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Ein berührendes Drama

In der Geschichte der evangelischen Kirche wird er als eine der größten Persönlichkeiten angesehen. Der junge Komponist Stephan Peiffer hat Dietrich Bonhoeffer jetzt ein musikalisches Denkmal gesetzt – eine Oper. "Vom Ende der Unschuld" ist ein Auftragswerk des Evangelischen Kirchentages.

Von Kirsten Liese | 03.05.2013
    Der reale Dietrich Bonhoeffer ist nicht von der Partie. Aber in dem couragierten Sohn einer Gutsherrin, der sich gegen Tyrannei, Gewalt und Willkür in dem ländlichen Familienbetrieb auflehnt, findet der berühmte Theologe und Widerstandskämpfer einen Bruder im Geiste.
    Die Oper "Vom Ende der Unschuld" widmet sich somit nicht der Biografie Bonhoeffers. Es geht vielmehr um die vorbildliche Haltung des politischen Christen, der sich unbeirrbar gegen die NS-Diktatur stellte, sagt die Regisseurin Kirsten Harms:

    "Es ging darum, mit einer Oper nicht direkt dieses Zeitgeschehen abzubilden. Da gibt es Filme oder Dokumentarmaterial, die bestimmte Aspekte viel besser zeigen können… Aber es ging … darum, eine Geschichte zu erfinden, die dieses Zeitgeschehen verdichtet und in der man auch… sehr viele Bezüge erkennt."

    Mit der gleichnishaften, frei erfundenen Geschichte umgehen die Autoren Theresita Colloredo und David Gravenhorst zugleich den heiklen Versuch, eine Person der Zeitgeschichte durch einen Sänger darstellen zu lassen. Ihnen gelingt eine allemal packende Parabel, die dessen moralische Position klar herausstellt.
    Ein neuer Gutsherr weist hier den Weg zu neuem Wohlstand. Alle folgen dem Erneuerer, allein sein Schwager Heman nimmt den gefährlichen Unterton in dessen Reden wahr. Doch weil niemand ihn hört, begeht er schließlich wie einst auch Dietrich Bonhoeffer eine verzweifelte Tat.

    "Mich beeindruckt, dass er bereit war, im Sinne eines größeren Ganzen sogar Schuld auf sich zu nehmen. Er hat sich auseinandergesetzt mit der Frage, ob ein Attentat auf Hitler dem Tötungsgebot widerspricht, und hat sich in diesem Dilemma sehr eindeutig positioniert, indem er gesagt hat, ich weiß, dass ich schuldig werde, und das nehme ich auf mich."

    Mit Stilkopien aus Werken so alter Meister wie Heinrich Schütz oder Hermann Schein, die Bonhoeffer besonders mochte, erweist Stephan Peiffer musikalisch dem Theologen Reverenz. In seiner Partitur spiegeln sich auch viele andere Epochen des Abendlandes, allemal organisch verbinden sich etwa gregorianische mit spätromantischen Wendungen.
    Bei allen Anleihen an andere Stilepochen bezeugt doch Peiffers Komposition erkennbar eine eigene Handschrift. Zu erleben ist weitgehend eine sehr expressive Musik, die stark an Hugo Distler, Paul Hindemith und Aribert Reimann erinnert und ideal mit dem Librettotext harmoniert.
    Kirsten Harms zieht die Parabel stimmig als eine Art szenisches Oratorium auf. Die Sänger sitzen zu Beginn neben Musikern im Orchester und treten dann sukzessive zu spielerischen Aktionen aus der Gruppe heraus. Mit wenigen Requisiten auf schmalen Flächen vor und hinter dem Orchester gelingen ihr eindringliche Bilder, getragen vom intensiven emotionalen Spiel der Protagonisten.

    In der vielleicht stärksten Szene bilden Männer mit erhobenen Heugabeln eine bedrohliche Mauer, - die Gewaltbereitschaft ist allgegenwärtig.
    Alles in allem gelingt dem gesamten Ensemble mit der Hamburger Uraufführung des Auftragswerks "Das Ende der Unschuld" etwas, was im Musiktheater der Gegenwart selten ist: ein berührendes Drama. Es bringt die besten Voraussetzungen mit, von anderen Bühnen entdeckt und nachgespielt zu werden.