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"Ein Architekt des ephemeren Bauens"

Leichtigkeit und Eleganz kennzeichne die Architektur des Japaners Toyo Ito, sagt Ulf Meyer. Der diesjährige Pritzker-Preisträger sei vor allem durch seine Medienarchitektur wie den Tower of Winds berühmt geworden und habe damit eine ganze Generation von Architekten geprägt.

Ulf Meyer im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Ein Haus ist wie ein Kleid für Individuen im städtischen Leben. Das hat der japanische Architekt Toyo Ito mal gesagt. Und viele seiner Bauten sehen tatsächlich so aus, als hätten sie sich gerade ein Kleid übergestreift mit ihrer davor gesetzten aufgelockerten Fassade. 1976 hat Toyo Ito ein u-förmiges Haus mit einer fensterlosen Betonfassade gebaut für seine verwitwete, trauernde Schwester. Und seit seine Mediathek in der japanischen Stadt Sendai 2001 eröffnet wurde, gilt Toyo Ito als Vorzeigearchitekt seines Landes. Nun ist dem 71-jährigen also der Pritzker-Preis zuerkannt worden, der auch als Nobelpreis für Architektur gilt. Frage an den Architekturkritiker Ulf Meyer: Herr Meyer, für was für eine Architektur steht denn Toyo Ito?

    Ulf Meyer: Ja man könnte Toyo Ito vielleicht als den Architekten des ephemeren Bauens bezeichnen. Das Zitat von Ito, dass seine Gebäude Kleidern gleichen, ist vielleicht schon ein Hinweis darauf, dass seine Architektur eigentlich meist leicht und dadurch vielleicht auch vergänglich ist. Dieses Motiv der Vergänglichkeit und des Leichten ist etwas, was in der japanischen Architektur in guten Fällen zu höchster Eleganz führen kann, die weltweit bewundert wird. Es gibt aber leider auch eine Kehrseite, und die hat sich vielleicht beim Tohoku-Erdbeben vor zwei Jahren fast auf den Tag genau auch noch mal gezeigt, dass nämlich die leichte japanische Bauweise auch sehr verletzlich ist.

    Schäfer-Noske: Wobei man ja bei Toyo Ito sagt, seine Bauten seien erdbebensicher. Gibt es denn stilistisch noch etwas anderes, das man typisch japanisch nennen könnte?

    Meyer: Toyo Ito hat seine Karriere eigentlich als Architekt der Medienarchitektur begonnen. Speziell der Tower of Winds am Hauptbahnhof von Yokohama, das Mitte der 80er-Jahre entworfen wurde, und auch das sogenannte Windei, das Egg of Winds in Tokio sind Beispiele dafür, wie Ito die Medienarchitektur, auch speziell die Medienfassaden in den 80er- und bis in die frühen 90er-Jahre hinein groß gemacht hat.

    Schäfer-Noske: Wie muss man sich das vorstellen?

    Meyer: Bei dem Tower of Winds in Yokohama zum Beispiel besteht die Fassade aus Hunderten von Lichtpunkten, die gewissermaßen ein Spiegelbild der Atmosphäre sind. Das bedeutet: Bestimmte Wetterdaten wie zum Beispiel Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Temperatur und Ähnliches werden in ein Farbspiel aus LED-Punkten übersetzt, sodass für den Kundigen zumindest die Fassade gewissermaßen Auskunft über die Begebenheit der Umgebung gibt.

    Schäfer-Noske: Inwieweit ist denn Toyo Ito international stilprägend gewesen?

    Meyer: Toyo Ito ist sicher als Lehrer und auch als Mentor von Architekten berühmt geworden. Er hat an verschiedenen Universitäten unterrichtet. Sie wissen vielleicht: die berühmteste Schülerin von ihm, Kazuyo Sejima, hat sogar schon drei Jahre vor ihm, nämlich vor drei Jahren, den Pritzker-Preis bekommen, und ihr Meister, ihr Mentor bekommt ihn nun drei Jahre später. Also er hat auf eine ganze Generation von Architekten in Japan Einfluss gehabt. Und leider: In Deutschland ist er nur mit wenigen Werken repräsentiert. In Frankfurt gibt es eine kleine Kindertagesstätte von ihm und in Berlin durfte er 2006 in der neuen Nationalgalerie eine Ausstellung installieren und auch kuratieren, die aber naturgemäß wieder abgetragen wurde.

    Schäfer-Noske: Woran liegt das, dass es in Deutschland so wenige Gebäude von ihm gibt?

    Meyer: Vielleicht hat das tatsächlich mit der ephemeren Beschaffenheit seiner Architektur zu tun. Sie wissen: In Deutschland gibt es sehr strenge Anforderungen an die thermischen Qualitäten von Fassaden. Wir haben hier die sogenannte Energie-Einsparverordnung, Deutschland hat kalte Winter und unsere Gebäude sollen zum Energiesparen beitragen, und da ist diese Leichtigkeit, die eigentlich aus der Tradition der Reispapierwände in Japan kommt, leider nicht immer in Deutschland normgerecht umzusetzen. Das heißt, von der Eleganz, für die man Ito vielleicht bewundert, könnte in Deutschland im schlechten Fall wenig übrig bleiben, wenn man sie durch die Energie-Einsparverordnung zwängen muss.

    Schäfer-Noske: In Deutschland wird ja die Debatte über die Nachhaltigkeit der Architektur geführt. Welchen Beitrag leistet da die Architektur Toyo Itos?

    Meyer: In Japan, wo es die Holzbautradition gibt und auch die Erfahrung von wiederkehrenden Zerstörungen durch Erdbeben, durch Kriege und auch durch Tsunamis, gibt es eigentlich eine andere Tradition, denn man baut normalerweise nur für eine Generation. Man ist den ewigen Zyklus von Bauen und Abrissen gewohnt, und das findet man auch im Werk von Toyo Ito wieder. Eines seiner frühen Meisterwerke, das U-House, ist ja auch leider schon abgerissen und ist vielleicht dafür symptomatisch, für diesen kurzen Lebenszyklus, den Gebäude in Japan typischerweise genießen.

    Schäfer-Noske: Auch im vergangenen Jahr ging ja der Pritzker-Preis nach Asien, und zwar nach China. Ist denn die Wahl von Toyo Ito ein Statement für eine bestimmte Architektur?

    Meyer: Letztes Jahr hat uns die Jury des Pritzker-Preises in Chicago überrascht mit der Wahl von Wang Shu, den ich zufällig persönlich auch kenne und dem ich den Preis sehr gegönnt habe. Dieses Jahr hat sich die Jury das vielleicht etwas leichter gemacht. Sie hat zwar abermals in Ostasien zugeschlagen, aber mit Toyo Ito sicherlich einen Weltstar der japanischen Architektur ausgewählt – keine Entdeckung, keine Überraschung, aber sicher hoch verdient. Er ist der fünfte japanische Architekt nach Fumihiko Maki, Ando und eben Ryue Nishizawa, der diesen Preis bekommt, und sicher war das überfällig.

    Schäfer-Noske: Der japanische Architekt Toyo Ito bekommt dieses Jahr den Pritzker-Preis. Das war ein Interview mit dem Architekturkritiker Ulf Meyer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.