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Ein alter Kämpfer gegen die Torheit

Ein "Urviech"hat man den Verleger Ernst Rowohlt genannt. Eine legendäre Gestalt im deutschen Verlagsleben, leitete er mit den rororo-Taschenbüchern in der jungen Bundesrepublik eine Revolution auf dem Buchmarkt ein.

Von Christian Linder | 01.12.2010
    Er sei ja wohl ein Monarch, wurde der Verleger Ernst Rowohlt 1953 in einem Rundfunkinterview angesprochen. Rowohlts Antwort kam prompt und genauso prompt der Widerspruch des Interviewers:
    "Ein greiser Monarch."

    "Na, davon ist wenig zu merken."

    Ernst Rowohlt, geboren am 23. Juni 1887 in Bremen, versprühte damals nun wirklich Energie wie eh und je. "Väterchen" nannten ihn seine Autoren. Legen-där die Ess- und Trinkgelage, die Rowohlt mit seinen Autoren veranstaltete und deren Höhepunkt darin bestand, dass der Verleger in Gläser biss und sie zer-kaute. Ein Original.

    "Mit Spießern habe ich nie gekonnt,"

    sagte er und zitierte gern einen seiner Hausautoren, Kurt Tucholsky:

    "Es ist alles nicht so doll."

    Dabei trieb der Sohn eines gediegenen Bremer Fondsmanagers es gern ganz "doll". Ernst Hermann Heinrich Rowohlt erlernte zwar nach der Mittleren Reife als Banklehrling mit Geld umzugehen, aber die Welt der Literatur zog ihn bald nach Leipzig, wo er sich zunächst im Buchhandel umsah und 1908 als Verleger debütierte:

    "Das erste Buch, das ich verlegt habe, war selbstverständlich ein lyrisches Buch, ‚Lieder der Sommernächte von Gustav C. Edzard. Der Mann, der hat nie wieder ein Buch geschrieben und wurde Rechtsanwalt."

    "Leipzig – Paris" stand als Impressum in seinen Büchern und sollte seinen An-spruch auf Weltgeltung signalisieren. Damals wurde Rowohlt auch der erste Verleger von Franz Kafka. Dessen Freund Max Brod war der Vermittler.

    "Brod kam mit Kafka nach Leipzig und wir saßen im Café Felsche - ich ver-gesse das nie -, Kafka mit einer kleinen Schülermütze sozusagen, einer Art Jockeymütze, und er war furchtbar schüchtern. Er hat aber dann in seinen Tage-büchern auch über mich geschrieben und meinen ihm sehr auffallenden Gang beschrieben."

    Ernst Rowohlt war, allein als "blonder Hüne", per se eine auffällige Er-scheinung, immer nach vorne drängend und seiner "Sache", der Literatur, ver-pflichtet. Ein Gerücht besagte, dass er dabei die von ihm verlegten Bücher sel-ber gar nicht las - er hatte natürlich auch die besten Lektoren -, sondern sich für die Annahme oder Ablehnung eines Manuskripts entschied, indem er den Text in die Hand nahm und ihn gegen seinen kahlen Schädel schlug:

    "Ich brauche mir nur ein Manuskript um den Kopf zu hauen und weiß, ob es etwas taugt."

    Aber es waren schwierige Zeiten, und nach dem Ersten Weltkrieg musste Ro-wohlt noch einmal von vorne anfangen, diesmal in Berlin. Ein Großteil der intellektuellen Prominenz Deutschlands - Autoren wie Walter Hasenclever, Franz Mehring oder Robert Musil - veröffentlichte damals im Rowohlt Verlag, aber auch ausländische Autoren wie die Amerikaner Sinclair Lewis, William Faulkner oder Ernest Hemingway fanden hier ihr Zuhause. Bei aller forsch nach außen inszenierten Lebensfreude war Ernst Rowohlt zugleich ein fleißiger Arbeiter und verlangte diesen Fleiß auch von seinen Autoren.

    "Ich weiß ja zum Beispiel von dem Autor, mit dem ich den größten Erfolg gehabt habe, Hans Fallada, dass der wie ein Tier gearbeitet hat, um jedes Jahr sein Buch fertigzumachen … Ohne Fleiß kein Preis."

    Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte Ernst Rowohlt mühsam, denn die meisten seiner Autoren waren von den Nazis verfemt, und Rowohlt selbst er-hielt Berufsverbot. Sein Sohn Heinrich Maria hielt den Verlag über Wasser. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann der dritte Beginn, diesmal in Hamburg. Wie-der schwierige Zeiten. Aber wieder hatte Rowohlt eine glänzende Idee: Im Juni 1950 veröffentlichte der Verlag in Deutschland die ersten Taschenbücher:

    "Wir drucken die Bände im Rotationsdruck, allerdings auf aufgebessertem Zeitungspapier, und lassen sie im Lumbeckverfahren binden. Das garantiert eine große Haltbarkeit des Rückens, die Bücher liegen flach auf, und da der deutsche Bücherkäufer stets gern Halbleinenbände haben will, haben wir auch einen Halbleinenrücken angewandt."

    Bis zu seinem Tod am 1. Dezember 1960 regierte der "Monarch" Ernst Rowohlt mit großer Lust und Freude und viel Verständnis gegenüber seinen Autoren und auch gegenüber dem Buchhandel, als dessen Mitglied er sich immer ver-standen hatte. Die Inschrift auf seinem Grabstein schrieb Ernst Rowohlt sich selbst:

    "Hier ruht ein Verleger, der 54 Jahre Buchhändler war und nicht geisteskrank wurde, und der sein Leben lang, fast umsonst, ein alter Kämpfer gegen die Tor-heit war."