Dina Netz: Wirtschaftlich fährt China rasant auf der Überholspur. Im Moment liegt es beim Bruttoinlandsprodukt auf Platz vier der Weltrangliste. Schon nächstes Jahr wird an Deutschland vorbei auf den dritten Rang rücken, schätzen Ökonomen, und 2050 fegt es die USA von Platz eins weg. In dem Tempo kann keine Kultur, keine Religion und kein politisches System mitziehen. Aber auch in den anderen gesellschaftlichen Bereichen ist Bewegung. Die Kultur zum Beispiel prosperiert, so gut es unter der Zensur möglich ist. Was die bildende Kunst betrifft, will zum Beispiel das Centre Pompidou einen Zweig in Shanghai aufmachen. Und jetzt gerade hat ein belgischer Kunstsammler das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Peking eröffnet. Stefan Koldehoff ist gerade von dort zurück. Herr Koldehoff, wie kommt es dazu, ein Belgier eröffnet in China ein Museum für aktuelle Kunst?
Stefan Koldehoff: Der Gedanke, der dahintersteckt, ist eigentlich ein sehr schöner. Dieser Unternehmer Guy Ullens hat nämlich eigentlich sich nur gesagt, ich möchte diesem Land zurückgeben, was ich ihm einmal weggenommen habe. Das klingt kriminell, ist es aber gar nicht. Guy Ullens war einer derjenigen, die 1985, als nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes China unter Deng Xiaoping auch die kulturelle Öffnung folgte, gesammelt hat, und zwar Kunst gesammelt hat einer Künstlergeneration, die sich generation 85 nennt, also diejenigen waren, die zum ersten Mal nach der Eröffnung die Möglichkeit hatten, westliche Philosophen zu lesen, etwas über den Surrealismus zu erfahren, sich daran zu orientieren. Und das, was sie dort zum ersten Mal auf chinesisch übersetzt wahrnehmen konnten, dann auch in ihre eigenen Bildwelten umsetzen konnten. Die Bilder sind damals u. a. nach Belgien in die Sammlung Ullens gegangen. Und Herr Ullens hat inzwischen so viel beisammen, dass er sich überlegt hat, was mache ich denn damit. Und anstatt nun ein Museum in Belgien oder in Gent oder wo auch immer zu gründen, hat er gesagt, nein, ich gehe damit zurück nach Peking, und ich zeige den Chinesen, was denn eigentlich ihre eigene Kunst ist. Denn im Land selbst ist von diesen Bildern nicht mehr viel übrig geblieben, weil zum einen viel verkauft wurde, und weil man zum anderen aber auch nach der Niederschlagung der Proteste 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens Angst hatte, die Sachen im eigenen Land zu behalten.
Netz: Herr Koldehoff, das ist auch so eine Art Akt der Identitätsstiftung? Es geht nicht nur darum, da wird ein neues Museum eröffnet, sondern da wird einem Land seine eigene Kunst zurückgegeben?
Koldehoff: Das muss man so sehen, und das ist auch dringend nötig. Denn das, was wir größtenteils hier in Europa als chinesische Kunst wahrnehmen, das ist nicht das, was dort ernsthafte Künstler tatsächlich machen wollen. Das, was man hier lange in den 90er Jahren von einige Galeristen und Sammlern zielgerichtet platziert wahrgenommen hat, das war so eine Art Neo-Pop-Art. Sie kennen diese Bilder "Mao mit Mütze" vor einem bunten Coca-Cola-Plakat, das sollte provokativ sein, das sollte irgendwie progressiv wirken, und tatsächlich war es aber vor allen Dingen für die vermuteten Wünsche westlicher Sammler gemalt.
Netz: Oder das, was wir jetzt in den letzten Jahren viel sehen, das sind so epigonale Werke, von denen man glaubt, dass die auf den westlichen Kunstmessen gut gehen, aber das ist gerade nicht, was Guy Ullens zeigt?
Koldehoff: Nein, Ullens hat sich von Anfang an konzentriert auf das Eigenständige, also auf Künstler, die tatsächlich aus dieser Öffnung ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, und die das in eigene Bilder umgesetzt haben. Was man dort sieht in dieser Ausstellung, übrigens in einem Museum, in einer ehemaligen, fast bauhausähnlichen Fabrikhalle, das sind Werke, die so unterschiedlich sind wie die Künstler, die dahinterstecken. Sie haben Bilder, die daraus bestehen, dass Klassiker der westlichen Kunstgeschichte mit einer Art Lack übergossen wurden, und dann wurden Buchstaben darauf gemalt. Das sieht ein bisschen aus wie Dadaismus, weil aus dem Chaos dann doch wieder durch die Buchstaben eine neue Ordnung erscheint.
Es gibt vollkommen abstrakte Bilder, ganz losgelöst von jedem Gegenstand, man kann mit viel Fantasie Wellen darin erkennen. Tatsächlich ist es ein Versuch, ganz unabhängig von dem, was die chinesischen Akademien vorgegeben hatten, mit Form und Farbe zu eigenständigen Ergebnissen zu kommen.
Es gibt Künstler, die ihre eigene Ateliersituation zum Thema machen. Es gibt Künstler, die die großen sozialen Unterschiede, die dieses im totalen Umbruch begriffene Land natürlich auch produziert, auf ihren Leinwänden festhalten. Also es ist eine ungeheuer disparate Kunst. Man kann, wenn man diese Aufstellung gesehen hat, nicht sagen, es gibt die chinesische Kunst der Gegenwart.
Netz: Aber alles, was diese Sammlung Guy Ullens dann nun im Peking zeigt, sind Werke aus den 80ern, oder gibt es auch richtige aktuelle Positionen chinesischer Kunst?
Koldehoff: Man hat sich, und das ist eigentlich vernünftig für diese Eröffnungsausstellung, die übrigens nicht nur aus der Sammlung Ullens besteht, denn dieses neu gegründete Museum, das da eröffnet wurde, hat sich zum Ziel gemacht, auch Ausstellungen zu veranstalten, die aus anderen Quellen gespeist werden. Man hat sich sinnvoller Weise in dieser Anfangsausstellung darauf konzentriert, den Aufbruch, also diese Generation 85 tatsächlich zu zeigen und sich darauf zu konzentrieren. Man sieht also Werke aus den Jahren ′85 bis ′89, kuratiert das Ganze übrigens von chinesischen Kuratoren, wie dieses ganze Museum eigentlich geleitet wird von sehr, sehr guten chinesischen Kunsthistorikern. Mir erscheint es für den Anfang sinnvoll, es soll ganz anderes folgen. Es sollen natürlich Ausstellungen folgen, die bis in die unmittelbare Gegenwart reichen, es soll aber auch Ausstellungen geben mit westlichen Künstlern, wie beispielsweise Rebecca Horn, die dort im kommenden Jahr gezeigt werden wird, sodass man den Chinesen auch die Gegenwartskunst des Westens nahebringt.
Netz: Stefan Koldehoff war das über das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Peking.
Stefan Koldehoff: Der Gedanke, der dahintersteckt, ist eigentlich ein sehr schöner. Dieser Unternehmer Guy Ullens hat nämlich eigentlich sich nur gesagt, ich möchte diesem Land zurückgeben, was ich ihm einmal weggenommen habe. Das klingt kriminell, ist es aber gar nicht. Guy Ullens war einer derjenigen, die 1985, als nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes China unter Deng Xiaoping auch die kulturelle Öffnung folgte, gesammelt hat, und zwar Kunst gesammelt hat einer Künstlergeneration, die sich generation 85 nennt, also diejenigen waren, die zum ersten Mal nach der Eröffnung die Möglichkeit hatten, westliche Philosophen zu lesen, etwas über den Surrealismus zu erfahren, sich daran zu orientieren. Und das, was sie dort zum ersten Mal auf chinesisch übersetzt wahrnehmen konnten, dann auch in ihre eigenen Bildwelten umsetzen konnten. Die Bilder sind damals u. a. nach Belgien in die Sammlung Ullens gegangen. Und Herr Ullens hat inzwischen so viel beisammen, dass er sich überlegt hat, was mache ich denn damit. Und anstatt nun ein Museum in Belgien oder in Gent oder wo auch immer zu gründen, hat er gesagt, nein, ich gehe damit zurück nach Peking, und ich zeige den Chinesen, was denn eigentlich ihre eigene Kunst ist. Denn im Land selbst ist von diesen Bildern nicht mehr viel übrig geblieben, weil zum einen viel verkauft wurde, und weil man zum anderen aber auch nach der Niederschlagung der Proteste 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens Angst hatte, die Sachen im eigenen Land zu behalten.
Netz: Herr Koldehoff, das ist auch so eine Art Akt der Identitätsstiftung? Es geht nicht nur darum, da wird ein neues Museum eröffnet, sondern da wird einem Land seine eigene Kunst zurückgegeben?
Koldehoff: Das muss man so sehen, und das ist auch dringend nötig. Denn das, was wir größtenteils hier in Europa als chinesische Kunst wahrnehmen, das ist nicht das, was dort ernsthafte Künstler tatsächlich machen wollen. Das, was man hier lange in den 90er Jahren von einige Galeristen und Sammlern zielgerichtet platziert wahrgenommen hat, das war so eine Art Neo-Pop-Art. Sie kennen diese Bilder "Mao mit Mütze" vor einem bunten Coca-Cola-Plakat, das sollte provokativ sein, das sollte irgendwie progressiv wirken, und tatsächlich war es aber vor allen Dingen für die vermuteten Wünsche westlicher Sammler gemalt.
Netz: Oder das, was wir jetzt in den letzten Jahren viel sehen, das sind so epigonale Werke, von denen man glaubt, dass die auf den westlichen Kunstmessen gut gehen, aber das ist gerade nicht, was Guy Ullens zeigt?
Koldehoff: Nein, Ullens hat sich von Anfang an konzentriert auf das Eigenständige, also auf Künstler, die tatsächlich aus dieser Öffnung ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, und die das in eigene Bilder umgesetzt haben. Was man dort sieht in dieser Ausstellung, übrigens in einem Museum, in einer ehemaligen, fast bauhausähnlichen Fabrikhalle, das sind Werke, die so unterschiedlich sind wie die Künstler, die dahinterstecken. Sie haben Bilder, die daraus bestehen, dass Klassiker der westlichen Kunstgeschichte mit einer Art Lack übergossen wurden, und dann wurden Buchstaben darauf gemalt. Das sieht ein bisschen aus wie Dadaismus, weil aus dem Chaos dann doch wieder durch die Buchstaben eine neue Ordnung erscheint.
Es gibt vollkommen abstrakte Bilder, ganz losgelöst von jedem Gegenstand, man kann mit viel Fantasie Wellen darin erkennen. Tatsächlich ist es ein Versuch, ganz unabhängig von dem, was die chinesischen Akademien vorgegeben hatten, mit Form und Farbe zu eigenständigen Ergebnissen zu kommen.
Es gibt Künstler, die ihre eigene Ateliersituation zum Thema machen. Es gibt Künstler, die die großen sozialen Unterschiede, die dieses im totalen Umbruch begriffene Land natürlich auch produziert, auf ihren Leinwänden festhalten. Also es ist eine ungeheuer disparate Kunst. Man kann, wenn man diese Aufstellung gesehen hat, nicht sagen, es gibt die chinesische Kunst der Gegenwart.
Netz: Aber alles, was diese Sammlung Guy Ullens dann nun im Peking zeigt, sind Werke aus den 80ern, oder gibt es auch richtige aktuelle Positionen chinesischer Kunst?
Koldehoff: Man hat sich, und das ist eigentlich vernünftig für diese Eröffnungsausstellung, die übrigens nicht nur aus der Sammlung Ullens besteht, denn dieses neu gegründete Museum, das da eröffnet wurde, hat sich zum Ziel gemacht, auch Ausstellungen zu veranstalten, die aus anderen Quellen gespeist werden. Man hat sich sinnvoller Weise in dieser Anfangsausstellung darauf konzentriert, den Aufbruch, also diese Generation 85 tatsächlich zu zeigen und sich darauf zu konzentrieren. Man sieht also Werke aus den Jahren ′85 bis ′89, kuratiert das Ganze übrigens von chinesischen Kuratoren, wie dieses ganze Museum eigentlich geleitet wird von sehr, sehr guten chinesischen Kunsthistorikern. Mir erscheint es für den Anfang sinnvoll, es soll ganz anderes folgen. Es sollen natürlich Ausstellungen folgen, die bis in die unmittelbare Gegenwart reichen, es soll aber auch Ausstellungen geben mit westlichen Künstlern, wie beispielsweise Rebecca Horn, die dort im kommenden Jahr gezeigt werden wird, sodass man den Chinesen auch die Gegenwartskunst des Westens nahebringt.
Netz: Stefan Koldehoff war das über das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Peking.