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Ein bedingungslos Liebender

Als vor ein paar Jahren Francois Truffauts umfassende Korrespondenz veröffentlicht wurde, da konnte man noch einmal nachlesen, mit welcher Zärtlichkeit und Freundschaft der 1984 verstorbene Regisseur seinen Schauspielern, Autoren und Mitarbeitern verbunden war. Truffauts geistreiche, lakonische, heitere Briefe zeugen von einer tiefen Liebe zum Kino, aber eben auch zu den Menschen, die seinen Weg begleiteten.

Von Katja Nicodemus | 06.02.2007
    Kaum ein anderer französischer Regisseur wird so sehr mit Liebe und Leidenschaft in Verbindung gebracht. Von Anfang an verschrieb sich Francois Truffaut Figuren, die ihre Gefühle leben oder die dem Gebot ihrer Besessenheit folgten: Fanny Ardant und Gérard Depardieu", die in "Die Frau nebenan" in eine zerstörerische Affäre schlittern, die ausgelassene Dreierbeziehung zwischen Jeanne Moreau, Oskar Werner und Henri Serre in "Jules und Jim", die zwischen zwei Männern schwankende Theaterdirektorin Catherine Deneuve in "Die Letzte Metro" - Truffauts Figuren leben und sterben durch die Liebe. Vielleicht reicht es auch einfach, seine Filmtitel sprechen zu lassen: "Liebe mit zwanzig", "Der Mann, der die Frauen liebte", "Liebe auf der Flucht", "Auf Liebe und Tod".

    Doch es war eine für das französische Kino neue, andere, freiheitliche Liebe. So sehr sich Truffauts Figuren nach dem Objekt ihrer Begierde verzehren, so wenig hat ihr Begehren mit konventionellen Moral- und Besitzansprüchen zu tun. In Truffaut-Filmen ist die Liebe der Sprengsatz, der Existenzen erschüttert, die bürgerliche Ordnung außer Kraft setzt und die Menschen erst in Kontakt mit dem Leben bringt. Er selbst erläuterte dies einmal am Beispiel seines 1961 entstandenen, einzigen wirklichen Publikumserfolges "Jules und Jim":

    "In 'Jules und Jim' gibt es ein zentrales Thema: die Weigerung, sich an seinen Partner wirklich zu binden. Dies war für den Autor Henri-Pierre Roché und mich sehr wichtig. Man muss den Besitzanspruch gegenüber anderen Menschen abstreifen. Man muss heraus aus diesem ganzen Machtgefüge."

    Auch Truffaut selbst war ein bedingungslos Liebender - und Hassender, ein unbändiger, wilder junger Mann, aufgewachsen ohne Vater und vom Militärdienst desertiert. Seine erste wirkliche Heimat fand der am 6. Februar 1932 in Paris Geborene bei der Filmzeitschrift "Cahiers du Cinéma". Über das Kino konnte er nur leidenschaftlich schreiben, parteilich und mit kompromisslosen Ansprüchen. Hier verbreitete Truffaut Anfang der 50er Jahre seine tiefe Abneigung gegen ein altmodisches, in teuren Konventionen erstarrtes Kino und seine Forderung nach einem neuen, persönlichen Regisseurskino, in dem es allein auf die Eigenarten des Regisseurs ankomme.

    "Politik der Autoren bedeutet totale Individualisierung. Nicht alle Filme von Hitchcock sind gut, aber auch der schlechteste Film von Hitchcock ist für uns allemal interessanter als der beste Film eines x-beliebigen Regisseurs."

    Zusammen mit seinem Kritikerkollegen Jean-Luc Godard setzte Truffaut die Autorentheorie praktisch im Kino um. Die Nouvelle Vague war geboren. Doch schon in ihren Erstlingswerken "Außer Atem" und "Sie küssten und sie schlugen ihn" wurde deutlich, dass die beiden Regisseure mehr trennte als vereinte. Entwickelte Godard einen provozierenden Stil der Sprünge und Risse, des diskontinuierlichen Erzählens, entschied sich Truffaut schon in "Sie küssten und sie schlugen ihn" hingegen für einen weicheren Stil mit fließender Montage. Godard, der Sohn einer reichen Schweizer Familie blieb zeitlebens der Revoluzzer und Provokateur, der letztlich gegen seine eigene Klasse rebellierte. Truffaut hingegen, der in seiner Jugend fast verwahrloste, filmte nicht gegen die Gesellschaft. Für ihn war das Filmemachen schon ein Akt der sozialen Eroberung. Er brachte sein Universum auf die Leinwand. Daher ist einer seiner wahrhaftigsten Filme "Die amerikanische Nacht": ein Film über das Kino, in dem Truffaut selbst den treu sorgenden Regisseur spielt, für den das Filmemachen zum existenziellen Akt, zum Leben selbst wird:

    "Ein Privatleben existiert für mich nicht. Ich kenne nur Kino, Kino, Kino. Das ist der reine Wahnsinn, eine Welt, eingeschlossen im Wahnsinn. Die intensivste Zeit erlebe ich während der Dreharbeiten. Das Leben ist ein Provisorium, das sich zwischen den Dreharbeiten abspielt. Und wenn ich reise, dann nur für die Arbeit, nie zum Vergnügen."

    Francois Truffaut starb früh, mit nur 52 Jahren, an einem Gehirntumor. Sein letzter Film "Auf Liebe und Tod" ist zugleich auch sein schönster Liebesfilm. Truffaut inszenierte Fanny Ardant als verführerische Sekretärin, die ihren in einem Kellerversteck ausharrenden Chef, gespielt von Jean-Louis Trintignant aus einer Mordaffäre rettet. Es ist noch einmal ein Film über die Liebe als Movens des Lebens. Mit einer typisch Truffautschen Botschaft: dass es nämlich die Gefühle, die Affekte und letztlich die vor einem Kellerfenster hin und her laufenden langen Beine von Fanny Ardant sind, die den Menschen aus dem Verlies seines Daseins befreien.