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Ein Amerikaner in der DDR

Stefan Heym wurde am 10. April 1913 in Chemnitz geboren. Als junger Mann ging er in die USA, veröffentlichte unter anderem seinen kriegskritischen Roman "Kreuzfahrer von heute". Aus Protest gegen den Antikommunismus der McCarthy-Ära siedelte er 1952 in die DDR über.

Von Manfred Jäger | 10.04.2013
    Stefan Heym, der zupackende Zeitgenosse, wollte stets alles im Griff behalten. Ihm lag auch daran festzulegen, was die Nachwelt von ihn halten sollte. So ärgerte es ihn, dass der Spezialist für Nekrologe der "New York Times" ihm nicht sagen wollte, was das Weltblatt dereinst über ihn schreiben würde. Er schritt zur Selbsthilfe und verfasste seinen "Nachruf", ein Buch von mehr als 800 Seiten.

    "Ich hab meine Hosen ziemlich weit runter gelassen, aber doch nicht ganz. Kann auch keiner von mir verlangen. Aber ich hab doch eine ganze Menge erzählt über meine Mängel und meine Befürchtungen und wo ich gekniffen habe, wo ich etwas Falsches gemacht habe."

    Heym beansprucht Diskretion. Er liefert in seinen Memoiren keine Psychoanalyse. Er öffnet sich detailverliebt und anekdotenfreudig der Welt. Zugleich ordnet er alle Ereignisse auf sich hin, den selbstbewussten S.H.‚ von dem er nur mit den Initialen und in der dritten Person berichtet.

    Der am 10. April 1913 in Chemnitz geborene Helmut Flieg floh 1933 nach Prag, weil ihm die Verhaftung drohte. Den Eltern teilte er die geglückte Ankunft unter dem rasch erfundenen Absender Stefan Heym mit, dem Namen, unter dem er später zu Weltruhm gelangen sollte. 1935 wurden die Vereinigten Staaten zur neuen Heimat des jungen Autors, dessen Geschichten politische Recherche und unterhaltsame Erfindung verbanden. Diesem realistischen Prinzip blieb er zeitlebens treu.

    Von Anfang an schrieb er "auf Amerikanisch", in der handfesten Sprache, die zu seinem Aufstiegs- und Wirkungswillen passte. Heym war glücklich, in die US-Army eingezogen und amerikanischer Staatsbürger zu werden. An der Westfront wurde er als Flugblattverfasser und als Vernehmer deutscher Soldaten innerhalb der psychologischen Kriegsführung eingesetzt.

    1948 erscheint sein kritischer Kriegsroman "The Crusaders", "Kreuzfahrer von heute". Als der Antikommunismus in den USA wächst, wird Heym 1952 DDR-Bürger. Trotz seines prinzipiellen Jas zum "Arbeiter- und Bauernstaat" verunsichert der Selfmademan mit seinen Allüren den Apparat. Er gilt als amerikanischer Autor mit deutsch-jüdischer Herkunft. Sein Roman über den Aufstand des 17. Juni 1953 bleibt bis zum Ende der Diktatur in jeder Fassung verboten. Bei diversen Protestaktionen ist Heym ein Wortführer. Stets wehrt Heym sich offensiv und nutzt ohne Berührungsangst die Westmedien. Als das DDR-Regime zusammenbricht, analysiert er glasklar:

    "Die Führung einer Partei hatte sich die Herrschaft über das Volk und seine Vertretungen angemaßt. Vom Stalinismus geprägte Strukturen hatten alle Lebensbereiche durchdrungen. Gewaltfrei durch Massendemonstrationen hat das Volk den Prozess der revolutionären Erneuerung erzwungen, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht."

    Wie viele andere Intellektuelle wollte auch Heym, dass jetzt eine demokratisch-sozialistische DDR als Alternative zur kapitalistischen Bundesrepublik entstünde. Aber der Skeptiker hatte früher als andere Zweifel, wie ein Radiointerview schon Ende November 1989 zeigte:

    "Denn - natürlich- an die Moral der Menschen appellieren, ist der reine Quatsch. Der alte Brecht hat schon gedichtet: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Das muss jeder politisch denkende Mensch immer im Kopf haben, diesen Spruch, der ist von kardinaler Wichtigkeit."

    Als die Einheit kam, zog Heym sich nicht in den Schmollwinkel zurück. Gewählt auf der "offenen Liste der PDS" durfte er als Alterspräsident im November 1994 mit einer würdigen Rede den 13. Deutschen Bundestag eröffnen. Er ließ sich nicht durch die bösartige Begleitmusik derer provozieren, die die Nutzung dieser Tribüne durch die PDS schwer aushielten.

    Am 16. Dezember 2001 starb Stefan Heym während einer Reise in Jerusalem, in einer ihm symbolisch vertrauten Gegend. Denn sehr bewusst hatte der Chronist in der jüdischen Geschichte Stoffe für aktuelle Themen gefunden. So entstanden mit dem "König David Bericht" (1972) und mit "Ahasver" (1981) seine besten Romane.