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Ein Aufschrei mit Folgen

Die Massenvergewaltigung einer Inderin in Neu Delhi löste Ende 2012 weltweit eine Welle der Erschütterung und Wut aus. In Deutschland teilten unter dem Twitter-Stichwort #Aufschrei Tausende Frauen ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt mit. Auch am Internationalen Frauentag ist das ein zentrales Thema.

Von Monika Hebbinghaus | 08.03.2013
    "I don’t think German women should just calm down. Because I think that when sexism, discrimination, even violence is not talked about, it doesn’t mean it doesn’t exist.”"

    Die Frauen in Deutschland sollen sich keineswegs einfach abregen, meint Urvashi Butalia. Denn etwas totzuschweigen heißt nicht, dass es nicht existiert.

    Der Aufschrei zeigt doch, dass es tief sitzenden Sexismus gibt - es hat bloß keiner drüber geredet. Die Indische Frauenrechtlerin kämpft diesen Kampf schon lange. Vor 30 Jahren hat die kleine Frau mit der langen schwarz-grauen Mähne in ihrer Garage den ersten feministischen Verlag Indiens gegründet. Die indische Frauenbewegung habe schon viel erreicht, sagt sie, auch wenn das im Westen wenig bekannt sei. So seien die Gesetze gegen sexuelle Belästigung und Gewalt sehr fortschrittlich - und bei Kommunalwahlen gibt es eine Frauenquote von 50 Prozent.

    ""In many ways, we have much more progressive legislation than many countries in the world. We have an act that guarantees 50 percent of the posts to women in village and municipal elections, which no country in the world has.”"

    Daher sei dieses Vergleichen - uns geht’s uns gut, denen in der 3. Welt geht es schlecht - wenig sinnvoll, meint sie.

    Auf der Seite Alltagssexismus.de erzählen Frauen ihre Erlebnisse. Fast 4500 Einträge gibt es mittlerweile, sie berichten von dummen Sprüchen beim Werkzeugkauf im Baumarkt, abwertenden Bemerkungen vom Physiklehrer, bis hin zur Vergewaltigungsanzeige, die eingestellt wurde, weil das Opfer nicht mit dem Tode bedroht wurde. Eingerichtet und betreut wird die Seite von den Netz-Aktivistinnen hinter dem Hashtag Aufschrei, allen voran die Berliner Internet-Beraterin Anne Wizorek. Dass ausgerechnet der Bundespräsident jüngst in einem Spiegel-Interview den Aufschrei gegen Sexismus zum "Tugendfuror" herunterspielt, hat sie wütend gemacht.

    ""Weil er ist der Bundespräsident, er ist das Staatsoberhaupt. Er hat eine Vorbildrolle, und die hat er in dem Moment eindeutig nicht erfüllt. Da ist auch ganz klar für mich: wenn er keine Ahnung hat vom Thema, dann sollte er sich dazu nicht äußern."

    Für eine solche Haltung kann auch Laurie Penny wenig Geduld aufbringen. Die britische Journalistin berichtet für die linke Londoner Wochenzeitung "The New Statesman" über die Sache der Frauen weltweit. Unsere Wut, sagt sie, ist nichts, was man einfach lächerlich machen kann.

    "Jetzt sagt euer Präsident, diese jungen Frauen machen einen Aufstand wegen nichts. Auch ihr wurde vorgeworfen, sie sei hysterisch. Aber es hat sich etwas geändert, meint sie. Früher war "ein bisschen Sexismus" okay. Jetzt nicht mehr."

    In Großbritannien würde jetzt richtig Panik geschoben, vor allem in den politischen Parteien, sagt Penny. Dass sie ihr Verhalten jetzt ändern und reflektieren müssten, mache manchen Männern Angst.

    Auch die 18-jährige Bloggerin Merle Stöver von den Jusos in Schleswig-Holstein ist bei der Podiumsdiskussion dabei. Sie hat die Hoffnung, dass der Aufschrei im Netz die Frauen ermutigt, sich zu solidarisieren.

    "Ich habe teilweise Tweets gelesen, da dachte ich hey, dass ist mir auch passiert, ich weiß ganz genau, ich bin nicht die einzige, der das passiert, und es ist nicht normal, dass das passiert, sondern, dass wir wirklich alle zusammen was dagegen tun können. Und das eben nicht nur in Deutschland mit dem Aufschrei, sondern auf der ganzen Welt."

    Rund einen Monat nach Beginn der Debatte erregt das Thema des alltäglichen Sexismus nach wie vor die Gemüter. Der Teufel ist aus der Kiste - selbst für die größten Kritiker wird schwer sein, ihn dort so einfach wieder hinein zu bekommen.

    Stimmen aus dem Publikum:

    "Ich habe auch einige Kommentare gelesen von Frauen von der Kampagne Aufschrei, und ich war wirklich erschüttert, was Frauen erlebt haben. Weil ich dachte, das ist eigentlich vorbei. Ich dachte, das ist aus den Fünfzigern."

    "Das hat was aufgedeckt, und auch das klang hier in der Diskussion durch, an manchen Themen arbeiten wir uns eigentlich schon viel zu Lange ab."

    "Die Frauen trauen sich mittlerweile wirklich was zu sagen, und nicht nur in der Ecke zu stehen und den Männern immer das Wort zu geben."