"So einfach konnte das Leben sein", denkt Hanny Porter. Sie ist einundvierzig Jahre alt, mit einem älteren, erfolgreichen Mann verheiratet, der seinen Wohlstand mit der Massenproduktion und -tötung von Hähnchen verdient, sie hat drei Kinder und ihr Scherflein bereits ins Trockene gebracht. Sie sitzt im Flugzeug, im Landeanflug auf Hawaii. Sie ist auf dem Weg zu ihrem als Alterssitz vorgesehenen Ferienbungalow, der sonst vermietet wird, sie bildet sozusagen die Vorhut, um ihr fernab liegendes, privates Paradies in Ordnung zu bringen, bis ihr Mann am nächsten Tag folgen wird. Gebannt verfolgt sie den Prozess gegen O. J. Simpson. Dazu Thor Kunkel:
Bei Hanny Porter waren das konkrete Ereignisse, Eindrücke, die ich auf Hawaii gesammelt habe, wo wir nämlich in der Tat bei Makena Surf in so einem Bungalow saßen. Da haben wir so Leute kennen gelernt, die eine total heile Welt uns vorgespielt haben, bis die Frau eines Tages mit einem blauen Auge auftauchte und hat meiner Frau erzählt, dass ihr Mann sie regelmäßig schlagen würde und die beiden sind jeden Morgen zusammen zum Tennis gegangen. So zwei ältere Amerikaner, wo man dachte, heile Welt, heile Welt, und irgendwann sitzt die Alte mit einem blauen Auge bei uns auf der Terrasse. Und daraus hatte sich dann so ein Plot entwickelt.
Heile Welt - kaputte Welt: zwei Seiten einer Medaille. Die Fernsehberichte über Mordprozess gegen den schwarzen Footballstar bilden einen Roten Faden durch die Geschichte, die Thor Kunkel erzählt. Trotz einer erdrückenden Beweislage wird er wohl freigesprochen, weil die überwiegend schwarzen Geschworenen trotzig auf den offenen Rassismus des weißen Anklägers reagieren. "Unmöglich, denkt Hanny Porter, das wäre doch wie ... Rache am System." Hanny Porter fühlt sich unwohl, doch was ist schon der Prozess im Fernsehen gegenüber dem, was sie in ihrem Haus, in diesem privaten Paradies erwartet?
"Rache am System" - so könnte man das übergreifende Thema Thor Kunkels nennen. Kunkel, Jahrgang 1963, ist im Gallusviertel, dem verächtlich-zärtlich "Kamerun" genannten Armenhaus Frankfurts geboren und aufgewachsen und hat in nächster Umgebung erfahren, was es bedeutet, von der Gesellschaft an den Rand gedrängt und der Lebenschancen beraubt zu werden. Beckett und Büchner nennt er als seine literarischen Vorbilder. Wie Bücher in seinem Woyzeck analysiert er die Wirkungen einer inhumanen Gesellschaft auf die Individuen und entwickelt Figuren, die sich schließlich mit Gewalt ihr Stück vom Kuchen nehmen, das ihnen auch mit Gewalt vorenthalten wurde.
"Das Schwarzlicht-Terrarium", sein erster Roman, zeigt eine Clique junger Männer in diesem Kamerun, die nichts haben als ihre Träume. Kuhl, die Hauptfigur, ein gescheiterter Fernsehmechaniker, der als Nachtwächter in einem Parkhaus arbeitet, wird geplagt von der Angst, von den Milben in seinem Bett gefressen zu werden, einfach am falschen Ende der Nahrungskette geboren zu sein.
Das war bei mir wirklich die Gewissheit. Ich kann dir auch sagen, wie viele von meinen Freunden, aus meiner Jugend, jetzt schon nicht mehr am Leben sind oder in Situationen, wo du sagen würdest, ei, die sind finito. Mein Alter, sehen doppelt so alt aus, versoffen. Andere Freunde, die schon tot sind, aus verschiedenen Gründen, angefangen von Aids bis also Trunksucht, Leute, die in der Klapsmühle gelandet sind aus meinem engsten Bekanntenkreis. Ich hatte schon, als ich da in Kamerun lebte, richtige Atembeschwerden, ich hab ja auch Asthma. Es konnte einem ein bisschen schon Angst werden. Mir war schon klar, aus Frankfurt-Kamerun wird es schwer, irgendwie was zu machen.
So, als ginge es ihn gar nichts an, als ob er sich selbst auf einer Kinoleinwand beobachten würde, schlachtet die Kuhl, die Hauptfigur des Romans am Ende zwei Männer ab, erbeutet 250.000 Mark und fühlt sich zum ersten Mal "richtig lebendig". In Anlehnung an Quentin Tarentinos Film "Pulp Fiction" wurde der 640 Seiten starke Roman auch als "Pulp-Prosa" bezeichnet, eine Einordnung, die Kunkel als Schublade akzeptiert, die ihm aber doch nicht so ganz treffend erscheint:
Beim WDR sagte irgend jemand, der Kunkel ist der Pulp-Fiction-Typ, so sehe ich mich aber gar nicht. Dann ist die ganze Welt Pulp. Ich hatte auch beim Schreiben des Schwarzlichtterrariums an keiner Stelle das Gefühl, ich versuch jetzt mit Gewalt Pulp zu produzieren. Bei mir ist eher so, bis mal ne Kugel losgeht, bist du 500 Seiten weiter. Und wenn Kuhl da mit seiner Pistole rumfuchtelt, hat man immer Angst, dass er sich in den Fuß schießt. Das hat nicht diesen Chick und diesen Charme vom amerikanischen Pulp-Fiction-Film, wo man eben merkt, dass jedes Kind mit einer Kanone aufgewachsen ist. Das sind wir ja gar nicht.
Thor Kunkel hat sich jede Eskapade verkniffen, hat gelernt, sich Ziele gesteckt und in der Werbebranche Karriere gemacht, bevor er im letzten Jahr - nach vielen Problemen mit Verlagen, aber schließlich mit dem Klagenfurter Ernst.-Willner-Preis in der Tasche - seinen ersten Roman publizierte. In dem jetzt erschienenen Roman "Ein Brief an Hanny Porter" wechselt er die Perspektive und entwickelt ein Kammerstück für vier Personen: Hanny Porter lebt auf der Sonnenseite der amerikanischen Gesellschaft und wird zum Opfer einer an einen Amoklauf erinnernden Verzweiflungstat.
Im Ferienhaus ist etwas nicht in Ordnung. Auf der Anrichte liegt ein Brief, in dem sie als "schlaue kleine fette glückliche Hamsterratte" angeredet wird. "Es muss doch ein beruhigendes Gefühl sein, zu wissen", steht dort, "dass ärmere Menschen, wie wir zum Beispiel, Ihren Ruhesitz finanzieren, nicht wahr." Lakonisch und gemein, aber auch zynisch berichtet eine vom Leben enttäuschte alte Frau, wie sie und ihr Mann Marv - nach einer Prostata-Operation ein Bettnässer - in der Wohnung gehaust haben. Nebenbei, so wie die Operation ihres Mannes, erwähnt sie die ihr bevorstehende neue Chemotherapie. Bevor Mr. Porter, der Herrscher über eine Hähnchenfarm, seine Hanny am nächsten Tag beruhigen kann, kommen die beiden Alten zurück, setzen die Porters gefangen, stellt Marv sie mit einem, so sagt er, "harmlosen Nervengift" ruhig und verlängert ihren Urlaub auf unbestimmte Zeit. Das sind Psychopathen, denkt Hanny.
Gescheiterte Existenzen, das stand irgendwo. Na Gott, das sind sie dann nun mal. Aber sie sind für mich nicht wirklich Psychopathen. Ich finde eher vielleicht jemand, der sich eine Tötungsstraße in einer Hühnerfarm ausdenkt, das ist für mich ein viel größerer Psychopath als jemand, der möchte, dass seine Frau, die Krebs hat, ein paar Tage noch in der Sonne irgendwo sitzt. Ich versuche sehr, die in ihrer Würde zu lassen. Das ist ja das Interessante an Hanny Porter, dass man auch mit den "bad guys" sehr viel Mitgefühl hat, sehr viel Sympathie, obwohl die Hanny und ihren Mann nicht gerade nett behandeln. Und dass meine Sympathie eher Marv gilt, dürfte auch klar sein. Und das ist genau der, der Rache am System nimmt.
Marv und seine Frau sind - so wird immer deutlicher - bestraft für ihr soziales Engagement und beide todkrank. Die Reise nach Hawaii haben in einem Preisausschreiben gewonnen. Eine Rückreise wäre ihnen vorgekommen wie die Vertreibung aus dem Paradies. Hass, Angst und Wut, Überlegenheitsgefühl, Neid und Ausweglosigkeit überlagern einander und bestimmen die Dynamik in den Beziehungen zwischen den Figuren. Es prallen Welten aufeinander und der Plot hat alles, was ihn als einen großer Hollywood-Film auszeichnen würde: Horror, Spannung, Sex und Sozialkritik. Kunkel spielt mit Versatzstücken und Klischees, lässt seine Figuren in etwas überdeutlichen, beinahe demonstrativ klingenden Sätzen sprechen, lässt sie dem Leser aus den zitierten Genre vertraut erscheinende Posen und Haltungen einnehmen. Unmerklich zieht er dabei den Leser aber in die tieferen Schichten, lenkt er die Aufmerksamkeit auf die existenziellen Not der beiden Alten, eine Not, die ihre Wurzeln in der Gesellschaft hat und in der der Tod nicht als Erlösung, sondern nur als zynisches Finale eines verlorenen Lebens erscheint.
Anders kann ich das auch nicht sehen. Bei meinem Vater habe ich das immer mitgekriegt. Der wäre gerne auf Mallorca gestorben, im Ballermann, freudig betrunken, mit einem kleinem Haus. Mein Vater war technischer Zeichner, der wurde dann blind, das ist durch den Suff halt gekommen, hat dann nur noch Arbeitslosenhilfe bekommen, der hatte das Gefühl, dass er das Leben verpasst hatte. Ich glaube nicht, dass es da diesen Gedanken auf dem Sterbebett gibt: Vielen Dank, liebe Schöpfung, für dieses tolle Erlebnis, dass ich mein leben lang hatte, dieses befreite Aufatmen und dann gehen. Ich glaube eher, dass das eher eine recht wütende Sache fast, fast, fast ist, wo man sich fragt, für was das alles?
So brutal die beiden auch auf der kinogerechten Oberfläche mit Hanny Porter und ihrem Mann umspringen, verurteilen mag der Leser sie nicht. Einen Raum für allzu viel Mitgefühl eröffnen die lakonische Sprache und die kühle Distanz des Beobachters jedoch auch nicht. Wie in einem Brechtschen Lehrstück lotet der Autor in dieser atemberaubenden Geschichte sozialen Bedingungen und die Handlungsspielräume seiner Figuren aus.
Bei Hanny Porter waren das konkrete Ereignisse, Eindrücke, die ich auf Hawaii gesammelt habe, wo wir nämlich in der Tat bei Makena Surf in so einem Bungalow saßen. Da haben wir so Leute kennen gelernt, die eine total heile Welt uns vorgespielt haben, bis die Frau eines Tages mit einem blauen Auge auftauchte und hat meiner Frau erzählt, dass ihr Mann sie regelmäßig schlagen würde und die beiden sind jeden Morgen zusammen zum Tennis gegangen. So zwei ältere Amerikaner, wo man dachte, heile Welt, heile Welt, und irgendwann sitzt die Alte mit einem blauen Auge bei uns auf der Terrasse. Und daraus hatte sich dann so ein Plot entwickelt.
Heile Welt - kaputte Welt: zwei Seiten einer Medaille. Die Fernsehberichte über Mordprozess gegen den schwarzen Footballstar bilden einen Roten Faden durch die Geschichte, die Thor Kunkel erzählt. Trotz einer erdrückenden Beweislage wird er wohl freigesprochen, weil die überwiegend schwarzen Geschworenen trotzig auf den offenen Rassismus des weißen Anklägers reagieren. "Unmöglich, denkt Hanny Porter, das wäre doch wie ... Rache am System." Hanny Porter fühlt sich unwohl, doch was ist schon der Prozess im Fernsehen gegenüber dem, was sie in ihrem Haus, in diesem privaten Paradies erwartet?
"Rache am System" - so könnte man das übergreifende Thema Thor Kunkels nennen. Kunkel, Jahrgang 1963, ist im Gallusviertel, dem verächtlich-zärtlich "Kamerun" genannten Armenhaus Frankfurts geboren und aufgewachsen und hat in nächster Umgebung erfahren, was es bedeutet, von der Gesellschaft an den Rand gedrängt und der Lebenschancen beraubt zu werden. Beckett und Büchner nennt er als seine literarischen Vorbilder. Wie Bücher in seinem Woyzeck analysiert er die Wirkungen einer inhumanen Gesellschaft auf die Individuen und entwickelt Figuren, die sich schließlich mit Gewalt ihr Stück vom Kuchen nehmen, das ihnen auch mit Gewalt vorenthalten wurde.
"Das Schwarzlicht-Terrarium", sein erster Roman, zeigt eine Clique junger Männer in diesem Kamerun, die nichts haben als ihre Träume. Kuhl, die Hauptfigur, ein gescheiterter Fernsehmechaniker, der als Nachtwächter in einem Parkhaus arbeitet, wird geplagt von der Angst, von den Milben in seinem Bett gefressen zu werden, einfach am falschen Ende der Nahrungskette geboren zu sein.
Das war bei mir wirklich die Gewissheit. Ich kann dir auch sagen, wie viele von meinen Freunden, aus meiner Jugend, jetzt schon nicht mehr am Leben sind oder in Situationen, wo du sagen würdest, ei, die sind finito. Mein Alter, sehen doppelt so alt aus, versoffen. Andere Freunde, die schon tot sind, aus verschiedenen Gründen, angefangen von Aids bis also Trunksucht, Leute, die in der Klapsmühle gelandet sind aus meinem engsten Bekanntenkreis. Ich hatte schon, als ich da in Kamerun lebte, richtige Atembeschwerden, ich hab ja auch Asthma. Es konnte einem ein bisschen schon Angst werden. Mir war schon klar, aus Frankfurt-Kamerun wird es schwer, irgendwie was zu machen.
So, als ginge es ihn gar nichts an, als ob er sich selbst auf einer Kinoleinwand beobachten würde, schlachtet die Kuhl, die Hauptfigur des Romans am Ende zwei Männer ab, erbeutet 250.000 Mark und fühlt sich zum ersten Mal "richtig lebendig". In Anlehnung an Quentin Tarentinos Film "Pulp Fiction" wurde der 640 Seiten starke Roman auch als "Pulp-Prosa" bezeichnet, eine Einordnung, die Kunkel als Schublade akzeptiert, die ihm aber doch nicht so ganz treffend erscheint:
Beim WDR sagte irgend jemand, der Kunkel ist der Pulp-Fiction-Typ, so sehe ich mich aber gar nicht. Dann ist die ganze Welt Pulp. Ich hatte auch beim Schreiben des Schwarzlichtterrariums an keiner Stelle das Gefühl, ich versuch jetzt mit Gewalt Pulp zu produzieren. Bei mir ist eher so, bis mal ne Kugel losgeht, bist du 500 Seiten weiter. Und wenn Kuhl da mit seiner Pistole rumfuchtelt, hat man immer Angst, dass er sich in den Fuß schießt. Das hat nicht diesen Chick und diesen Charme vom amerikanischen Pulp-Fiction-Film, wo man eben merkt, dass jedes Kind mit einer Kanone aufgewachsen ist. Das sind wir ja gar nicht.
Thor Kunkel hat sich jede Eskapade verkniffen, hat gelernt, sich Ziele gesteckt und in der Werbebranche Karriere gemacht, bevor er im letzten Jahr - nach vielen Problemen mit Verlagen, aber schließlich mit dem Klagenfurter Ernst.-Willner-Preis in der Tasche - seinen ersten Roman publizierte. In dem jetzt erschienenen Roman "Ein Brief an Hanny Porter" wechselt er die Perspektive und entwickelt ein Kammerstück für vier Personen: Hanny Porter lebt auf der Sonnenseite der amerikanischen Gesellschaft und wird zum Opfer einer an einen Amoklauf erinnernden Verzweiflungstat.
Im Ferienhaus ist etwas nicht in Ordnung. Auf der Anrichte liegt ein Brief, in dem sie als "schlaue kleine fette glückliche Hamsterratte" angeredet wird. "Es muss doch ein beruhigendes Gefühl sein, zu wissen", steht dort, "dass ärmere Menschen, wie wir zum Beispiel, Ihren Ruhesitz finanzieren, nicht wahr." Lakonisch und gemein, aber auch zynisch berichtet eine vom Leben enttäuschte alte Frau, wie sie und ihr Mann Marv - nach einer Prostata-Operation ein Bettnässer - in der Wohnung gehaust haben. Nebenbei, so wie die Operation ihres Mannes, erwähnt sie die ihr bevorstehende neue Chemotherapie. Bevor Mr. Porter, der Herrscher über eine Hähnchenfarm, seine Hanny am nächsten Tag beruhigen kann, kommen die beiden Alten zurück, setzen die Porters gefangen, stellt Marv sie mit einem, so sagt er, "harmlosen Nervengift" ruhig und verlängert ihren Urlaub auf unbestimmte Zeit. Das sind Psychopathen, denkt Hanny.
Gescheiterte Existenzen, das stand irgendwo. Na Gott, das sind sie dann nun mal. Aber sie sind für mich nicht wirklich Psychopathen. Ich finde eher vielleicht jemand, der sich eine Tötungsstraße in einer Hühnerfarm ausdenkt, das ist für mich ein viel größerer Psychopath als jemand, der möchte, dass seine Frau, die Krebs hat, ein paar Tage noch in der Sonne irgendwo sitzt. Ich versuche sehr, die in ihrer Würde zu lassen. Das ist ja das Interessante an Hanny Porter, dass man auch mit den "bad guys" sehr viel Mitgefühl hat, sehr viel Sympathie, obwohl die Hanny und ihren Mann nicht gerade nett behandeln. Und dass meine Sympathie eher Marv gilt, dürfte auch klar sein. Und das ist genau der, der Rache am System nimmt.
Marv und seine Frau sind - so wird immer deutlicher - bestraft für ihr soziales Engagement und beide todkrank. Die Reise nach Hawaii haben in einem Preisausschreiben gewonnen. Eine Rückreise wäre ihnen vorgekommen wie die Vertreibung aus dem Paradies. Hass, Angst und Wut, Überlegenheitsgefühl, Neid und Ausweglosigkeit überlagern einander und bestimmen die Dynamik in den Beziehungen zwischen den Figuren. Es prallen Welten aufeinander und der Plot hat alles, was ihn als einen großer Hollywood-Film auszeichnen würde: Horror, Spannung, Sex und Sozialkritik. Kunkel spielt mit Versatzstücken und Klischees, lässt seine Figuren in etwas überdeutlichen, beinahe demonstrativ klingenden Sätzen sprechen, lässt sie dem Leser aus den zitierten Genre vertraut erscheinende Posen und Haltungen einnehmen. Unmerklich zieht er dabei den Leser aber in die tieferen Schichten, lenkt er die Aufmerksamkeit auf die existenziellen Not der beiden Alten, eine Not, die ihre Wurzeln in der Gesellschaft hat und in der der Tod nicht als Erlösung, sondern nur als zynisches Finale eines verlorenen Lebens erscheint.
Anders kann ich das auch nicht sehen. Bei meinem Vater habe ich das immer mitgekriegt. Der wäre gerne auf Mallorca gestorben, im Ballermann, freudig betrunken, mit einem kleinem Haus. Mein Vater war technischer Zeichner, der wurde dann blind, das ist durch den Suff halt gekommen, hat dann nur noch Arbeitslosenhilfe bekommen, der hatte das Gefühl, dass er das Leben verpasst hatte. Ich glaube nicht, dass es da diesen Gedanken auf dem Sterbebett gibt: Vielen Dank, liebe Schöpfung, für dieses tolle Erlebnis, dass ich mein leben lang hatte, dieses befreite Aufatmen und dann gehen. Ich glaube eher, dass das eher eine recht wütende Sache fast, fast, fast ist, wo man sich fragt, für was das alles?
So brutal die beiden auch auf der kinogerechten Oberfläche mit Hanny Porter und ihrem Mann umspringen, verurteilen mag der Leser sie nicht. Einen Raum für allzu viel Mitgefühl eröffnen die lakonische Sprache und die kühle Distanz des Beobachters jedoch auch nicht. Wie in einem Brechtschen Lehrstück lotet der Autor in dieser atemberaubenden Geschichte sozialen Bedingungen und die Handlungsspielräume seiner Figuren aus.