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Ein Biomarkt seit Kaisers Zeiten

Die Philosophie ist einfach, bald 125 Jahre alt - und doch brandneu: frische Produkte aus der Region. Wie das funktioniert - zeigt die Dresdener Konsumgenossenschaft.

Von Claudia Altmann | 17.02.2012
    "Och, das Gemüse! Da möchte man am liebsten in jedes Teil reinbeißen. Das ist so was von frisch und so was von appetitlich."

    Doris Fröhlich schiebt ihren Einkaufswagen durch die Konsumfiliale im Dresdner Stadtteil Gorbitz. An der Gemüseauslage wählt sie unter den vielen knackigen Produkten eine Fenchelknolle aus. Am Fleischstand kommen noch 150 Gramm Hackepeter dazu. Dann lenkt sie ihre Schritte zur Käsetheke gleich daneben.

    "Oh, was ist das? Katis Feuerschote. Das ist doch sicher mit Chili rundrum. Kann ich da zwei Scheiben mal bitte haben?"

    Die 65-Jährige ist hier nicht nur Kundin. Sie kauft in ihrem eigenen Laden ein, denn sie ist nicht nur seit über 40 Jahren Konsummitglied, sondern hat auch Anteile in die Genossenschaft eingebracht. Außerdem ist sie seit sechs Jahren in der 50-köpfigen Vertreterversammlung. Diese wird alle vier Jahre von den knapp 30.000 Mitgliedern gewählt, mit 70 Prozent Wahlbeteiligung wohlgemerkt. Das Gremium tritt zweimal jährlich zusammen und hat bei allen wichtigen Dingen ein Wort mitzureden, und zwar ein entscheidendes.

    "Also was der Konsum so vorhat, neue Verkaufsstelle, eine alte wieder schließen oder eine Umgestaltung oder Umsatz fördernde Maßnahmen. Wir sind also im Prinzip diejenigen Vertreter die im Prinzip übers Wohl und Wehe der Konsumgenossenschaft entscheiden. Eigentlich kann der Vorstand nur größere Dinge durchsetzen, wenn die Mitgliederversammlung Ja sagt."

    Und das bedeutet keinesfalls Abnicken, denn die kleine zierliche Frau lässt sich kein X für ein U vormachen.
    "Was ich auch sehr gut finde, weil das ja auch so ein bissel in meinen Beruf mit reinspielt als Betriebswirtschaftler, man kriegt jedes Jahr die Bilanz. Und die ist Top."

    Das freut nicht nur die Ökonomin, sondern auch deren Portemonnaie. Als Genossenschafterin mit mehr als fünf Anteilen ist sie dividendenberechtigt und die ist noch dazu nicht steuerbar. Die Rückvergütung liegt zwischen 0,5 und einem Prozent. 110 Millionen Euro Umsatz hat der Konsum jährlich in seinen 40 Filialen.

    Die meisten Konsummärkte und deren etwas frischer und jünger konzipierter Ableger Frida sind in Dresden, fünf außerhalb und eine sogar im fränkischen Erlangen. Das Unternehmen beschäftigt fast 1000 Mitarbeiter und kümmert sich um etwa 70 Auszubildende. Am Hauptsitz der Firma in der Dresdner Tharandter Straße erklärt Vorstandsvorsitzender Roger Ulke das Erfolgsrezept.

    "Weil wir einer der bedeutenden regionalen Spieler sind. Wir sind auf alle Fälle jemand, der dafür sorgt, dass hier interne Kreisläufe laufen. Wir sind auch die, die hier ihre Steuern zahlen. Wir sind die, die hier ausbilden. Wir sind die, die versuchen, auch in die Region auch Gutes zurückzugeben. Wir sind Sponsor an verschiedener Stelle."

    Die Philosophie ist einfach: Frische Produkte, vor allem aus der Region. Von den 20.000 Artikeln kommen 3500 aus dieser Gegend. Das Unternehmen gehörte zu den ersten in der Branche, die in Dresden Bio angeboten haben. Damit bleibt der Konsum dem Konzept der einstigen Gründer treu. 1888 hatten sieben Familien die Nase voll von den damals weit verbreiteten unreinen, gepanschten Lebensmitteln. Sie wollten unverfälschte Produkte und gründeten einen kleinen Einkaufsverein mit dem Namen "Vorwärts". Und das ging es auch sehr schnell. Sie merkten, dass sie mehr absetzen konnten, als sie selbst brauchten und so entstand das Ladenkonzept. Eine typische Erfolgsgeschichte der damaligen Gründerjahre.

    So gehörten bis in die 1920er Jahre zum Beispiel große Fleischwerke in Dresden dazu. Über 100 Lieferwagen waren im Stadtgebiet unterwegs. Aber die Naziherrschaft setzte dem ein jähes Ende. Genossenschaftliches Engagement war verboten. Das Eigentum musste abgegeben werden. Erst mit Gründung der DDR konnte das Gemeinschaftskonzept wiederbelebt werden. Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung war der Konsum auch in dieser Zeit kein staatlicher Betrieb.

    "Es war immer privatwirtschaftlich, auch wenn es durch volkseigene Versorgungskommissionen und so was geführt wurde. Es wurde schon genau gesagt, wer was kriegt und wer was machen durfte. Es wurde ziemlich strikt geregelt, wo wir unseren Versorgungsauftrag hatten und wo die staatliche Handelsorganisation. HO war ja meist dann in den besseren Lagen präsent, während wir dann so den ländlichen Raum mit abdecken mussten, der dann wesentlich weniger effizient war."

    Nach der Wende überlebte das Dresdener Konsum-Konzept als einziges. Und das obwohl die politischen Veränderungen die Genossenschaft plötzlich vor große Probleme stellte. Grund und Boden waren vorher staatliches Eigentum. Also mussten die Terrains, auf denen die Filialen standen, erworben werden. Das war ein echter Kraftakt, sagt Roger Ulke. Ein anderes bedrohliches Wende-Kuriosum war,

    "dass es politische Stellen gab noch in Wendezeiten, die uns dann offiziell aufgefordert haben, Ladenflächen bereitzustellen für westdeutsche Handelsketten. Ja, genau so ist das gewesen."

    Die Genossenschaft hat sich erfolgreich geweigert und während die ländlichen Regionen demographisch ausbluteten, erwies sich die Beschränkung auf das übersichtliche Stadtgebiet als lebensrettend. Heute ist Konsum ein anerkannter Name in der Branche. Die Flurwände im Hauptsitz sind übersät mit Urkunden und Preisen. Übrigens hat das Unternehmen 2006 zusammen mit dem TÜV-Nord ein Zertifizierungssystem entwickelt. Das gab es bis dahin in der Lebensmittelbranche nicht.

    Heute sind die kleinen daumennagelgroßen bunten Konsummarken der modernen Chipkarte gewichen. Auch lange vorbei sind die Zeiten, als es noch hieß: Alt wie ein Konsumbrot. Hier ist die frisch geerntete Möhre schneller im Regal als bei anderen Anbietern, sagt Ulke und:

    "Jedes Ei von uns kommt aus Großenhain und ich kenne die Hühner."

    Sein Schmunzeln weicht aber rasch einer sehr ernsten Miene. Frische sei ein sehr schweres Geschäft und der Wettbewerb gigantisch. Der Konsumkunde ist laut einer Untersuchung ein bisschen besser gebildet, ein bisschen anspruchsvoller und verdient ein bisschen mehr Ottonormalverbraucher. Und er vertraut seinem Anbieter, denn von den Einbrüchen rund um die großen Fleischskandale der Vergangenheit war Konsum nicht betroffen. Auch Doris Fröhlich ist vom Konzept überzeugt und schätzt vor allem,

    "dass man als Kunde mitbestimmen kann, was so passiert. Und das kann man woanders – glaube ich – nicht. Und das finde ich gut und deswegen bin ich im Konsum und bleib es auch."

    Die Verwendung der historischen Töne erfolgt mit freundlicher Genehmigung der
    Zentralkonsum eG, Neue Grünstr. 18, 10179 Berlin