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Ein Bild der amputierten Hand verringert den Schmerz

Medizin. - Menschen, die eine Gliedmaße nach einer Amputation verloren haben, leiden oft unter Phantomschmerzen, also unter Schmerzen in einem Körperteil, das gar nicht mehr funktioniert oder gar ganz fehlt. Französische Forscher entwickeln derzeit eine Rehabilitation für die motorische Kortex im Gehirn, mit der sich die Phantomschmerzen einmal deutlich verringern lassen sollen. Grundlage der Maßnahme ist eine optische Täuschung des Patienten.

    Hintergrund der neuen Therapie ist ein Phänomen, das Neurologen als Plastizität des Hirns bezeichnen: Wenige Stunden nach einer Amputation organisiert sich die motorische Kortex im Hirn um. Der für die Empfindungen des entfernten Gliedmaßes reservierte Bereich schrumpft, dafür erhält ein für einen anderen Körperteil zuständiger Bereich mehr Raum. Der Effekt wurde in einem berühmten Fall beobachtet: Der Franzose Denis Chatelier hatte im Jahr 2000 bei einem Unfall beide Hände verloren. In einer spektakulären Operation transplantierten Ärzte in Lyon ihm zwei neue Hände.

    Die Forscherin Angela Sirigu vom Institut für kognitive Wissenschaften in Lyon und ihr Team durchleuchteten damals mit Magnet-Resonanz-Aufnahmen vor und nach der Operation das Hirn von Chatelier. Dabei stellten sie fest, dass sich die Aktivität des Hirnbereichs, der für die Hände zuständig ist, vor der Transplantation stark verringert hatte, dafür war der für das Gesicht reservierte Bereich aktiver geworden. Nach der Transplantation kehrt die Aktivität in beiden Hirnbereichen zur normalen Frequenz zurück. Angela Sirigu zieht daraus den Schluss, dass sich die Plastizität des Hirns wieder umkehren lässt: "Wir haben nun festgestellt, dass sogar eine optische Täuschung ausreicht, damit die Kortex ihre ursprüngliche Struktur wieder findet." Dazu zeigten die Wissenschaftler Versuchspersonen, denen ein Arm fehlte oder deren Arm nicht mehr funktionierte, Bilder der Hand in Bewegung. "Allein dass sie diese Hand in Aktion sahen, führte bei den Versuchspersonen zu Veränderungen im Hirnbereich", so Sirigu.

    Das Team baute eine spezielle Reha-Apparatur, um das Gehirn des Patienten zu täuschen. Der sitzt dazu an einem Tisch und bewegt seine gesunde Hand unter einer Digitalkamera, welche die Bewegung aufzeichnet. Mit Hilfe eines Computers werden Bilder gespiegelt und an einen Projektor weitergeleitet. Eine Leinwand ist so vor dem Patienten montiert, dass er den Armstumpf oder die nicht funktionierende Hand darunter verbergen kann. Auf die Leinwand werden dann Bilder der Hand in Bewegung projiziert. So wird dem Patienten im Wortsinn vorgespiegelt, seine fehlende Hand sei in Aktion.

    In einer ersten Versuchsreihe wurden drei Patienten mit starken Phantomschmerzen acht Wochen lang entsprechend behandelt. Zwei der Versuchspersonen konnten anschließend das zuvor nötige starke Schmerzmittel vollkommen absetzen, bei dem dritten Patienten wurden immerhin spürbare Verbesserungen erzielt. Die Beobachtungen erklärt Angela Sirigu: "Wir haben folgende Hypothese betreffs des Phantomschmerzes: Das Gehirn reagiert, weil es einen Fehler feststellt. Wenn ein Mensch mit seinem amputierten Gliedmaß eine Bewegung ausführen will, sendet sein Hirn eine entsprechende Botschaft an die Muskeln. Die aber geben keine Rückmeldung. Das Hirn registriert somit eine Fehlermeldung. Und diese Fehlermeldung kann Auswirkungen haben auf den Hirnbereich, der für das Schmerzempfinden zuständig ist." Die optische Täuschung solle nun einfach dem Hirn vorgaukeln, dass alles in Ordnung sei: Die Gliedmaße ist noch da und kann bewegt werden. "Wenn das Bild stimmt, produziert der Körper keinen Schmerz", hofft Sirigu.

    Sie testet nun, ob die Methode auch bei Patienten Erfolg zeigt, deren Lähmung auf Verletzungen im Hirnbereich selbst zurückgehen. Und seit der Veröffentlichung ihrer ersten Arbeit wird sie von Patientenanfragen sozusagen überrollt. Doch um die von ihr entwickelte Reha-Methode an Kliniken zugänglich zu machen, fehlt das Geld. Ebenso wie dafür, ihre Forscherarbeit in effizienter Weise vorantreiben zu können.

    [Quelle: Suzanne Krause]