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Ein Atelier im Museum

Die Berliner Ausstellung erstaunt in ihrer einigermaßen leidenschaftslosen Nachlässigkeit. Nichts spricht dafür, dem Besucher einen weiteren Zugang zu vermitteln und ihn in irgendeiner Form neugierig auf ein großartiges Werk zu machen. Das starke und aufwendige Werk McCarthys hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.

Von Carsten Probst |
    Paul McCarthys Ausstellung hinterlässt gemischte Gefühle, aber dafür ist weniger der Künstler selbst verantwortlich als eher der Ausstellungsort, die neue Nationalgalerie und ihre Präsentation. Paul McCarthy ist ein intellektueller Verrückter, ein absolutes Original, sehr einflussreich dazu, gerade in Europa, wo vor allem sein performatives Werk der 70er- bis 90er- Jahre Künstler wie Jonathan Meese, Christoph Büchel oder Jake und Dinos Chapman inspiriert hat. In den USA sind vor allem seine Kooperationen mit Jason Rhoades, Mike Kelley und dem Begründer des Happenings Allan Kaprow bekannt.

    Begonnen hat der 1945 in Salt Lake City geborene Kalifornier McCarthy als Maler, versuchte sich, beeinflusst von Jackson Pollocks "Drip Paintings" seit den 60er-Jahren auch in einer systematischen Ausweitung des Malereibegriffs und begann in der Folge, seinen eigenen Körper als Malinstrument einzusetzen. Er schmierte sich ganz oder auch nur sein Gesicht mit verschiedenen Farben, dann mit Flüssigkeiten, Nahrungsmitteln wie Ketchup, Mayonnaise, Fleischsaft, einmal auch mit Exkrementen ein und wälzte sich damit auf ausgebreiteten Malflächen. Solche psychosexuellen, transgressiven Performances erinnerten Beobachter damals an den Wiener Aktionismus mit den Aktionen eines Günter Brus oder dem blutigen Orgien-Mysterien-Theater von Hermann Nitsch. Aber Paul McCarthy sind solche Vergleiche gar nicht recht. "Ich habe weder den Zweiten Weltkrieg erlebt, noch den Katholizismus, noch ist Wien vergleichbar mit Los Angeles, und es gibt doch auch einen Unterschied zwischen Blut und Ketchup", pflegt er zu antworten.

    Gleichwohl, ein wenig skandalträchtig waren McCarthys öffentliche Aktionen bisweilen auch, vor allem dann, wenn er sich populären Kindergeschichten wie "Heidi" oder Märchen wie "Schneewittchen" oder Themen wie Weihnachten widmet. Rotterdam wurde Anfang der 2000er Jahre von einer veritablen Kunstkontroverse erschüttert, nachdem McCarthy einen überdimensionalen Weihnachtsmann auf dem Platz vor dem Konzerthaus realisieren sollte. Dieser Weihnachtsmann hielt in seiner Hand statt eines Christbaumes ein Butt-Plug, so werden in englischsprachigen Ländern Anal-Dildos genannt, ein Sexspielzeug, das in seiner Form eine leichte Ähnlichkeit mit einem Tannenbaum hat und für McCarthy auf die unterdrückte sexuelle Komponente der Weihnachtsgeschichte hinweisen.

    Diese Grundkenntnisse sollte man im Kopf haben, wenn man McCarthys Werk in der Neuen Nationalgalerie besucht. Denn McCarthys monumentale Installation "The Box" in der Nationalgalerie bleibt zunächst einmal stumm für den Laien. Ein riesiger Container aus Holz, sechzehn Meter lang und fünf Meter hoch, ist an seiner Rückseite über eine Fensteröffnung einsehbar, an die man über ein paar aufgestapelte Holzkisten gelangt. Dort sieht man in einen Raum voller Gegenstände. Arbeitstische, Schränke, Regale, Leitern, Bildschirme, Neonröhren, kurzum ein vollständig eingerichtetes Künstleratelier. Die Besonderheit besteht darin, dass die Box um 90 Grad nach links gekippt ist und alle Dinge, die normalerweise auf dem Boden stehen, nun an der rechten Wand haften, während die Deckenleuchten wie an der linken Seite kleben, als wären sie eine Leuchtinstallation von Dan Flavin.

    Um über diese monolithische Arbeit nicht nur zu staunen, sondern sie auch zu lesen, müsste man mehr wissen von Paul McCarthys Experimenten aus den 60er-Jahren mit Schwerkraft, die er metaphorisch für die künstlerische Tätigkeit einsetzte. Man müsste von seinen Arbeiten seit den 70er-Jahren wissen, in denen er ironisch-aggressiv den Mythos vom Künstlerhelden bekämpfte; man müsste wissen, dass er die "Box" bei seinen Skulpturen mitunter als Metapher für "Kopf" oder "Gehirn" eingesetzt hat. Man müsste noch einiges mehr wissen. Allein, der Besucher muss sich bescheiden: Diese Ausstellung erstaunt in ihrer einigermaßen leidenschaftslosen Nachlässigkeit, in der nichts dafür spricht, dem Besucher einen weiteren Zugang zu vermitteln und ihn in irgendeiner Form neugierig auf ein großartiges Werk zu machen. In nichts ist diese Ausstellung vergleichbar mit der überbordenden Würdigung, die beispielsweise derzeit McCarthys jüngerer Kollege Jeff Koons in Frankfurt erfährt, obwohl das Werk McCarthys eigentlich so viel stärker ist und so viel mehr Aufwand mehr verdient gehabt hätte als Koons' polierte Oberflächen.

    Am Ende schwankt man nur zwischen der Faszination durch McCarthys Werk und der Irritation über die Ausstellung selbst, die diesem großartigen Künstler ebenso wie seinem Publikum eine eingehende Würdigung versagt.