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Ein Blick auf die Sezessionisten

In der Sammlung des Galeristen Alfred Gunzenhauser wird der Besucher oft an Künstler erinnert, deren Namen zu Unrecht inzwischen vergessen sind. Über ihren kunsthistorischen Wert hinaus verweist die Sammlung zudem auf die Sammlungsgeschichte der Stadt Chemnitz.

Von Carsten Probst |
    Die Kunst um 1900 wird offenkundig gerade in zahlreichen Ausstellungen wiederentdeckt. Aber was abgesehen vom Namen eigentlich das Verbindende unter den Sezessionen der Jahrhundertwende sein soll, ist auf den ersten Blick kaum auszumachen. Stilistisch mögen proto-expressive Malgesten überwiegen, aber eine eigene Schule, einen genuinen Stil bilden diese neuen Künstlervereinigungen keineswegs aus.

    Auch eine beginnende Politisierung der Kunst lässt sich nicht durchgehend feststellen, auch wenn die anti-nationalistische Haltung mancher sezessionistischer Manifeste diesen Schluss nahelegt. Thomas Bauer-Friedrich, Sammlungskurator am Museum Gunzenhauser sieht eher vermeintlich nüchterne, ökonomische Motive als Grund für die Abspaltungsbewegungen seit Ende des 19. Jahrhunderts: zunächst in München, dann in Wien, Berlin, später mit dem Deutschen Künstlerbund in Weimar oder dem Blauen Reiter in München, der seinerseits schon wieder eine Abspaltung von den Abspaltungen war. Überall ist das heftige Ungenügen junger Künstler an den bigotten Restriktionen des eingefahrenen Kunstbetriebs der Kaiserzeit zu spüren, an der einseitig-bornierten Konzentration von Kunstakademien auf nationale Motive, die sich zum Ende des 19. Jahrhunderts fast zu einer Stilpolizei entwickelte. Ausgeschlossen von jeglicher Künstlerförderung waren von vornherein Ausländer, was vor allem in Paris zur Bildung berühmter privater Kunstschulen führte, wo ein eigener transnationaler Kunstaustausch stattfand, der später für den universalistischen Anspruch der Moderne so unverzichtbar werden sollte.

    Die 64 Werke aus der Sammlung des Galeristen Alfred Gunzenhauser können das aufrührerisch schmelztiegelhafte dieses Aufbruchs kaum angemessen einfangen, dafür wirkt die Auswahl der Bilder insgesamt zu zufällig. Sie geht offenbar teilweise auf Restbestände aus dem Galerieprogramm zurück, mit dem Gunzenhauser seine Münchner Galerie in den 60er Jahren eröffnete. Sukzessiv hat er dann selber hinzugesammelt. Es sind prächtige Einzelstücke zu sehen wie das Gemälde "Der Traum" aus dem Jahr 1903 von Karl Walser, den man vielleicht eher nur noch als Bruder des Schriftstellers Robert Walser kennt, dessen Künstlerkarriere aber durchaus aufschlussreich für die Zeit ist. Als Generationsgenosse von Felix Vallotton kam Walser über Paris, Stuttgart und Straßburg nach München und schloss sich in Berlin schließlich der dortigen Secession an.

    So wird man, diesseits einiger großer Namen von Franz Stuck über Corinth bis hin zu Max Beckmann oder Paula Modersohn-Becker aus der Worpsweder Künstlerkolonie, noch öfter an Künstler erinnert, deren Namen zu Unrecht inzwischen vergessen sind. Wer kennt noch den Berliner Maler Gustav Wunderwald und seine neusachlich-surreal anmutenden Interieurs, die so seltsam Edward Hoppers einsame Innenlandschaften vorwegzunehmen scheinen. Wer kennt noch den an der Düsseldorfer Kunstakademie ausgebildeten Jugendstilmaler Carl Strathmann, der sich später der Münchner Secession anschloss und mit seinen botticellihaft-altgotischen Landschaften eine verwirrende Interpretation des Jugendstils lieferte? Oder Adolf Münzer, Mitglied der alternativen Münchner Secession "Die Scholle", der zu den eigentlich herausragenden Vertretern der süddeutschen Landschaftsmalerei um 1900 zu zählen ist.

    Doch als Münchner Kunsttransfer veranschaulichen gerade diese Bilder die ideelle Bedeutung, die die Sammlung Gunzenhauser insgesamt für Chemnitz und für eine Art symbolischer Stadtreparatur mit den Mitteln der Kunst hat. Über ihren kunsthistorischen Wert hinaus verweist die Sammlung auf die Sammlungsgeschichte der Stadt, die für die Moderne in Deutschland durchaus prägend war, durch die Folgen der Nazizeit und der Kulturpolitik der DDR jedoch bis heute nahezu vollständig verschüttet ist. Unter den damals von den Chemnitzer Industriellen gesammelten und geförderten Künstlern waren auch viele Sezessionisten. Für die Gegenwartskunst mag das wenig bedeutend sein – doch wie Dresden, Halle oder Zwickau ist man auch in Chemnitz dankbar für jede Erinnerung an vermeintlich bessere Zeiten.