten nicht, dass Einsparungen gemacht werden, dass sie, wenn es Rabattverträge der Kasse mit Pharmaunternehmen gibt, dass sie auch davon das so einsetzen müssen und auch so Medikamente vergeben müssen, dass es letztendlich bei den Versicherten ankommt, nämlich in Beitragssatzentlastung. Die Pharmazeutische Industrie möchte keine Regelung: Die möchte Medikamente auf den Markt bringen, und zwar zu Preisen, wie sie es gerne hätten. Krankenhäuser sind nicht glücklich, weil wir sagen, bei einem Bereich, der praktisch ein Drittel aller Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung ausmacht - etwa 50 Milliarden -, muss man doch auch ein Prozent einsparen können. Die Krankenkassen sind in vorderster Front - nicht mal die Kassen als solche, sondern die Kassenverbände -, weil wir sagen, wir brauchen keine sieben Vorstände und sieben Verbände, einer tut's auch. Und deshalb wird massiver Protest organisiert. Und wenn man das einmal wegnimmt, dann wundert es auch nicht, dass bei dieser ganzen Debatte eigentlich das verloren geht, was in der Reform steckt. Wir weiten notwendige Leistungen aus. Menschen, die schwer krank sind, die todkrank sind, erhalten Hilfe in Zukunft: Dass sie auch, was viele möchten, zu Hause behandelt werden, zu Hause auch sterben können, wenn sie das möchten. Wir wollen, dass ältere Menschen, auch wenn sie pflegebedürftig sind, einen vollen Rechtsanspruch darauf haben, so gut wie möglich rehabilitiert zu werden, damit so viel Selbständigkeit wie möglich bleibt. Wir sagen, es ist falsch, dass die Kassen in den letzten Jahren bei den Vater-Mutter-Kind-Kuren gespart haben. Das sind ganz wichtige Vorbeugemaßnahmen, und deshalb machen wir das zur Pflicht. Wir wollen, dass Kassen Impfungen, die empfohlen werden, bezahlen. Wir wollen, dass behinderte Menschen Krankenhilfe auch erhalten können, wenn sie in Heimen der Lebenshilfe sind. Das ist deren Zuhause. Und so könnte ich eine Palette zeigen, die wir verändern. Und wir sagen, wir wollen für schwerkranke Menschen und Menschen, die selten Erkrankungen haben, dass Krankenhäuser geöffnet werden. Darüber zu diskutieren und die Kassen auch dahin zu bringen: "Leute, reicht das, ist das gut, was hier an Vorschlägen ist, wie könnte man es besser machen" - das wäre eigentlich die Diskussion, die wir führen müssten, wenn alles zuträfe. Alle sagen, es geht um die Patienten. Bei keinem geht es um die Patienten, es geht nur um eigene Interessen. Denn wenn es um die Patienten, um die kranken Menschen ginge, würden wir über diese Inhalte diskutieren, die wir mit dieser Reform auf den Weg bringen.
Steinhage: Frau Schmidt, Sie haben jetzt mit Ihrer Antwort schon meine folgende Frage vorweg genommen, nämlich die Frage nach den Strukturreformen, die Frage, was es den Patienten bringt. Dieses ist ja in letzter Zeit in der Diskussion gelegentlich auch etwas zu kurz gekommen ...
Schmidt: Ja, leider.
Steinhage: ... die Kritikpunkte, die Experten und auch die Regierungsparteien anbringen, da werden wir sicherlich im Laufe dieses Gespräches noch einmal drauf zurück kommen. Das kann ich Ihnen nicht ersparen. - Eine andere Frage noch einmal, vielleicht eine Klarstellung, von Ihrer Seite: In dieser Woche gab es viel Aufregung um eine Regelung im Referendenentwurf, wonach chronisch Kranke nur dann wie bisher maximal ein statt zwei Prozent ihres Einkommens an Zuzahlungen leisten müssen, wenn sie künftig regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben und sich - Zitat - "therapiegerecht" verhalten. Hier macht ja das böse Wort die Runde, Krebspatienten drohe geradezu eine Bestrafung. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?
Schmidt: Es geht nicht um Bestrafung. Bestrafung würde völlig dem widersprechen, was wir eigentlich wollen, sondern - worum geht es? In einer Gesellschaft, in der jedes zweite heute geborene Mädchen doch das nächste Jahrhundert erreicht, in der wir selber merken, zum ersten Mal sehr bewusst, dass man etwas tun muss, damit man möglichst fit alt wird, und in der auch in einer Gesundheitspolitik der Gesundheitsvorsorge, der Prävention, eine eigenständige Säule eingeräumt werden muss, damit auch möglichst alles, was vermeidbar ist an Krankheiten, auch verhindert wird, da müssen wir uns Maßnahmen überlegen, wie denn der Vorsorgegedanke gestärkt werden kann. Und Sie wissen, dass es zwei Prozent Zuzahlungen gibt. Wir machen Ausnahmen für Menschen, die chronisch krank sind. Und wir sagen im Prinzip, viele Menschen sagen das: "Ich tue etwas für mich, warum eigentlich habe ich davon keinen Vorteil?" Und was wir jetzt wollen, ist, zu sagen: Wo gibt es denn wirklich sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen, zum Beispiel zur Erkennung eines Bluthochdrucks, zum frühzeitigen Erkennen eines Diabetes. Sie wissen, dass in unserem Land wahrscheinlich doppelt so viele Menschen an Diabetes erkrankt sind, als derzeit aktuell behandelt werden. Und wenn es dann erkannt wird, sind meistens die Schäden schon so weit, dass eben eine Krankheit sehr viel schwerer ist, als wenn sie frühzeitig erkannt ist. Und da wollen wir für junge Menschen, und das beginnt bei den zwanzigjährigen und dreißigjährigen, sagen: Wir erwarten von euch, dass ihr in Zukunft das, was von den Ärzten über den gemeinsamen Bundesausschuss als notwendige Vorsorgeuntersuchung auch ausgewiesen wird, dass ihr diese Vorsorgeuntersuchung alle zwei Jahre oder alle drei Jahre, wie es festgelegt wird, auch wahrnehmt und dass ihr dazu auch ein Checkheft führt. Und dann habt ihr auch später den Anspruch darauf, auf ein Prozent die Zuzahlungen reduziert zu bekommen. Kein Mensch, der an Krebs erkrankt ist, kein Mensch, der früh krebserkrankt ist oder andere sind davon betroffen. Sondern es geht um ganz spezielle Untersuchungen, von denen man sagt, die Früherkennung hilft da. Und sie hilft auch Menschenleben retten. Sie hilft Menschen, dass eine Krankheit in einem Stadium entdeckt wird, wo sie auch gut behandelbar ist. Und es ist ein wichtiger Bestandteil. Jeder ist zunächst mal für sich und seine Gesundheit auch verantwortlich. Und Solidarität setzt auch voraus, dass jeder das, was er tun kann, auch dafür tut, sonst werden wir in einigen Jahren auch große Probleme haben, ein Gesundheitswesen zu finanzieren. Es sind also zwei Dinge: Finanzierbarkeit sicherstellen, aber auch dem Einzelnen ein Stück gesundheitsbewusstes Verhalten mit zu empfehlen und nach vorne zu bringen. Und das kann nur von Nutzen sein für die gesamte Gesellschaft.
Steinhage: Ein anders Dauerthema in den letzten Wochen ist der ominöse Zusatzbeitrag, den die Krankenkassen erheben können, die mit dem Geld aus dem Gesundheitsfond, der 2009 kommen soll, nicht auskommen. Der Vorwurf lautet, und das ist ja prima vista auch einleuchtend, dass Bezieher kleiner Einkommen hier relativ stärker belastet werden. Dieser Vorwurf kommt ja auch gerade aus den Reihen Ihrer Partei. Was sagen Sie den Genossinnen und Genossen?
Schmidt: Also erstens, in dem Gesetz steht nicht, dass es regelmäßige Aufgabe einer Kasse ist, einen Zusatzbeitrag zu erheben. Sondern unser Ziel ist, dadurch, dass wir sagen, wir wollen das Geld, das heute ins Gesundheitssystem fließt, und zwar ins gesetzliche Krankenversicherungssystem fließt, wollen wir gerechter verteilen, so dass Kassen, die viele kränkere Menschen haben, behinderte Menschen haben, Menschen mit niedrigem Einkommen, ausreichend Geld haben, eine gute Gesundheitsversorgung anzubieten. Und dass die, die viele gesunde und junge Mitglieder haben, auch ein Stück von ihrem Geld abgeben müssen an die anderen, damit überall die Aufgaben wahrgenommen werden können. Das Zweite ist: Da gibt es Kassen, die gut wirtschaften, die auch dafür sorgen, dass sie gute Versorgungsangebote haben, die in Prävention investieren, die dafür sorgen, dass sie Rabattverträge mit Unternehmen schließen, damit Arzneimittel günstiger sind, die Tarife anbieten für ihre Versicherten, die kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten belobigen. Und da werden Kassen sein, die kommen mit dem Geld dann gut hin. Es gibt Kassen, die können ihren Versicherten Geld zurückzahlen, und es wird Kassen geben, die vielleicht auch sagen, bei uns muss man einen Zusatzbeitrag zahlen. Erstmals, anders als bisher, werden die Versicherten Ende des Jahres, also so im November, erfahren: Meine Kasse fordert nächstes Jahr einen Zusatzbeitrag, bei meiner Kasse passiert gar nichts, und die Kasse meines Nachbars gibt vielleicht zehn Euro im Monat zurück ...
Steinhage: ... das heißt, man bekommt eine Liste an die Hand, auf der steht, wer wie viel . . .
Schmidt: ... das muss veröffentlicht werden. Und jedes Mal, wenn eine Kasse einen Zusatzbeitrag erheben würde, muss sie ihre Versicherten darauf hinweisen, dass sie umfassende Wechselrechte haben, dass es Kassen gibt, die keine Zusatzbeiträge erheben und andere, die Beiträge zurück geben. Und dann kann der Versicherte erst mal wählen. Wir wissen aber auch, dass es ältere Menschen gibt, oder Kranke, die möchten das nicht. Wenn die Kasse gut ist, sagen auch manche, ich zahle fünf Euro im Monat mehr, denn ich habe ein gutes Versorgungsangebot. Wir haben als SPD darauf gedrungen, dass dieser Zusatzbeitrag wirklich nur ein Ausdruck dafür ist, ob eine Kasse gut wirtschaftet oder nicht, und nicht zukünftig die Finanzierung über den Zusatzbeitrag läuft. Deshalb haben wir gesagt, es darf nie mehr sein als ein Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens.
Steinhage: Aber bis acht Euro keine Einkommensprüfung?
Schmidt: Bis acht Euro braucht die Kasse keine Einkommensprüfung zu machen. Sie hat aber erstens die Möglichkeit, einen prozentualen Beitrag zu erheben. Dann fallen die acht Euro auch nicht an. Wenn sie eine feste Pauschale hat, dann gibt es bis acht Euro keine Einkommensprüfung. Nur ältere Menschen zum Beispiel, die ja jetzt als Beispiel gebracht wurden, die nur ausschließlich 400 Euro Einkommen haben - die leben auch heute nicht von diesen 400 Euro - sondern, die haben Anspruch auf ergänzende Grundsicherung. Die Grundsicherung übernimmt jede Beitragssatzsteigerung. Diejenigen, die in der Sozialhilfe sind, diejenigen, die Grundsicherung erhalten, haben alle einen Anspruch, auch heute schon, darauf, dass Beitragssatzsteigerungen aufgefangen werden.
Steinhage: Aber Sie wissen, Frau Ministerin, beispielsweise jeder sechste AOK-Versicherte hat ein Einkommen von unter 800 Euro, das sind 17 Prozent.
Schmidt: Ja, aber die haben dann 780 vielleicht, und die Frage ist, jeder der da drunter liegt, der Anspruch auf ergänzende Hilfe hat, hat Anspruch darauf. Aber jeder kann auch wechseln. Es werden nicht alle Kassen das halten. Ich sage mal, man kann das für gut oder richtig halten wegen der Entbürokratisierung, dass man sagt, die Kassen haben sich auch dagegen gewehrt, dass sie immer, auch bei kleinen Beträgen, Einkommensprüfungen vornehmen müssen. Wer wirklich nichts hat, wer Anspruch hat auf Hilfe des Staates, für den steht auch der Staat in dieser Situation gerade. Und das Zweite ist, viele Kassen werden keine Beiträge erheben. Es gibt Kassen wie die AOK, die immer gesagt haben, wir wollen, dass die Beiträge prozentual erhoben werden können, wegen unserer Einkommensstruktur. Die werden es dann auch prozentual machen. Dann stellt sich die Frage nicht, weil man über ein Prozent nicht gehen kann. Und bei zum Beispiel Taschengeldbeziehern in den Heimen, da zahlt das Sozialamt.
Steinhage: Gut. Sie kennen das Argument, das müssen wir jetzt auch nicht weiter ausführen, dass die Kassen - die Spitzenverbände - gerade diese Woche wieder gesagt haben, dann müssen wir halt freiwillige Leistungen eindampfen. Das werden wir erleben, ob das passiert.
Schmidt: Darf ich dazu etwas sagen?
Steinhage: Ja bitte, gerne.
Schmidt: Ich finde das eigentlich unglaublich. Ich finde es unglaublich, dass Kassen sagen: Erstens, bei uns wird alles teurer, und zweitens, ihr bekommt dafür weniger Leistung. Stellen Sie sich mal vor, irgendeine Organisation würde damit werben: "Komm zu uns, du musst zwar viel bezahlen, aber das, was ihr kriegt, das wird weniger bei uns". Was glauben Sie, wo die Menschen dann hingehen? Und die Verbände - nicht die Einzelkassen, von denen hören Sie das nicht -, die wehren sich dagegen, dass aus sieben Vorständen einer wird. Um das mal zu sagen. Keiner weiß, wer bei dem einen dabei ist, oder ob alle weg sind. Das weiß man auch nicht. Das hat mit sehr eigenen Interessen zu tun. Wir haben sehr genau hingeschaut, welche Leistungen, die die Kassen den Mitgliedern heute schon nicht geben, müssen wir eigentlich zu Pflichtleistungen machen. Ich habe das eben genannt: Vater-Mutter-Kind-Kur, um bis zu 80 Prozent hat man die gestrichen. Rehabilitationsansprüche für ältere Menschen, das macht man als Ermessensleistungen und nicht als Pflichtleistungen. Bei Impfen und vielen Dingen könnte ich ihnen das sagen. Und deswegen: Es gibt wenig Satzungsleistungen dann noch, alles, was medizinisch notwendig ist, nehmen wir in den Pflichtleistungskatalog. Aber wenn Sie eine Einzelkasse ansprechen - und wir haben ja auch die Diskussion mit den Einzelkassen -, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass die Vorsitzenden der Kassen das anders angehen, weil die sagen: "Wir wollen attraktive Kassen sein im Wettbewerb mit den anderen. Unser Ziel ist, die nächsten zwei Jahre so zu nutzen mit den neuen Tarifmöglichkeiten, auch mit den neuen Möglichkeiten, kostengünstige Verträge auszuhandeln, dass wir mit dem Geld hinkommen. Wir wollen keinen Zusatzbeitrag erhalten, aber wir wollen im Wettbewerb mit anderen bestehen". Und das ist das, was unser Ziel ist: Gute Versorgungsangebote. Und wenn ich Kassenverbandsvorsitzender wäre, dann sollten die besser mal darüber nachdenken, ob sie eigentlich dem System der gesetzlichen Krankenversicherung noch etwas Gutes antun, wenn sie es so schlecht machen, wie es kaum ein Gegner dieses Systems könnte.
Steinhage: Ein anderer Punkt: Sie haben in diesem Gespräch auch schon den logischen Zusammenhang hergestellt zwischen einer Kasse, die gut wirtschaftet und dann keinen Zusatzbeitrag erheben muss, sondern vielleicht sogar noch etwas an die Versicherten zurück zahlen kann und Kassen, die eben - wie Sie sagten - nicht gut wirtschaften und dann eben einen Zusatzbeitrag erheben müssen. Nun ist es aber so, dass unabhängige Experten sagen, dass die Preisunterschiede zwischen den Krankenkassen kein Gradmesser seien für gutes oder schlechtes Wirtschaften der Kassen, sondern allein Ausdruck der Einkommensunterschiede. Und das widerspricht ja Ihrer Logik.
Schmidt: Nein, das widerspricht gar nicht, sondern deswegen führen wir zum Beispiel den Fonds ein. Die Preisunterschiede zwischen den Kassen, die sind heute auch nicht gerecht. Sie haben bis zu vier Prozent oder mehr Unterschiede, obwohl alle Menschen, die dort einzahlen, den gleichen Anspruch auf Arztbesuche, auf Krankenhausbehandlung, auf Arzneimittelversorgung und so weiter haben. Und wenn Sie heute die günstigste Kasse haben und die teuerste und sie nehmen einen Rentner mit 1000 Euro, dann kann es sein, dass er bis zu 23 Euro mehr bezahlt, allein als Rentner. Da diskutiert heute niemand, ob das sozial gerecht ist oder nicht. Ich finde das nicht sozial gerecht. Und deswegen sagen wir, jeder zahlt den gleichen durchschnittlichen Beitragssatz, dieses Geld fließt in den Gesundheitsfonds, und dieses Geld wird gerecht verteilt. Und deshalb spielt zum ersten Mal es keine Rolle, ob eine Kasse sehr viele ältere Menschen hat, sehr viele Menschen mit niedrigen Einkommen - nehmen Sie mal manche Kassen in den neuen Bundesländern, wo das Lohnniveau ja sehr viel geringer ist als im Westen -, sondern das wird gerecht verteilt, für alle gleich hundertprozentigen Einkommensausgleich. Das kann nämlich keine Kasse beeinflussen. Und das Zweite ist: Dann muss noch ausgeglichen werden, dass es Kassen gibt, die viel mehr Risiken versichern als andere. Es gibt Kassen, da sind viele junge Gesunde, und es gibt Kassen, da sind viele ältere Menschen, viele kränkere Menschen, viele chronisch Kranke. Und deswegen sagen wir, wir wollen neben Alter, Geschlecht und ob jemand erwerbsunfähig ist oder nicht, auch Zuschläge geben, wie denn die durchschnittlichen Behandlungskosten für kranke Menschen aussehen, und zwar für kranke Menschen, die chronisch krank sind oder schwere Erkrankungen haben. Und dann haben die Kassen ganz andere Bedingungen, mit denen sie starten können. Dann spielt nämlich der Preis oder der Einkommensunterschied keine Rolle mehr, sondern es geht darum, dass die mit dem Geld, mit den durchschnittlichen Behandlungskosten wirtschaften können. Und das Dritte ist, bis der Fonds startet, müssen alle Kassen entschuldet sein, so dass alle von einer gleichen Ebene aus starten können. Und dann kann Wettbewerb um gute Qualität stattfinden.
Steinhage: Für die Hörerinnen und Hörer, die nicht so in der Materie drin sind, noch einmal zur Erläuterung: Sie sprachen jetzt von diesem künftigen morbitätsorientierten Risikostrukturausgleich, wo 50 bis 80 schwere und kostenintensive und chronische Krankheiten drin katalogisiert werden sollen. - Frau Ministerin, nur gibt es da wieder die Kritik: Erstens steht noch gar nicht fest, welche Krankheiten in diesen Katalog kommen werden, zweitens werde auch dieser Risikostrukturausgleich zwangsläufig unvollständig und willkürlich sein, und drittens wird das ganze Projekt den Finanzausgleich eher noch ungenauer machen und damit den betroffenen Kassen nur sehr unzureichend helfen. Was sagen Sie dazu?
Schmidt: Da sage ich, das entspricht von vorne bis hinten nicht der Wahrheit, sondern es ist klar, keiner weiß, welche diese 50 bis 80 Krankheiten sind. Aber wir haben uns geeinigt auf ein Verfahren, wie wir Daten ermitteln. Und zwar geht es darum - um das kurz zu erläutern -, wie man Daten aus Krankenhäusern auswertet und auch die Verordnung von Wirkstoffen. Da kann man nämlich sehen bei bestimmten Wirkstoffen, ob es teuere, chronische, aufwendige Erkrankungen sind. Und dann wird man sehen, welche Krankheiten bildet man damit am besten ab. Da sagten alle Wissenschaftler, 80 Krankheiten reichen auf jeden Fall aus, um eine gute Datenlage zu haben. Bei 60, 70 Krankheiten kann man es nicht so genau sagen. Die Amerikaner haben 70 Krankheiten in diesem Bereich, andere Länder haben anderes. Und deshalb ist das bis 80 Krankheiten. Das wird von Wissenschaftlern jetzt entwickelt und wird ausgewertet. Im kommenden Jahr werden die Daten erhoben und auch dann in 2008 und bis zum 1.1.2009 wird dieser neue Risikostrukturausgleich da sein . . .
Steinhage: Ironisch gesagt, im Augenblick läuft da ein gewisser Wettbewerb, wer denn wohl den höchsten Beitragssatz für die Krankenkassen prognostiziert. Das geht also langsam bis 15,9 Prozent. Wir sind heute, wenn wir die 0,9 Prozent Sonderbeitrag einrechnen, glaube ich bei 14,2 oder 14,3.
Schmidt: 14,3.
Steinhage: Die Bundesregierung hat mal gesagt, 0,5 Prozent werden wohl drauf kommen. Was sagen Sie, reichen 0,5 als eher 0,7? Ihre Prognose?
Schmidt: Also, ich beteilige mich an diesen Prognosen gar nicht. Wir haben gesagt, im kommenden Jahr gibt es 0,5, also etwa fünf Milliarden Risiko. Dabei ist zu sehen, dass natürlich auch durch Entscheidungen der Koalitionsfraktionen - aber schon zu Beginn des Jahres, das hat nichts mit der Gesundheitsreform zu tun - auch die Situation nun nicht einfacher ist, weil 2,7 Milliarden Steuermittel gestrichen werden sollen. Es hat ja kein Mehraufkommen aus der Tabaksteuer gegeben, um hier zu finanzieren . . .
Steinhage: ... dazu rund eine Milliarde Mehrwertsteueranhebung . . .
Schmidt: ... da sind ungefähr 800 Millionen durch die Mehrwertsteueranhebung, aber die wird nicht voll zum Tragen kommen, weil ja auch die Kassen verhandeln können über die Festbeträge bei Arzneimitteln, und die so festsetzen können, dass das die Unternehmen tragen und nicht die Versicherten. Aber das ist natürlich eine zusätzliche Belastung. Und insofern kann man sagen, ich bedauere das, dass das im kommenden Jahr passiert mit der Frage der Absenkung des Steuerzuschusses. Kein Gesundheitspolitiker oder -politikerin hat das begrüßt. Aber es waren die Fraktionen aus beiden Koalitionsfraktionen, die das auch in den haushaltspolitischen Beratungen mitgetragen haben. Ich bin sehr froh, dass wir ab 2008 eben kein Runtergehen auf null Euro haben bei den Steuerzuschüssen, sondern dass ab 2008 aus dem Haushalt es einen kontinuierlichen Aufbau von Steuermitteln gibt bis rund zehn Prozent der jetzigen Ausgaben der Krankenversicherung über Steuern auch finanziert werden ...
Steinhage: ... wobei es mit einem Prozent anfängt, nämlich 1,5 Milliarden ...
Schmidt: ... es fängt mit 1,5 an. Die Vereinbarung ist, wenn die Haushaltslage das hergibt, soll dieser Aufbau auch schneller stattfinden.
Steinhage: Letzte Frage, Frau Schmidt: Haben Sie ein bisschen die Hoffnung, dass jetzt nach diesen monatelangen Kämpfen und Auseinandersetzungen ein bisschen Ruhe einkehrt, oder sind Sie darauf eingestellt, dass es in den nächsten Monaten, mindestens bis zum Start der Reform im April 2007, so weiter geht wie bisher?
Schmidt: Ich glaube, dass die Debatten anhalten. Jeder versucht ja mit allen Mitteln, dort etwas zu erreichen. Man könnte Bücher darüber schreiben, wie die auf der einen Seite bei uns im Ministerium sitzen und dann wieder auf der anderen Seite draußen schimpfen, man würde nicht gehört oder so etwas. Da bin ich ja auch einiges gewohnt jetzt in den Jahren. Erfahrungsgemäß ist es so, erst dann, wenn alles verabschiedet ist, wenn es in Kraft getreten ist, wenn dann die praktisch neuen Bedingungen laufen und wenn dann die Menschen auch erfahren, es ist nicht so, wie vorher immer gesagt wurde, und das kann man nun über alle Jahre hinweg nachvollziehen, dann wird die Situation etwas ruhiger. Denken Sie mal an die Reform 2004. Ein halbes Jahr noch nach Inkrafttreten der Reform hat es heftigste Debatten gegeben . . .
Steinhage: Stichwort Praxisgebühr . . .
Schmidt: Praxisgebühr und alles Mögliche. Erst als Mitte des Jahres dann klar war, es bildet sich ein Überschuss, Ende des Jahres waren es vier Milliarden Überschuss, da waren auch manche der Kritiker die sagen mussten, es hat doch etwas gebracht. Und ich sage noch mal, das war eine große Reform. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, wo wir heute wären, wenn wir die damals nicht gemacht hätten.
Steinhage: Vielleicht sagen wir das ja auch nach der nächsten Reform. Wir werden es erleben. Frau Ministerin, ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
Schmidt: Bitte schön.