Archiv


Ein Anruf genügt …

In Deutschland wächst die Angst vor dem Überwachungsstaat. Im Zentrum der Befürchtungen steht die Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten. Kritiker sehen in diesem Vorhaben eine Beschneidung von Grundrechten. Und die Telefonseelsorge befürchtet, dass Hilfesuchende aufgrund der Vorratsdatenspeicherung vor Anrufen zurückschrecken.

Von Dorothea Jung |
    "Vorratsdatenspeicherung bedeutet, dass gespeichert wird, wer wann mit wem kommuniziert hat, wie lange das gedauert hat - und wenn jemand dabei ein Handy benutzt hat, auch noch, wo er dabei gewesen ist."

    Ricardo Cristof Remmert-Fontes ist ein leidenschaftlicher Gegner des unkontrollierten Speicherns von Daten. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat der Berliner Aktivist des "Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung" Anfang Oktober einen internationalen Aktionstag gegen das ausufernde Datensammeln organisiert. Motto: Freiheit statt Angst, Stoppt den Überwachungsstaat. Mehrere 10.000 nahmen teil.

    "Ich möchte nicht ausspioniert werden, und das ist ein Eingriff in meine Intimsphäre! Ich glaube, es ist schon so eine Allgemein-Schuldig-Machung von den Leuten, bevor irgendwer was gemacht hat. Und ich bin eigentlich für wenig Kontrolle. Es können dann Unbefugte mit den Daten machen, was sie wollen!"

    Die Sorge der Protestierenden ist nach Meinung von Ricardo Cristof Remmert-Fontes berechtigt. Denn die Speicherung von Telekommunikationsdaten offenbare, wer mit wem in Beziehungen steht. "Und das betrifft nicht nur private Beziehungen", so der Datenschützer.

    "Vorratsdatenspeicherung macht transparent, wenn ich beispielsweise bei der Telefonseelsorge anrufe oder bei meinem Arzt, wenn ich bei meinem Fachanwalt für Steuerrecht anrufe, und es macht transparent, mit welchen politischen Organisationen ich kommuniziere, beispielsweise, all diese Daten werden also gespeichert in Deutschland für sechs Monate - und das ist natürlich sehr, sehr kritisch zu sehen."

    Gespeichert werden zwar nur die Verbindungsdaten und nicht die Inhalte der Kommunikationsverbindungen, aber auch aus schlichten Telefonnummern kann man Informationen herauslesen. So kann man beispielsweise Bewegungsprofile erstellen und unter Umständen sogar auf die Inhalte der Gespräche schließen. Darauf wies während des Aktionstages Karl Lemmen hin, Sprecher der Aidshilfe in Berlin. Karl Lemmen ist überzeugt, dass das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung den Lebensnerv der HIV-Prävention in Deutschland trifft.

    "Einfach aus dem Grund, dass HIV-Prävention einfach eine besondere Vertraulichkeit braucht, weil es immer um die Koppelung von Daten zur Sexualität eines Menschen und zur Gesundheit eines Menschen geht. Und dort ist praktisch die Speicherung des Kontaktes identisch mit der Speicherung des Anlasses des Anrufes, und deshalb müssen wir einfach als Deutsche Aids-Hilfe gegen dieses Gesetz arbeiten."

    Mit den gleichen Argumenten wenden sich zahlreiche Notrufeinrichtungen gegen das Gesetz. Die Telefonseelsorge oder die Hotline für vergewaltigte Frauen, Alkohol- und Suchtberatungsstellen, Ärzte und Psychotherapeuten. Auch Anwalts- und Journalistenverbände sorgen sich um die Vertraulichkeit, ohne die ihr Beruf nicht auskommt. Aber die Wirtschaft sollte sich ebenfalls Gedanken machen, meinte auf der Demonstration im Oktober der Web-Künstler Padeluun.

    "Weil auch, wenn die Firma Siemens in Kualumpur anruft, im Verkehrsministerium, ist auch das schon eine Information, die für Industriespionage genutzt werden kann."

    Es gibt zwar Wege, die Vorratsdatenspeicherung zu umgehen - zum Beispiel durch die Nutzung einer Telefonzelle, aber das hieße, den Menschen vorzuschreiben, wie und wo sie kommunizieren wollen. Wer aber Schandtaten im Sinn habe, so Bürgerrechtler Remmert-Fontes, werde gewiss ohnehin jeden Vermeidungsweg nutzen.

    "Das bedeutet also, die wirklichen Schwerkriminellen, die Terroristen, die Pädophilen, die organisierte Kriminalität und so weiter, die kann die Vorratsdatenspeicherung umgehen. Wen es aber trifft, ist der normale Bürger, der selbstverständlich ein Recht auf Privatsphäre hat."

    Mittlerweile ist die Technik so weit fortgeschritten, dass man die Daten auf Knopfdruck einfach auswerten kann. Trotzdem hat die Vorratsdatenspeicherung den Ermittlungserfolg der Sicherheitsbehörden nach einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts nur um ein bis zwei Prozent der Fälle erhöht.