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Ein britischer Blick auf die Deutsche Bahn

Margaret Thatcher soll während ihrer Amtszeit übrigens nur einmal Bahn gefahren sein. Unser Kolumnist Peter Bild steigt hingegen öfter mal ein. Er arbeitet in Berlin, unter anderem als Kommentator für die BBC, und wirft in seiner heutigen Europakolumne einen britischen Blick auf die Deutsche Bahn.

Von Peter Bild, BBC |
    Rede und Antwort will der künftige Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube heute stehen, wenn er sich den Bahn-Gewerkschaften vorstellt. Die hatten zu Grubes Vorgänger Hartmut Mehdorn - vorsichtig gesagt - kein besonders gutes Verhältnis. Ob Datenskandal, oder die Streiks im letzten Jahr – die Deutsche Bahn kam und kommt aus den Schlagzeilen nicht raus. Auch über eine mögliche Privatisierung wird weiter gestritten. Wenn dieses Wort in Zusammenhang mit der Eisenbahn fällt, zuckt mancher Brite heute noch zusammen. Schuld ist der als desaströs empfundene Verkauf des Staatsunternehmens British Rail im Jahre 1994. Ein teurer Tarifdschungel und gefährliche, weil schlecht gewartete Strecken – das waren die Folgen. Margaret Thatcher soll während ihrer Amtszeit übrigens nur einmal Bahn gefahren sein. Unser Kolumnist Peter Bild steigt hingegen öfter mal ein. Er arbeitet in Berlin, unter anderem als Kommentator für die BBC, und wirft in seiner heutigen Europakolumne einen britischen Blick auf die Deutsche Bahn:

    Der deutsche Mystiker Jakob Böhme war es, und nicht Hartmut Mehdorn, der mal sagte: "Qualität quillt aus der Qual". Eins ist dabei klar: Der gute Herr Böhme ist weder in Deutschland noch in England Bahn gefahren. Auch die Qual dieser Wahl ist ihm erspart geblieben. Was auch nicht verwunderlich ist, denn er lebte im 16. Jahrhundert.

    Anders als Herr Böhme saß ich neulich am frühen Morgen im Bahnhof Zoo und wartete und wartete. Mit nur 15 Minuten Verspätung kam dann der sogenannte Schönefeld Express an. Zeit zum Überlegen. Wie sollte ich nach meinem Billigflug nach Stansted Airport von dort aus nach London weiterfahren? Ich entschied mich für die Bahn, genauer für den privatisierten Stansted Express.

    Beide Züge – in Schönefeld wie in Stansted - heißen Express – was nicht viel mehr bedeutet, als dass ich zu Fuß länger gebraucht hätte. Aber da hört der Vergleich auf. Für die halbe Stunde nach Schönefeld zahlte ich 2 Euro 80. Für die 35 Minuten im Stansted Express 17 Pfund, trotz Pfundentwertung nicht weniger als 19 Euro.

    Ich weiß, der Vergleich hinkt. Genau wie ich es täte, wäre ich statt mit der Bahn zu Fuß gegangen. Es gibt auch Strecken, die in England sogar günstiger sind pro Kilometer als hier in Deutschland. Dafür gelten aber einige kleine Bedingungen: Man muss die Reise zwischen fünf und 15 Wochen im Voraus buchen, darf nur fahren in Monaten, die mit M oder N anfangen, und zwar am ersten Donnerstag des Monats, muss auf Intercity Züge verzichten und darf erst nach 10 Uhr morgens einsteigen.

    In England ist man geneigt, solche chaotische Absurditäten allein der Privatisierung zuzuschreiben. Stimmt dies wirklich? Schließlich werden manchen von Ihnen solche Vorgaben bekannt vorkommen, und das, obwohl die Deutsche Bahn noch in Staatshand ist.

    Trotzdem hat sie viele Tugenden. Sie fährt relativ pünktlich, relativ schnell, relativ verlässlich und auch relativ sicher. Sie ist auch relativ sauber, vor allem verglichen mit England. Es sind alles Tugenden, auch wenn sie nicht besonders aufregend sind, die ich als typisch deutsch betrachte.

    Ist dies ein Grund, ganz stur an einem Staatsmodell für die Bahn festzuhalten? Ich meine nicht. Nur Ideologen lehnen eine Privatisierung grundsätzlich ab. Denken Sie ans Telefonieren. Glauben Sie wirklich, Sie könnten Ihre amerikanischen Verwandten für einen Cent die Minute anrufen, wenn die Telekommunikation überall in Staatshand geblieben wäre? Ich glaube es nicht.

    Aber denken Sie auch hierüber nach. Die Bahn ist heute schneller, hat mehr Kunden, und ist international angesehener als vor zehn Jahren, als der ambitionierte Herr Mehdorn an ihre Spitze kam. Und das bei einem Staatsunternehmen. Wozu und an wen sollte sie also verkauft werden?

    Allen, die behaupten, sie hätten darauf eine Antwort, aber keine Zeit sie zu besprechen, mache ich folgenden Vorschlag: Treffen wir uns am Bahnhof Zoo und warten gemeinsam auf den Schönefeld Express. Bis er ankommt, haben wir Zeit, uns über dieses Thema, und auch alle anderen Probleme dieser Welt, auszutauschen.

    Auch per E-Mail können Sie versuchen mich zu überzeugen. Nur fürchte ich, dass Ihre Mails, bevor sie bei mir ankommen, gelöscht werden könnten. Und auch Sie, Herrn Mehdorn – wenn Sie mithören – lade ich ein diese Korrespondenz mitzulesen. Aber auf diese Idee kommen Sie schon von alleine.