Archiv


Ein Architekt mit Europa-Karriere

In Zeiten des Bologna-Prozesses sollen Studierende und Akademiker internationale Karrierewege gehen. Bei einem jungen Architekten aus den Niederlanden hat das bisher ziemlich gut funktioniert. Nach seinem Studium in Aachen plant er jetzt in England Schulen.

Von Armin Himmelrath |
    Schulunterricht an der New Line Learning Academy in Maidstone in England, einer öffentliche Schule in der Grafschaft Kent. Lehrerin Anna Rogers behandelt mit ihren Schülern das Thema Sucht und Emotionen.

    " Sie suchen sich Wörter aus, die mit Sucht und Rebellion zu tun haben. Zum Beispiel Drogen, Alkohol oder Rauchen. Und dann setzen sie sich damit auseinander. Und wie sie sich damit fühlen, wenn jemand in ihrer Familie das macht. So werden sie, hoffentlich, für sich selber eine bessere, stabilere Basis für später finden als viele ihrer Eltern und Geschwister."

    Schon die anspruchsvolle Arbeitsaufgabe für die Siebtklässler, die überwiegend aus sozial benachteiligten Stadtteilen stammen, ist erstaunlich. Noch bemerkenswerter aber ist das Klassenzimmer. Klassenzimmer? Nun ja - der Raum sieht eher nach einer ehemaligen Sporthalle aus, riesengroß und mit hoher Decke. Und mit großen gebogenen Sitzelementen, die an Zuschauerränge in einem Amphitheater erinnern. Die Schüler dürfen sich hier so bequem wie möglich hinsetzen - oder auch hinlegen. Wohlfühlen sollen sie sich, dann klappt auch das Lernen besser, sagt Anna Rogers. Und das war auch der Auftrag an den Architekten Marcel Ortmans beim Umbau der Schule in Maidstone.

    "Aus der Sicht eines Architekten die Schule ist komplett neu. Das ganze Konzept ist anders: Normalerweise gibt's 30 Kinder in dem Klassenzimmer, das Klassenzimmer ist 60 Quadratmeter groß. Diese Schule ist ganz anders. Das Konzept ist: Wir haben einen Jahrgang von 250 Kinder in zwei großen Klassen, also 120 pro Klassenzimmer."

    Geboren wurde Marcel Ortmans in den Niederlanden, sein Architekturstudium absolvierte er in Deutschland an der RWTH in Aachen. Beruflich gelandet ist er jetzt in London - und in einem Arbeitsfeld, das von Architekten bisher eher vernachlässigt wurde: dem Bau von Bildungseinrichtungen. Dass die Gebäude quasi von der Stange geplant wurden, diese Zeiten sind - zumindest in England - vorbei. Alleine die Grafschaft Kent stellt in den nächsten Jahren fast vier Milliarden Euro zur Verfügung, um mehr als 140 Schulen um- und neu zu bauen. Die Learning Academy in Maidstone gilt dabei als Pilotprojekt - für die Bildungspolitiker, aber auch für den Architekten.

    "Das ganze Prinzip eines Klassenzimmers muss anders funktionieren. Weil: In diesen großen Räumen müssen alle Sorten von Unterricht passieren können. Man muss selbständig arbeiten können, man muss in Gruppen arbeiten können, und man muss - fast wie an einer Uni - auch Demonstrationen machen können. Das alles in einem Raum, in einem großen Raum."

    Das hat natürlich Konsequenzen etwa für die Akustik, die Sichtlinien oder das Beleuchtungskonzept - eine echte Herausforderung für Architekten, auf die sie an der Uni nicht unbedingt vorbereitet werden. Marcel Ortmans setzt deshalb ganz gezielt auf die Mitwirkung der Betroffenen - von der Schulleitung bis zu den Kindern.

    "Das ist sehr wichtig. Wir haben what we call engagement sessions mit der Schule, also mit den Lehrern, den Hauptlehrern, aber an manchen Stellen haben wir auch Workshops mit den Kindern. Und die paarmal, die ich das gemacht habe, was sich herausstellt: Kinder sind cleverer als man denkt. Manchmal kommen dabei Dinge raus, wo man sagt: Ich dachte nicht, dass Kinder daran denken können."

    Da empfehlen die Schüler dem Architekten zum Beispiel ein umweltfreundliches Biomasse-Heizsystem oder die Ausstattung der Schule mit echten Büromöbeln statt der typischen Schulstühle im Miniaturformat. Absolut zufrieden sind sie aber mit den größeren Unterrichtsräumen und den vielen, bequemen Sitzmöglichkeiten. Und auch Lehrerin Anna Rogers unterrichtet lieber in der Amphitheater-Atmosphäre mit den großen, halbrunden Sitzstufen, die von den Kindern "Bananen" getauft wurden:

    "Im normalen Klassenzimmer ist manchmal alles etwas steif. Hier ist die Umgebung kreativer und anregender, und die Kinder entwickeln hier wirklich fantastische eigene Ideen. Es ist einfach gut."