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Ein Amerikaner in Italien

Der Wahlitaliener Alan Curtis hat sich der Musik von Händel verschrieben. Die Einspielungen mit seinem Ensemble "Complesso Barocco" sind für Nachwuchsmusiker und Barockexperten ein absolutes Muss. Als guter Geist fungiert die Krimiautorin Donna Leon.

Von Thomas Migge | 27.12.2008
    Der österreichische Countertenor Max Emanuel Cencic singt in Christoph Willibald Glucks selten zu hörender Oper "Ezio". In Poissy, einer Vorstadt von Paris, wo die Oper für eine CD-Einspielung einstudiert wurde. Es spielt das Ensemble "Complesso Barocco", das vor 30 Jahren gegründet wurde. Von dem Wahlitaliener Alan Curtis. Er lebt in Florenz:

    "Ich bin Amerikaner, und ich liebe Italien. Mir gefallen die Leute und ihre Art zu leben. Es ist fast ideal hier"

    Aber auch nur fast. Curtis hat sich der alten Musik verschrieben, Händel vor allem, und damit hat er in Italien einen schweren Stand: Barocke Töne hört man im Heimatland des Belcanto nicht gern. Aber der Musiker weiß sich durchzusetzen.

    Von sich selbst sagt er, dass wenn er diese Durchsetzungsfähigkeit nicht von Anfang an gehabt hätte, er nie Musiker geworden wäre, denn seine Familie hatte mit Musik gar nichts im Sinn, sah darin nur sinnlose Zeitverschwendung:

    "Andere Dinge waren bei uns viel wichtiger. Mein Vater war sehr in Sorge, dass ich mich für eine so brotlose Kunst wie die barocke Musik interessierte. Ich machte Druck und schließlich durfte ich Musik studieren."

    Und zwar an der US-amerikanischen Michigin-University. Curtis war einer der ersten, der Händels Opern kritisch bearbeitete und die alte ursprüngliche Aufführungspraxis mit Originalinstrumenten studierte. Schließlich wurde er zum vielleicht wichtigsten Bahnbrecher der heutigen Händelbegeisterung:

    "Seine Opern bieten komplexe psychologische Strukturen. Früher dachte man immer, dass Händel nur nette Musik komponiert habe. Doch er war ein Meister darin, tiefe Gefühle in Musik auszudrücken."

    Curtis’ Einspielungen, in der Regel alle zwei Jahre eine CD, sind für Nachwuchsmusiker und Barockexperten ein absolutes Muss für Studium und Lehre. Es war vor 30 Jahren, dass er sich dazu entschied, mit Hilfe eines eigenen Ensembles, des "Complesso Barocco", die auf seinen Studien beruhenden Interpretationen zunächst von Händel, dann aber auch von anderen Barockkomponisten musikalisch umzusetzen.

    "Ich spürte, dass damals der Zeitpunkt gekommen war, eine Händel-Oper endlich so aufzuführen, wie man das meiner Meinung nach tun musste. Ich liebte Händel, fand aber, dass man diese Musik nicht mit modernen Instrumenten spielen durfte. Ich wollte (…) etwas Neues machen, mit einem Orchester, so, wie Händel es besaß. Man hatte damals gerade die Briefe des Franzosen Fugare entdeckt, ein Zeitgenosse Händels, Briefe, in denen Fugare Händels Londoner Orchester Instrument für Instrument beschrieb."

    Alan Curtis nahm den Inhalt dieser Briefe wörtlich und setzte danach sein eigenes Orchester zusammen. Die hochqualifizierten Musiker stammen fast alle aus Italien. Seit Jahren tritt das Ensemble Complesso bei den wichtigsten Festivals barocker Musik auf.

    Wer heute eine Händeloper hört und sieht hat es in fast allen Fällen mit einer Curtis-Bearbeitung zu tun. Curtis rühmt sich damit, als erster die vergessene "arciliuto", die Erzlaute, wieder in ein Barockensemble eingeführt zu haben. Sie war eines der Lieblingsinstrumente Händels und ist heute aus keinem Barockorchester mehr wegzudenken.

    Alan Curtis’ "Complesso Barocco" ist seit letztem Jahr Orchester "in residence" in Poissy. In Italien wäre so etwas nicht möglich - wie überhaupt die meisten Konzerte von Curtis und seinen Musikern außerhalb seines geliebten Italien stattfinden, dort, erklärt er, wo man Barockmusik mag.

    Der gute Geist des "Complesso Barocco" ist die international bekannte und in Venedig lebende Krimiautorin Donna Leon:

    "Ich kannte Alan als Zuhörerin seit Jahren. Wir lernten uns bei einem gemeinsamen Freund kennen: es war Liebe auf den ersten Blick. Und Alan kannte mich durch meine Romane"

    Donna Leon ist häufig anzutreffen, wenn Curtis und seine Musiker Händel spielen. Wenn sie CDs aufnehmen ist die Amerikanerin Mädchen für alles: Sie schmiert (…)Brote, sorgt für Kaffee und Tee, für gute Laune und hilft bei so manchen Produktionen auch mit eigenem Geld aus. Donna Leon nennt die Musiker des Complesso "meine Music Babies":

    "Einige der Musiker könnten meine Enkel sein. Sie sind zwischen 20 und 25 Jahren junge, während ich 64 bin. Ich liebe diese jungen Leute sehr, weil sie ihre Arbeit wirklich gut machen; und dann gibt es unter ihnen und mit den Sängern diese tiefe Einheit, bei der ich mich sehr zu Hause fühle"