Samstag, 23. September 2023

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Eigentlich ein Schriftsteller

Kreisler? GEORG Kreisler? Das ist doch der Mann am Klavier:

Von Claus Lüpkes | 02.02.2004

    Ja natürlich: das ist er, Georg Kreisler, der gallige Kabarettist mit seinem berühmten "Taubenvergiften" und all den anderen bitterbösen Liedern aus den 50er und 60er Jahren. Doch ist dieser Kabarettist nicht der ganze Kreisler, nein: nicht einmal der halbe. Denn eigentlich sieht sich Kreisler vor allem als Schriftsteller:

    Ja, man muss sich auf eines, glaube ich, konzentrieren. Ich habe mich lange nicht entschieden, ob ich Musiker werden will oder Schriftsteller, und hab mich dann für die Schriftstellerei entschieden, noch in Amerika übrigens, weil ich finde, dass da mein wesentliches Talent liegt. Ich bin z.B. kein guter Dirigent, ich bin auch kein nennenswerter Instrumentalist und wollte auch keiner werden, das war mir mit zuviel Üben zuhause verbunden – also da wäre nur der Komponist übriggeblieben, und wenn man Komponist sein will, dann muss man wirklich auf der Höhe der Kompositionen seiner Zeit sein und muss sich ausgiebigst damit wirklich den ganzen Tag lang beschäftigen. Und ich beschäftige mich lieber mit Literatur.

    Herausgekommen ist bei Kreislers Beschäftigung mit Literatur jetzt ein Lesebuch mit insgesamt 41 Texten aus den vergangenen Jahren: Lieder und Gedichte, Geschichten und garstige Gedanken:

    Eine Lehre, bevor es zu spät ist. Wer sich zuviel vornimmt, wie beispielsweise sich aus dem Fenster zu stürzen, dem bleibt keine Wahl. Es ist ein Fehler, den die Leute machen, um zu zeigen, was sie alles können. Ich habe mir vorgenommen, ein berühmter Schriftsteller zu werden, wenn ich tot bin, und ich weiß nicht, ob ich mich dabei nicht übernommen habe. Aber ich habe mir gleichzeitig vorgenommen, unsere Welt gerechter und friedfertiger zu machen, dieses aber schon, bevor ich tot bin, und da kamen mir doch gewisse Bedenken.

    Diese Überlegungen sind nicht so absurd, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Es spricht doch alles dafür, dass sich Van Gogh vorgenommen hat, nach seinem Tod ein berühmter Maler zu werden, und er hat diesen Vorsatz brillant durchgeführt. Und wenn man sich vor Augen hält, dass sich Hitler ein tausendjähriges Reich vornahm, bevor erstarb, kann man nur sagen: Abwarten! Wer weiß!

    Georg Kreisler mit dem Anfang eines für ihn typischen Aufsatzes über Kunst, Kultur, Politik – und den Tod. Und um diese Themen kreist nahezu sein ganzes Buch:
    Gleich in seinem zweiten Text "Die Konferenz der Regisseure" lässt er die namhaften Theaterregisseure der deutschsprachigen Bühnen zu einem alljährlichen Treffen zusammenkommen: Klaus Schreimann und Leander Grausmann, Franz Schahsdorf, Jürgen Schlimm und Stefan Flachmann. Sie alle reden sich die Köpfe heiß über ihre ach so genialen Pläne und Projekte. Eine böse Polemik, die mit dem zeitgenössischen Theater abrechnet. Dabei war Kreisler ursprünglich ein leidenschaftlicher Theatergänger. Inzwischen aber verschmäht er diese Leidenschaft:

    Was ich am schlimmsten finde, ist, dass diese Jugend heute betrogen wird: diese Regisseure nehmen gute klassische Stücke und verändern sie, schreiben sie um, spielen was anderes als was der Autor geschrieben hat. Und so ist es einem jungen Menschen heute versagt, Shakespeares "Romeo und Julia" z.B. zu sehen oder überhaupt einen Shakespeare zu sehen oder überhaupt einen Klassiker. Wenn er ins Theater zu "Romeo und Julia" geht, da findet er etwas ganz anderes, was dem Regisseur gerade passt. Das ist eigentlich schon ein Verbrechen, es ist eigentlich schon faschistisch, wie ich an anderer Stelle übrigens geschrieben habe: die Nazis haben Stücke genommen und haben sie verändert, damit sie in das damalige deutsche Stückgut passen. Und genau das machen so viele der jungen Regisseure: sie sagen: der Ipsen hat ja nicht gewusst, was er geschrieben hat, ich ändere das alles. Oder irgendetwas dergleichen. Und das ist ein Verbrechen: das, was wir als Junge sehen durften und begeistert sein durften, dürfen die Jungen heute gar nicht mehr sehen.

    Starke Worte eines enttäuschten Liebhabers. Aber Kreisler kritisiert nicht nur das gegenwärtige Regie-Theater. Immer wieder hadert er in seinen Texten ganz generell mit dem so genannten "Kulturbetrieb":

    Ja natürlich: es ist ja heute alles käuflich geworden. Es geht ja alles heute um die Ware Kunst. Die Kunst ist zur Ware geworden. Das sieht man auch an den Auswüchsen der leichten Musik, an den Schlagern, an den Rock-, an den Jazz-Konzerten: wenn Sie heute eine Zeitung aufschlagen, finden Sie Seiten voll mit Rock und Jazz und Soul und Country und alles was Sie wollen und sehr wenig über – ich nenn es jetzt "Ernste Musik", aber es ist ja nicht unbedingt ernst. Und das hat natürlich zur Folge, auch hier: wenn ein junger Mensch lange genug zu Rockkonzerten beispielsweise gegangen ist, verliert er nicht nur das Gehör, man kann ihm dann auch nicht mehr mit einer andern Musik kommen, sie wird ihn langweilen. Das ist so wie beim Essen: wenn Sie jahrelang nichts anderes wie Hamburger mit Ketchup gegessen haben, dann wird Ihnen der Geschmack allmählich für gutes Essen verloren gehen. Und so ist es auch beispielsweise mit der Musik: wenn sie immer wieder nur Disco-Musik und Rock und alles das hören, wenn Sie immer wieder aus sind auf die Rauchbomben und die Tanzschritte und was alles noch dazukommt – und das im-Takt-klatschen-und-sich-anrauchen und alles mögliche, was da noch dabei ist, dann wird Ihnen ein echtes Konzert, ob nun auf CD oder wirklich im Konzertsaal, wenig sagen, es wird Sie langweilen. Nicht, weil es langweilig ist, sondern weil Sie verdorben sind.

    Auch im Alter bleibt Kreisler bissig. Doch so bekannt einem seine Theaterschelte und die Kritik am Kulturbetrieb vielleicht vorkommen: mitunter ist er auch für Überraschungen gut. So bekennt er sich in dem Lied "Der Paule" tatsächlich zur Todesstrafe. Und in "Amerika" attackiert er den undifferenzierten Anti-Amerikanismus des Alten Europa. Wozu man wissen muss, dass Kreisler 1938 vor den Nazis aus Wien in die Vereinigten Staaten geflohen war und dort zum amerikanischen Staatsbürger wurde – der er übrigens bis heute geblieben ist. Zugleich klingt in einigen Texten so etwas wie die Ahnung eines Jenseits durch. Und tatsächlich hält sich Georg Kreisler durchaus für gläubig – und zwar auch als Künstler:

    Ich kann mir keinen Künstler vorstellen, der nicht gottesgläubig ist. Das soll man nicht mit Religion verwechseln: ich bin also nicht religiös. Ich finde, Religion ist die Erfindung von Menschen. Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der sich um die Religion kümmert. Der Glaube, dass es eine höhere Macht gibt, die die Welt erschaffen hat und die Welt auch lenkt, den hab ich schon.

    So sieht sich Georg Kreisler heute ausschließlich als Schriftsteller. Der Kabarettist Kreisler ist bereits vor etlichen Jahren endgültig von der Bühne getreten. Mit dieser Erfahrung hat er abgeschlossen:

    Es waren für mich ja immer zwei verschiedene Prozesse: der erste war der Prozess des Schreibens, und der zweite war der, das Geschriebene auf die Bühne zu bringen – zwei grundverschiedene Dinge. Und jetzt bleibt halt der zweite weg, das stört mich überhaupt nicht. Die Arbeit machen jetzt andere, dankenswerterweise gibt es einige Leute, die meine Stücke spielen, die meine Lieder singen usw. Und ich mach das eben nicht mehr. Für mich war ja immer der erste Teil, also das Schreiben, das Wichtige. Als Entertainer oder als Schauspieler oder als Regisseur: auch das habe ich gemacht, wenn es sich ergeben hat, aber ich hab’s nie so besonders gern gemacht, ich bin kein begeisterter Schauspieler. Ich begeistere mich lieber für andere Schauspieler. Also das stört mich nicht, wenn ich das jetzt nicht mehr mach. Die Berufung ist, hinter der Szene zu bleiben, im Stillen Kämmerlein, wie man so schön sagt, und dort zu arbeiten. Und nicht sich zu produzieren, das empfinde ich als sehr beglückend, das mache ich am liebsten.

    Georg Kreisler

    Mein Heldentod
    Arco, EUR 19,90