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Eigenständig und selbstbewusst

Zwangsehen, Ehrenmorde, Verstümmelungen: Frauen in der arabischen Welt haben einen schweren Stand. Dennoch sind viele bereit, für Veränderungen zu kämpfen. Der Journalist Karim El-Gawhary lässt in seinem Buch "Frauenpower auf Arabisch" starke Frauen zu Wort kommen.

Von Susanne El-Khafif |
    Frauen demonstrieren in Kairo auf dem Tahrir-Platz gegen sexuelle Belästigung.
    Frauen demonstrieren in Kairo auf dem Tahrir-Platz gegen sexuelle Belästigung. (picture alliance / dpa / romain Beurrier/Wostok Press)
    "Oh je, nicht noch so ein Buch! Über die Frau in der arabischen Welt. Und dann auch noch von einem Mann!" - Gedanken wie diese werden dem einen oder der anderen beim Anblick dieses Buches mit Sicherheit durch den Kopf gehen. Doch El-Gawharys "Frauenpower auf Arabisch" hebt sich positiv von der Vielzahl an Büchern ab, die immer wieder auf dem Markt erscheinen. Denn er tappt nicht in dieselben Fallen wie so viele andere vor ihm. Er hält sich fern von falschem Mitleid; er verzichtet auf die Darstellung der arabischen Frau an sich; und er verschont sein Publikum mit langatmigen Ausführungen über patriarchale Strukturen und Unterdrückungsmechanismen.

    Nein, El-Gawharys Buch ist anders. Ganz einfach, weil er das macht, was naheliegend ist: Er nimmt einen anderen Blickwinkel ein und er ist geleitet von der richtigen Intention.

    "Die arabischen Frauen zum Subjekt zu machen und ihnen eine Stimme zu geben, das ist das Ziel dieses Buches."

    El-Gawhary - durch und durch Journalist - tut das, was ihm sein Beruf im idealen Falle vorgibt. Er geht raus, raus auf die Straße und hin zu den Menschen. Er beobachtet, begegnet den Frauen, beschreibt ihr Umfeld, hört ihnen zu. Es sind ihre Geschichten, die er niederschreibt. Die Frauen berichten von ihrem Alltag, von Mühe und Last, aber auch der Komik, die dieser Alltag manchmal mit sich bringt, sie erzählen von Trauer und Leid, von Hoffnungen und Träumen. Ihre Geschichten finden sich in keiner Statistik wieder, lassen sich auch in kein Schema pressen. Doch sie sind wahrhaftig, so wie diese Frauen auf dem Boden ihrer Realitäten stehen.

    Da ist Umm Khaled, die mit ihrem 30-Tonner über ägyptische Landstraßen donnert; die Fotografin Bouschra aus dem Jemen; die syrische Studentin Hadil, die all ihre Angst hinter sich lässt. Und da sind so viele mehr: die libyschen Frauen Asmaa, Majdoulin, Wafa' und Intisar, die erst Gaddafi trotzen und dann den Rückwärtsgewandten in ihrem Land; Zeinab, die Menschenrechtsaktivistin aus Bahrain; Manal aus Saudi-Arabien; Kamile aus Palästina. Besonders gelungen ist die Schilderung von Fatma und Magda, deren Geschichten der Autor eindrucksvoll wiedergibt. Beide sind Mütter von rivalisierenden Fußballfans. Die eine hat ihren Sohn bei den Ausschreitungen von Port Said verloren; der anderen droht der gleiche Verlust. Ihr Sohn wird zum Tode verurteilt, weil er aufseiten der anderen getötet hat. Die Mutter des Opfers, die Mutter des Täters - zwei Schicksale, die auf tragische Weise miteinander verwoben sind. Und da ist dann auch Ghalia, die im Fernsehen als Kochstar Karriere macht.

    "Die 33-Jährige ist eine typische Matronin aus einem der Kairoer Armenviertel. Kräftig gebaut, nicht auf den Mund gefallen, voller Humor, aber auch gezeichnet von einem Leben, in dem es oft ums Überleben ging."

    Frau Ghalia macht Unmögliches möglich. Sie kocht gut, für wenig Geld, und hält dabei auch mit ihrer Lebensphilosophie nicht hinter dem Berg.

    "Etwa wenn sie sagt: Wenn du dein Geld nicht ehrlich, sondern durch Korruption gewonnen hast, dann wird es irgendwann deine Suppe versalzen. Oder wenn sie, eine Muslimin, einwirft: Egal, ob christliche Kopten oder Muslime, am Ende kochen wir alle gleich."

    El-Gawhary lebt und arbeitet seit vielen Jahren in der arabischen Welt. Wissen und Erfahrung fließen ein, wenn er beobachtet, wenn er beschreibt und die unterschiedlichen Milieus schildert, in denen er die Frauen antrifft. So wie Umm Naama, mehrfache Mutter, Ehefrau eines behinderten Mannes.

    "Jenseits der großen Ringstraße, die die 18-Millionen-Einwohner-Stadt umgibt, Richtung Nildelta, ist nur die Armut zu Hause. Über staubige, nicht asphaltierte Straßen, an denen sich der Müll stapelt, geht es kilometerlang dahin, an die Grenzen der Stadt, wo sich die Häuser in die Kleefelder fressen. (…) Die Gassen hier sind so eng, dass sich die Nachbarn über die Straße die Hände reichen könnten. Bevölkerungsdichte lässt sich in Ägypten immer an der Menge der Wäsche ablesen, die an Leinen vor den Balkonen hängt."

    Sich Menschen zu nähern und trotzdem Distanz zu wahren, ist schwierig - vor allem dann, wenn die Schicksale dieser Menschen von kaum vorstellbaren Härten gezeichnet sind. Dem Autor gelingt der Drahtseilakt. Er lässt dadurch den Frauen Raum zur Entfaltung, sich so zu zeigen, wie sie sind: eigenständig, sich ihrer selbst bewusst. Und damit ist es auch dem Lesenden vergönnt, sich zu nähern, sein Gegenüber anzublicken, auf Augenhöhe, voll Respekt und Achtung für deren Lebensleistung. El-Gawhary gelingt ein weiteres: Er macht Gegenwart und Vergangenheit im Nahen Osten greifbar. Denn die Frauen, deren Geschichten er dokumentiert, lassen nachempfinden, was Aufstand und Krieg wirklich bedeuten – was es heißt, auf dem Tahrir-Platz in Kairo für die Freiheit einzustehen. In Syrien. Oder in Bahrain. Was es heißt, wenn Phosphorbomben auf Zivilisten in Gaza niedergehen oder die Söhne und Töchter in den Heiligen Krieg ziehen, um nie wieder zurückzukehren.

    "Die arabische Welt ist in Bewegung geraten und niemand weiß, wohin die Reise am Ende gehen wird …"

    Schreibt El-Gawhary in seinem Nachwort. Er distanziert sich damit bewusst von all denen, die vorschnell zu Prognosen und abschließenden Urteilen neigen – über eine Region, in der heute eine neue und immer wieder überraschende Dynamik wirkt, die bereits offen lässt, was der nächste Tag bringen wird. Mit Blick auf die Frauen aber ist sich der Autor sicher. Und das zu Recht.

    "Ob sie 30-Tonnen-LKW fahren, im Parlament und auf Richterstühlen sitzen, versuchen, das Überleben ihrer Familien zu sichern, oder aus dem Gefängnis twittern: Das nächste Kapitel wird auch von den arabischen Frauen geschrieben."

    Karim El-Gawhary: Frauenpower auf Arabisch. Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatt.
    Verlag Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 22 Euro
    ISBN: 978-3-218-00879-2