Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Ein allgegenwärtiger Komponist

Er ist der berühmteste Sohn der Stadt: Ludwig van Beethoven wurde 1770 in Bonn geboren. Der Komponist der Wiener Klassik hat am Rhein seine Kindheit verbracht, wurde hier musikalisch ausgebildet und begann früh mit dem Berufsleben als Musiker. In seinem Geburtshaus und bei Stadtführungen lässt sich einiges über ihn erfahren.

Von Henning Hübert | 26.07.2009
    Es ist nicht der Titan Beethoven, den man in der Bonngasse ausstellt. Im Museumshop mit den vielen Spieluhren, CDs und Ansichtskarten und im daneben gelegenen Geburtshausmuseum geht es vielmehr um das Private, Bürgerliche des Musikgenies, das früh arbeiten gehen musste, um mitzuhelfen bei der Ernährung der Familie. Dem erst zehnjährigen Besucher Oli Soptschack aus Köln gefällt diese Sicht auf seinen Lieblingskomponisten. Gerade hat er sich ins Gästebuch eingetragen:

    Beethoven ist total supi und ich finde es toll, dass hier sein originales Geburtshaus ist. Von Oli

    Oli hat sich mit Mutter und Vater einer neu ins Programm aufgenommenen, einmal in der Woche stattfindenden Familienführung durch das Haus angeschlossen.

    Im Fachwerkhinterhaus in der Bonngasse 20, nobler gesagt: dem Gartenflügel, kam Ludwig van Beethoven im Dezember 1770 zur Welt: ein kleines, verwinkeltes Haus, durch das Christine Köndgen führt. Sie ist im Hauptberuf Lehrerin und erklärt am Wochenende die Exponate. Das erste Lebenszeugnis Ludwig van Beethovens ist der erhaltene Taufbucheintrag aus der nahe gelegenen Remigiuskirche. Die Führerin beugt sich über ihn und erklärt ihn den Kindern:

    "So hier ist der Taufeintrag, wenn ihr den lesen mögt: Er ist ja am 17. Dezember 1770 in diesem Haus, in diesem Zimmer geboren worden. Auf der Seite sind die Eltern Johann Ludwig van Beethoven und Helena. Auf der andern Seite sind die Taufpaten: Der Großvater und Gertrude Müller, eine Frau, die wohnte da, wo heute der Shop ist. Das war mal das Gasthaus zum Mohren."

    Vor 120 Jahren war dieses Gasthaus sehr heruntergewirtschaftet und stand zum Verkauf. Zwölf Bonner Bürger haben es zusammen mit dem rückwärtigen Gartenflügel gekauft und für den bis heute bestehenden Verein saniert. Über die Diele geht es zu einer weiteren Vitrine. Ausgestellt ist eine Konzertankündigung, in dem sein Vater - auch er war ein Berufsmusiker - für ein Konzert mit Ludwig van Beethoven als musikalischem Wunderkind geworben hat. Aus der Besuchergruppe kann Alexander Reischert den Text entziffern:

    Avertissement. Heute Dato den 26. Martii 1778 wird auf dem Musikalischen Akademiesaal in der Sternengass der Kurkölnische Hoftenorist Beethoven die Ehre haben, zwei seiner Scholaren zu produzieren. Nämlich Mdme. Averdon, Hofaltistin, und sein Söhnchen von sechs Jahren. Erstere wird mit verschiedenen schönen Arien, letzterer mit verschiedenen Klavierkonzerten und -trios die Ehre haben aufzuwarten. Wo er allen hohen Herrschaften ein völliges Vergnügen zu leisten sich schmeicheln, um je mehr, da beide zum größten Vergnügen des ganzen Hofes sich hören zu lassen die Gnade gehabt haben.

    Der ehrgeizige Vater Johann will seinen Ludwig früh ins Rampenlicht stellen - ähnlich wie es ein paar Jahre zuvor Leopold Mozart mit seinem Wolfgang tat. Und dafür wird eben auch geschummelt. Christine Köndgen:

    "Der Vater versucht also auch so, sein Kind als Wunderkind anzupreisen. Und damit kann man natürlich Geld machen. Er wird einfach ein bisschen jünger gemacht. Und dann verlangt er auch noch relativ viel Eintrittsgeld: einen Gulden. Das würde heute ungefähr 60 Euro entsprechen."

    Ludwig hat in Bonn nicht nur das Spiel auf dem Klavier und der Orgel gelernt - sondern auch das auf der Bratsche. Wie sie klingt, führt der Ehemann von Christina Köndgen den Kindern und ihren Eltern auf seinem Instrument vor. Er ist Dozent an der nahe gelegenen Universität, in dem Gebäude des alten kurfürstlichen Schlosses, in dem Beethoven seinen Dienst beim rheinischen Kurfürsten Maximilian Franz versah.

    Hinter Glas ausgestellt sind mehrere Streichinstrumente, die Beethoven gehört haben. Die jüngste Erwerbung: eine Bratsche, gebaut von Sebastian Dalinger, die dem kurfürstlichen Orchester gehörte und auf der der junge Beethoven als Stelleninhaber gespielt haben soll - ein Instrument, das sorgsam restauriert wurde, und auf dem viele Musiker gerne spielen würden. Tabea Zimmermann durfte mit "Beethovens Bratsche" sogar eine ganze CD aufnehmen.

    "Der Beethoven hat bereits ab dem zehnten Jahr im Orchester mitgewirkt, ab dem zwölften Jahr hatte er eine hauptamtliche Stelle an der Kirche. Und hier war er etwa 16 Jahre alt, als er auf dieser Bratsche gespielt hat. Mit zehn Jahren hat der Beethoven die Schule verlassen."

    Bildung vermittelt bekam er nur noch im Gegenzug für Klavierunterricht. Dieser gegenseitige Austausch fand statt mit den Kindern der befreundeten Bonner Familie von Breuning. Hier hat er auch die Literatur der Schriftsteller seiner Zeit kennengelernt, Schiller zum Beispiel; und seine Jugendfreundin Eleonore.

    "Also ich weiß nicht, ob das jetzt die Familie war. Ich hab heute im Internet gelesen, dass der Beethoven Klavierlehrer war, der Schüler hatte und der sollte dort hingehen, damit er eine Stunde gibt. Und dann ist er kurz vor dem Haus zurückgekehrt und hat gesagt, dass er morgen dann zwei Stunden gibt. Genau, der hat nicht gerne unterrichtet, der Beethoven, aber er musste schon sehr früh Geld verdienen für seinen Vater und für zwei weitere Brüder. Denn der Papa hat seine Stimme kaputtgemacht. Der hat gerne ein bisschen viel Alkohol getrunken. Also ich hab auch gelesen, dass der Vater oft abends aus der Kneipe kam, aus dem Gasthaus, wo er dann betrunken anwatschelte. Und dann war der Ludwig van Beethoven schon am schlafen. Und dann hat der Vater ihn aufgeweckt und gesagt, dass er Klavier üben solle. Und wenn er das nicht wollte, dann gab es eins auf die Nuss."

    Jetzt werden Zettelchen im Kreis verteilt, darauf ein paar Takte aus dem Schlusssatz der Neunten Sinfonie mit dem Text von Schillers Ode an die Freude. Jeder darf mitsingen.

    "Familien singen die Ode an die Freude ... Super-Spontan-Chor, muss man immer dazu sagen. Eine Stelle: Was die Mode streng geteilt. Jetzt müssen wir uns zurückversetzen. 1789 war die Französische Revolution. Und die Franzosen sind auch hier ins Rheinland hereingekommen. Beethoven war mit 22 nach Wien gegangen, um nie mehr wieder zurückzukommen. Er wollte zurückkommen, er wollte auch Kapellmeister werden. Aber inzwischen waren die Franzosen auch im Rheinland, haben den Kurfürsten verjagt. Es gab auch gar kein Orchester mehr. Und Beethoven hatte gar keine Chance gehabt, hier eine Stelle anzunehmen, wie sein Großvater als Kapellmeister. Deswegen blieb er tatsächlich in Wien. Also das ist der größere Hintergrund. Aber: Beethoven hat diese Ideale der Französischen Revolution sehr geschätzt. Das kommt hier in der Ode an die Freude auch zum Vorschein."

    Ein Werk, das nur Freunde hat - und es zur Europahymne geschafft hat. Dass alle seine Sinfonien in Wien entstanden sind, dass stört in diesem Zusammenhang in Bonn niemanden. Besucher Alexander Reischert:

    "Als Rheinländer sieht man Beethoven natürlich als Bonner. Sonst ist er halt Weltbürger. Also: Bonner oder Europäer."

    Für Oli ist Beethoven gerade sogar der absolute Favorit. Seine Musik zieht er im Augenblick jedem Popsong vor, erzählt er am Ausgang.

    "Also die ist lebendig, finde ich, Freude schöner Götterfunken zum Beispiel. Also die gefällt mir. Für mich ist das ganz normale Musik, fast wie heute die Rockmusik, nur dass das noch auf Klavier gespielt wird."

    Aus dem Beethovenhaus heraus geht es vorbei am Kammermusiksaal mit dem Beethovenarchiv. In Tresoren im Keller liegen hier wichtige Musikhandschriften sicher verwahrt, alles ist auch schon digitalisiert. Musikwissenschaftler edieren hier die neue kritische Gesamtausgabe - von den über 50 Bänden ist die Hälfte schon herausgegeben.

    Allein durch die Schenkung des Sammlers Hans Conrad Bodmer vor gut 50 Jahren kamen nach Bonn noch einmal fast die Hälfte aller erhaltenen Beethovenbriefe und wichtige Autografen wie das der Waldsteinsonate oder des letzten Streichquartetts dazu.

    Während die Forscher sich eher im Stillen mit Beethoven auseinandersetzen, liefert eine "amüsante Stadtführung" eines verkleideten Bäckermeisters an jeder Straßenecke Anekdoten über Beethovens Zeit in Bonn. Die Beethovens zogen in Bonn mehrmals um. Lange Jahre waren sie Mieter bei einer Bäckerfamilie in der Rheingasse. Peter Schild hat in seinem linken Arm einen Korb voller Brötchen. Unter den rechten Arm hat er ein Buch geklemmt, aus dem er seiner Gruppe die besten Anekdoten vorlesen wird.

    "Der Bäckermeister Fischer hat ein eigenes Buch geschrieben. Nämlich die 'Aufzeichnungen des Bäckermeisters Gottfried Fischer über Beethovens Jugend'. Und da hat er in großem Wortreichtum und meistens recht langweiliger Erzählweise seine Erinnerungen zu Papier gebracht. Manchmal ist es schon eine leichte Qual, das zu lesen, ist aber eine sehr interessante Quelle."

    Immer an der Seite des Bäckermeisters: der Führer Daniel Seibert, der für die historische Einordnung der Anekdoten sorgt. Schnell erklärt er heute seiner Gruppe von Versicherungsfachleuten, die in Bonn auf einer Tagung sind, dass van Beethoven ein flämischer Name ist - der Großvater stammte aus Mechelen - und so viel wie "von dem Rübenacker" heißt. Schon gibt es den ersten Streit um den genauen Geburtsort des Komponisten.

    Seibert: "Als Ludwig van Beethoven geboren wurde, da lebte die Familie hier, wo heute das Beethovenhaus steht, in der Bonngasse."

    Bäckermeister: "Nein, nein. Also ich behaupte ja immer noch, dass der bei uns geboren wurde in der Rheingasse. Da können die Herren Wissenschaftler ja behaupten, was sie wollen. Bei uns in der Rheingasse da unten direkt an der Oper: Das war viel schöner und größer. Das war ein toller Blick auf den Rhein - und den liebten die Beethovens. Und überhaupt: Damit das alles seine Richtigkeit hat, habe ich damals auch ein Buch darüber geschrieben. Hier: Des Bonner Bäckermeisters Gottfried Fischers Aufzeichnungen über Beethovens Jugend. Da hab ich alles ganz genau so aufgeschrieben, wie ich mich dran erinnere. Oder wie mir das meine Schwester, die Cäcilia erzählt hat. Ich war noch so ein kleiner Panz damals, konnte mich nicht so genau dran erinnern. Aber die Cäcilia und der Ludwig, nein, das waren ganz dicke Freunde. Und deshalb sage ich, ist er bei uns geboren."

    Seibert: "Das mag ja alles schön und gut sein. Es ist immer sehr angenehm, wenn man seine eigene Quelle hat, aus der man zitieren kann, nicht wahr? Wenn man das selbst geschrieben hat. Aber das Gedächtnis trügte doch ein bisschen. Wir wollen uns aber nicht streiten. Wir fangen mal dort an, wo Ludwig van Beethoven gearbeitet hat, nämlich im Kurfürstlichen Schloss."

    … in dem unter Kurfürst Clemens August, Beethovens Großvater, zum Hofkapellmeister aufstieg, sein Vater Johann unter Maximilian Friedrich als Tenor angestellt war und in dem Ludwig van Beethoven dann unter Maximilian Franz im Orchester und an der Orgel Dienst tat. Unweit dahinter liegt die Rheingasse, in der die ehemalige, heute nicht mehr erhaltene Mietswohnung der Beethovens lag. Insgesamt drei Mal sind die Beethovens bei der Bäckerfamilie Fischer aus- und eingezogen. Am Ende überwog wohl die Freude über den Auszug der Musiker. Peter Schild:

    "Am Abend vor ihrem Namenstag musste Madame van Beethoven bei Zeiten schlafen gehen. Bis zehn Uhr wurde dann alles in größter Stille bereit gemacht. Nun fing die Stimmung an. Jetzt wurde Madame van Beethoven aufgeweckt, unter den Baldachin geführt und auf einen herrlich geschmückten Sessel gesetzt. Nun fing eine wunderbare Musik an. Die erschallte in der ganzen Nachbarschaft. Und alles, was sich zum Schlafen eingerichtet hatte, Bäcker und sonstige hart arbeitende Leute, nicht wahr, ja, das wurde nun wieder munter und heiter gemacht. Nachdem dann die Musik geendigt, da wurde dann aufgetischt und gegessen und getanzt und getrunken. Und wenn die Köpfe zu toll wurden und noch was mehr tanzen wollten, dann wurden, um im Haus keinen Tumult zu machen, die Schuhe ausgetan und auf bloßen Strümpfen getanzt. Und irgendwann dann auch endlich geendigt und beschlossen, fürchterlich!"

    Die Mutter, die aus Ehrenbreitstein stammende Rheinländerin Maria Magdalena van Beethoven, geborene Keverich, starb, als Ludwig 16 Jahre alt war. Sie liegt auf dem Alten Friedhof begraben. Auf einer schlichten Steinplatte auf dem erst 1932 wiederentdeckten Grab erinnert ihr Sohn an sie mit den Worten: "Sie war mir eine so gute liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin".

    Letzte Station auf Beethovens Spuren in Bonn ist das Beethovendenkmal auf dem Münsterplatz, 1845 zu seinem 75. Geburtstag eingeweiht. Es steht dort, wo auch die befreundete Familie von Breuning lebte mit der Tocher Eleonore. In den Sockel eingelassen wurde damals sein Autograf der Missa Solemnis, heute längst ersetzt durch eine Kopie. Das Bronzedenkmal des Dresdner Bildhauers Ernst Hähnel zeigt den "inspirierten Tonkünstler" mit nach oben gewandtem Blick, wie er einen schöpferischen Gedanken empfängt, um ihn sofort mit seinem Griffel im Notenbuch festzuhalten: ganz der Titan. Darunter eine aus der klassischen Mythologie entlehnte Reiterin. Die Bonner von heute scheint auch hier vielmehr das Menschliche zu interessieren.

    Seibert: "Es handelt sich bei der Dame um die auf der Sphinx reitenden Fantasie. Und die Fantasie, die war für Hähnel der zentrale Aspekt im Schaffen Beethovens. Ohne Fantasie geht gar nichts. Da haben wir auch noch ein kleines Anekdötchen für Sie."

    Schild: "Als hier eingeweiht wurde, da war hier von Fantasie nicht allzu viel zu spüren. Da war hier alles schön verhüllt, der ganze Platz voll mit Stadtvolk. Und dahinter am Hauptpostamt, da sehen Sie diesen kleinen Balkon: Da stand Friedrich Wilhelm von Preußen und Königin Victoria von England, also höchster Besuch. Da wurden groß Reden geschwungen, alles war ganz toll, dann wurde das Denkmal enthüllt - und die beiden hohen Gäste waren kreuzbeleidigt. Die haben nämlich nur das Hinterteil von dem Beethoven gesehen. Hätten sie sich mal ein bisschen in das Volk gemischt. Aber die wollten sich ja immer apart halten."

    Seibert: "Ja sie waren es ein bisschen selbst schuld. Die Herrschaften hatten nämlich ihr kommen erst sehr spät fest angekündigt - und es wurde dann keine eigene Tribüne gebaut, sondern sie wurden dort oben hingesetzt. Angeblich war Alexander von Humboldt mit von der Partie, und der soll dann die Situation gerettet haben, indem er gesagt habe: Ach wissen Sie, Ludwig van Beethoven ist doch immer so ein Flegel gewesen, ein grober Kerl, der hätte es nicht so mit den hohen Herrschaften gehabt. Dann wurde gelacht - und dann war es auch wieder gut."

    Diese Beethovenstatue haben die Bonner von ihrem hohen Sockel geholt und als Fieberglaskopie 50 Mal anlässlich der letzten Beethovenfeste in Geschäften verteilt aufgestellt. Der ernste Blick ist geblieben, nicht aber die dunkle Farbe: Fast immer ist der berühmte Sohn der Stadt jetzt knallbunt angemalt.