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"Ein Austritt aus der Bundesrepublik ist nicht vorgesehen"

Benelux, das ist die Erfolgsgeschichte von drei kleinen Ländern in Europa, die schon vor fast fünfzig Jahren entschieden, dass bestimmte Dinge besser grenzüberschreitend geregelt werden. Was in der Benelux-Wirtschaftsunion umgesetzt wurde, war und ist attraktiv über die Grenzen hinweg. Die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn Nordrhein-Westfalen könnte für die Benelux-Länder besonders interessant sein.

Eine Sendung von Christine Heuer, Doris Simon, Wolfgang Labuhn undFriedrike Schulz | 07.01.2008
    "Ein Austritt aus der Bundesrepublik ist nicht geplant." Der Satz lässt aufhorchen. Gesagt hat ihn im Frühjahr der damalige nordrhein-westfälische Europa-Minister. Michael Breuer reagierte so auf die verblüffende Meldung, das größte deutsche Bundesland wolle dem Benelux-Vertrag beitreten, wenn der 2010 neu aufgelegt wird. Kurz vorher hatte die CDU-Fraktion im Landtag ihre "Düsseldorfer Erklärung" verabschiedet. Unter der Überschrift "Partnerschaft Benelux-NRW vertiefen" ist darin von - Zitat - "einer um Nordrhein-Westfalen erweiterten Benelux-Union" die Rede.

    "Es wäre gut, dass wir vier - also Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Nordrhein-Westfalen - miteinander ernsthafte Gespräche darüber führen, ob wir nicht gemeinsam zu einem Vertrag kommen, der eine um Nordrhein-Westfalen erweiterte Benelux-Situation schafft."

    ... sagt CDU-Fraktionschef Helmut Stahl auch jetzt noch - und stiftet damit bewusst oder unbewusst Verwirrung. Stimmt es also doch? Hegt man in Düsseldorf so etwas wie Sezessionspläne? Will NRW im Ernst einen völkerrechtlichen Vertrag mit Belgien, den Niederlanden und Luxemburg schließen?

    "Nein, das kann es auch gar nicht, denn der Benelux-Vertrag ist ein Vertrag zwischen drei selbständigen Staaten, die eigene Völkerrechtssubjekte sind, nämlich Belgien, Niederlande, Luxemburg. Insofern wäre das die Bundesrepublik Deutschland, die bekanntlich dort nicht beitreten will."

    ... stellt Andreas Krautscheid klar. Der neue nordrhein-westfälische Europaminister spricht statt von einem Beitritt lieber von vertiefter Zusammenarbeit, von einer "Öffnungsklausel im Benelux-Vertrag für Sonderkooperationsformen mit Dritten", auch schon mal von einer privilegierten Partnerschaft.

    "Was der Begriff gut beschreibt, ist eben, dass es keine Mitgliedschaft ist, dass es aber eben auch nicht nur irgendein Nachbar ist, sondern, dass es darum geht, auf bestimmten Themengebieten Dinge unterhalb der Mitgliedschaftsschwelle zu machen, die deutlich über das hinausgehen, was man bisher macht."

    Benelux, das ist die Erfolgsgeschichte von drei kleinen Ländern in Europa, die schon vor fast fünfzig Jahren entschieden, dass bestimmte Dinge besser grenzüberschreitend geregelt werden: Erste Kooperationen hatte es bereits vor dem 2. Weltkrieg gegeben, 1948 folgte eine Zollunion und 1960 schließlich setzten Belgien, Luxemburg und die Niederlande den Vertrag über die gemeinsame Wirtschaftsunion in Kraft.

    Damit wurden zwischen diesen Ländern alle bisherigen Hindernisse für Arbeit und Handel über die Grenzen hinweg aus dem Weg geräumt - Jahre, bevor dies im europäischen Rahmen gelang. Der frühere belgische Premier Leo Tindemans:

    "Belgien hatte von Anfang an mitgearbeitet, und mit Enthusiasmus, möchte ich sagen. Denn die Vergangenheit war uns nicht unbekannt. Und so wussten wir, dass ohne größere Zusammenarbeit keine bessere Zukunft möglich wäre. Als in der Nachkriegszeit dann ein Vorschlag kam, um besser und mehr zusammenzuarbeiten im Wirtschaftsraum, haben wir das sofort aufgegriffen und mitgearbeitet."

    Was in der Benelux-Wirtschaftsunion umgesetzt wurde, war und ist attraktiv über die Grenzen hinweg: Heute gibt es Kooperationen mit Departments in Nordfrankreich und punktuelle Zusammenarbeit auch mit deutschen Euregio-Partnern wie dem Saarland oder der Gegend um Aachen. Doch die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn Nordrhein-Westfalen könnte für die Benelux-Länder besonders interessant sein, sagt der Generalsekretär der Organisation, der Niederländer Jan van Laarhoven :

    "Es hat 18 Millionen Einwohner, das ist etwas mehr als die Niederlande. Und manche Probleme sind per definitionem grenzüberschreitend. Es ist nicht sehr vernünftig zu denken, dass man die Kriminalität bekämpfen kann nur in Limburg und dabei Nordrhein-Westfalen nicht braucht. Man kann in NRW nicht Steuerkriminalität bekämpfen ohne dabei Mitarbeit zu haben von Belgien und den Niederlanden. Es gibt viele Sachen, wo wir zusammen arbeiten können mit Nordrhein-Westfalen."

    In ihren Aufgabenfeldern hat sich die Benelux-Wirtschaftsunion in den letzten 15 Jahren deutlich gewandelt. Das hat mit der Entwicklung Europas zu tun: Die früheren Aufgaben im Wirtschaftsbereich waren in einem zusammenwachsenden Europa irgendwann erledigt. Die Benelux-Union brauchte dringend neue, zusätzliche Tätigkeitsfelder. Sie fand sie unter anderem in den Bereichen Nachhaltigkeit und Sicherheit, die heute zu einem Kernbereich der Zusammenarbeit der drei europäischen Staaten geworden sind.

    Geholfen hat dem Dreier-Bündnis auch die Erweiterung der EU: Im größeren, unübersichtlicheren Europa interessieren sich viele andere Länder inzwischen wieder für die Initiativen im Benelux-Raum, berichtet Generalsekretär van Laarhoven:
    "Das hat Vorbildcharakter. Was wenige Leute jetzt noch wissen: der Schengen-Vertrag ist hier geboren worden an diesem Tisch. Das war erst ein Vertrag zwischen Benelux, Deutschland und Frankreich, und das ist ein Beispiel. Die grenzüberschreitende Arbeit, die wir machen, da haben wir Kontakte zur baltischen und zur nordischen Assemblee. Die sind auch neugierig, wie wir die Kontakte hier strukturiert haben. Ich glaube nicht, dass ich zu stolz bin, wenn ich sage: Ja, die Benelux-Zusammenarbeit kann als Vorbild für andere Länder in Europa gelten."

    Im Bereich Sicherheit gibt es gemeinsame und abgestimmte Kontrollen, etwa im Schwerlastverkehr ebenso wie auf einschlägigen Drogentrassen zwischen Amsterdam und Paris, dort in Zusammenarbeit mit den Franzosen. Besonders stolz ist Benelux-Generalsekretär van Laarhoven auf ein ganz neues Abkommen mit Modellcharakter: Es erleichtert die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz im Dreiländereck bei Aachen:

    "Und da gibt's drei dicke Bücher, die gemacht worden sind von den Justizautoritäten dort, weil wir Abkommen haben über: wie man verfolgt, wie man verhaftet, über die Grenze hinein. Denn es ist ein bisschen traurig, wenn ein deutscher Polizist einen holländischen Kriminellen fasst, ihn dem Maastrichter Justizbeamten übergibt und der sagt: den müssen wir jetzt leider gehen lassen, denn du hast die Verhaftung auf die falsche Art und Weise gemacht. Um das besser zu machen, haben wir da Abkommen gemacht. Es gibt nicht nur Schengen, es gibt andere Sachen, die wir da gemacht haben."

    Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit - das sind zwei denkbare Kooperationsfelder auch für eine Partnerschaft NRW-Benelux. Aber es gibt noch viel mehr Bereiche, die viele Bürger auf beiden Seiten der Grenze betreffen. Benelux-Generalsekretär van Laarhoven:

    "Erziehung ist da wichtig, und was wir jetzt studieren, ist die Frage, ob man die Anerkennung von Fachdiplomen oder Fachkenntnisse jenseits der Grenzen, ob man die vereinfachen kann. Jetzt gibt's noch viele Probleme von Leuten, von Deutschen, die in Benelux arbeiten wollen, dass die Diplome nicht anerkannt werden, obwohl man gar nicht weiß, was hinter dem Diplom steckt. Das sind Beispiele, und da gibt es mehrere."

    Keine Kopfschmerzen bereitet Jan van Laarhoven die Frage, in welcher Form die Zusammenarbeit mit Nordrhein-Westfalen organisiert wird. Der Inhalt der Vereinbarungen bestimme die Form der Zusammenarbeit, betont der Benelux-Generalsekretär: Ein Vertrag zwischen den drei Benelux-Staaten und Nordrhein-Westfalen abzuschließen, das sei wohl rechtlich eher schwierig. Man richte sich daher auf einfachere Arbeitsformen ein, aber auch die funktionierten in der Zusammenarbeit mit anderen Partnern hervorragend, ergänzt van Laarhoven. Der Benelux-Generalsekretär denkt derweil schon weiter:

    "In der internationalen Politik und Zusammenarbeit sollte man eins haben, und das ist Geduld. Und wenn man sieht, dass es gut arbeitet, sich gut auswirkt, bin ich sicher, dass andere Regionen sagen: Oh, da möchte ich auch beitreten. Nordrhein-Westfalen hat sicher keine Exklusivitätsbedingungen oder so was. Luxemburg wirkt schon viel zusammen mit dem Saarland. Aber auch Rheinland-Pfalz, wenn die Interesse haben- und wenn sie es nicht haben, würden wir vielleicht versuchen, das Interesse zu wecken, dann sind die natürlich auch gute Partner für uns, weil die auch an der Außengrenze der Benelux liegen."

    Sind die Verhandlungen mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung erst einmal abgeschlossen, und das kann bis zu zwei Jahre dauern, dann müssen die drei Außenminister der Benelux-Staaten das Ergebnis absegnen. Die halten sich derzeit noch bedeckt, scheinen der Anfrage aus Düsseldorf aber eher wohlwollend gegenüber zu stehen, zumal sich in Berlin kein Protest rührt. Warum auch, sagt Benelux-Generalsekretär van Laarhoven: Schließlich gehe es nur um regionale Kooperation. Mehr als das werde nicht verhandelt.

    "Ein Beitritt, nein, das steht nicht zur Diskussion, da sollten wir einfach nein sagen, das steht auch nicht zur Debatte."

    Auch ohne förmlichen Beitritt, also unterhalb der Mitgliedschaftsschwelle, wie es NRW-Europaminister Krautscheid nennt, sieht Düsseldorf ein weites Kooperationsfeld, das sich mit den drei Benelux-Staaten beackern läßt. Er denkt zum Beispiel an eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Krankenhäusern, Gerichten und der Polizei, an Kooperation im Katastrophen-, Hochwasser- und Umweltschutz, an eine gemeinsame Tierseuchenbekämpfung, Verkehrs- und Raumplanung, oder an die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen.

    "Wenn sie mit Deutschland dort ein Abkommen schließen wollen, die drei Länder, dann reden sie mit der Kultusministerkonferenz, und dann müssen sie 16 Länder mit im Boot haben. Das dauert, und vielleicht ist ja den Ländern, diesen dreien, aber auch uns, Nordrhein-Westfalen, schon dadurch geholfen, wenn wir das unter uns erstmal hinkriegen."

    Solche Überlegungen basieren auf der Gewissheit, einer europäischen Region anzugehören, in der Grenzen eher nebenbei wahrgenommen werden. Niederländer, Belgier, Luxemburger und Deutsche im Westen der Republik eint eine Tradition nachbarschaftlichen Austauschs. Die Staatsgrenzen sind mit Schengen und im Zuge der europäischen Integration zu Schemen verblaßt. Zum Nutzen der 50 Millionen Bürger im Wirtschaftsraum Benelux-NRW möchten die Düsseldorfer nun auch das noch überwinden, was Andreas Krautscheid "Papiergrenze" nennt. Beispielsweise bei der Kontrolle von LKW-Ladungen im Aachener Dreiländer-Eck:

    "Oft ist es so, dass in jedem einzelnen Land jeweils wieder ein Prüfverfahren gemacht wird, um zu sagen: So, was ist das für ein LKW, was hat der geladen, wie muss da die Sicherheitsvorkehrung sein, wer guckt sich den an? Es gibt Unternehmen, die müssen in allen Ländern jeweils das gleiche Verfahren durchlaufen. Meine Güte, warum akzeptiert man denn nicht gegenseitig, wenn man sagt, wir haben die gleichen Standards: Einer prüft das, das wird durch eine Industrie- und Handelskammer festgestellt, und die anderen Länder akzeptieren das?"

    In der Fertigungshalle der Firma Pooch stapeln sich die Bleche: silberne Metallplatten unterschiedlicher Größe, wenige Millimeter dick. Zwei Mitarbeiter tragen sie einzeln durch die Halle zu einem großen Tisch. Dort werden sie aneinander genietet und dann zu Kästen gefügt: Gehäuse für Klima- und Belüftungsanlagen, die der Handwerksbetrieb in Willich bei Krefeld für Industriekunden herstellt.

    Die Klimaanlagen verkaufen sich gut, nicht nur auf dem deutschen Markt. Rund zehn Prozent des Umsatzes macht Geschäftsführer Jörg Pooch mit dem Verkauf ins benachbarte Holland, und das schon länger als 15 Jahre.

    "Da war noch keine Grenze offen, da ging es noch schön übers Verzollen. Dann hat sich so langsam ein Geschäft auf Gegenseitigkeit entwickelt. Das war eigentlich ein Zufall. Ich war in Stuttgart auf einer Messe und hab dort einen holländischen Partner gefunden, mit dem ich bis heute zusammenarbeite und der unsere Produkte vertreibt."

    Für Jörg Pooch kam der Europäische Binnenmarkt zum richtigen Zeitpunkt: Kaum hatte er seine ersten Kontakte nach Holland geknüpft, fielen 1992 die Zollschranken, zehn Jahre später kam mit dem Euro die gemeinsame Währung.

    "Die Rechnungsstellung ist einfacher. Sie mussten früher die Rechnung in Gulden ausstellen. Sie mussten immer umrechnen mit den entsprechenden Kursen, und das ist alles weggefallen."

    Seit der Einführung des Euro ist Jörg Pooch wunschlos glücklich mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Er merkt überhaupt keinen Unterschied mehr zum Handel mit deutschen Kunden, zumal alle seine holländischen Geschäftspartner perfekt deutsch sprechen und er deshalb noch nicht mal die Fremdsprache lernen musste. Dabei hätte er das durchaus gekonnt, und zwar gratis. Die Handwerkskammer Düsseldorf bietet Betrieben in der Grenzregion schon seit mehreren Jahren Holländischkurse und interkulturelle Beratung an, finanziert aus Mitteln der Landesregierung. Georg Cramer ist bei der Kammer für den Außenhandel zuständig:

    "Wenn jemand sagt: Ich möchte gern Kunden finden im niederländischen Markt, dann würden wir einen Berater auftun - einen freien, das machen wir nicht selber - , der sich dort auskennt und Kundenkontakte vermittelt."

    Die Seminare finden großen Anklang bei deutschen Betrieben, das Angebot muss ständig erweitert werden. Ähnliches gilt für die Zusammenarbeit mit Luxemburg und Belgien. Aus Sicht der Handwerkskammern bilden die Grenzregionen längst einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Nordrhein-Westfalen. Die Zusammenarbeit mit den niederländischen Kammern funktioniert reibungslos, es gibt Austauschprogramme für Auszubildende - Georg Cramer wüsste nicht, was es noch zu verbessern gäbe.

    Künftig aber soll, so das Ziel der Landesregierung, nicht nur die grenznahe Region perfekt mit den Benelux-Staaten kooperieren, sondern das gesamte Land Nordrhein- Westfalen. Doch dafür muss Düsseldorf zunächst in Vertragsverhandlungen einsteigen. Und zwar nicht nur mit den drei Nachbarländern, sondern auch mit der Bundesregierung, die in Deutschland nun einmal für die Außenpolitik zuständig ist. NRW-Europaminister Krautscheid :

    "Und dann werden wir genau die Frage prüfen müssen,
    nämlich: Was können wir als Land machen, was können wir auf keinen Fall machen? Oder aber: Was können wir mit Zustimmung von Berlin ausnahmsweise machen?"
    Eine interessante Frage. Denn:"

    ""Die außenpolitische Handlungsfähigkeit liegt bei der Bundesebene","

    ... sagt Günter Gloser, der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt und kann sich dabei auf das Grundgesetz berufen. Dort heißt es in Artikel 32 Absatz (1):

    Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.

    Also:

    ""Völkerrechtliche Verträge bleiben zunächst einmal auch im Außenverhältnis Aufgabe der Bundesregierung."

    So der zuständige Staatsminister. Doch ganz so klar ist die Sache nicht. Denn schon Absatz 3 des Grundgesetz-Artikels 32 schränkt diese Bundeskompetenz wieder ein:

    Soweit die Länder zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen. Damit wird der im Artikel 30 des Grundgesetzes geregelten grundsätzlichen Kompe-
    tenzverteilung zwischen Bund und Ländern Rechnung getragen, die davon ausgeht,dass die Bundesrepublik Deutschland eben kein zentralistisches Staatsgebilde ist und im sogenannten "Chiemseer Entwurf" des Grundgesetzes aus dem Jahre 1948 auch noch "Bund deutscher Länder" hieß. Der Artikel 30 lautet:

    Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.

    Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes diese Formulierung fanden, war noch nicht einmal absehbar, dass es eines Tages eine Europäische Union geben würde, deren Beschlüsse und Direktiven sehr direkt und weitreichend Länderkompetenzen berühren. Dem trug der Gesetzgeber 1992 mit der Einführung des neuen Grundgesetzartikels 23 Rechnung, der die Einbindung der Ländervertretung in die Willensbildung des Bundes bei EU-Angelegenheiten explizit regelt, auch wenn die "gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes" gewahrt bleiben soll:

    Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.

    Aber gibt dieser Artikel 23 des Grundgesetzes dem Bundesland Nordrhein-Westfalen das Recht, Verträge mit dem Benelux-Verbund abzuschließen, auch wenn nicht an
    einen Beitritt gedacht ist? Staatsminister Gloser weist darauf hin, ...

    " ... dass es ja auch im Sinne des Geistes der Europäischen Union wichtig ist, dass wir es ja geschafft haben, Grenzen abzubauen und deshalb zu überlegen ist: Wie
    kann denn eine Kooperation auch über Grenzen hinweg laufen? Da gibt es nämlich sehr viele Dinge, die das Alltagsleben beschäftigen, und wenn dies jetzt genau an der Grenze jeweils haltmachen würde, dann würde es genau dem Geist der Europäischen Zusammenarbeit widersprechen. Natürlich können Bundesländer dort, wo sie ihre eigene Zuständigkeit haben bei der Gesetzgebung, entsprechende Vereinbarungen auch mit Ländern schließen. Das wird aber meistens so laufen, dass das natürlich auch vorher mit dem Auswärtigen Amt beispielsweise abgestimmt ist."

    Und dort ist man nun sehr gespannt darauf, was Nordrhein-Westfalen eigentlich konkret interessiert.

    "Uns jucken halt die kleinen Dinge des täglichen Lebens. Die sind natürlich entlang der Grenze oder im Ruhrgebiet anders spürbar als in Berlin. Und wenn jemand fernab vom Schuß dann sagt: O.k., die wollen was ändern, was wir nicht genau kennen, und für uns ändert sich in dem konkreten Leben aber nix, dann ist es manchmal etwas schwierig, Verständnis zu finden."

    ... sagt Europa-Minister Andreas Krautscheid. Und ist sich bewußt, dass NRW in der deutschen Hauptstadt auch grundsätzlich um Verständnis werben muss.

    Der Handwerksmeister Jörg Pooch blickt dem Verlauf der Verhandlungen gelassen entgegen. Denn aus seiner Sicht läuft die Zusammenarbeit mit seinen niederländischen Partnern bereits jetzt reibungslos. "Aber, wenn die meinen ... schaden kann's ja nicht", sagt er achselzuckend und geht zu seinem Wagen. In einer halben Stunde muss er bei seinem Vertriebspartner in Holland sein, um die nächsten Aufträge zu besprechen.