Jungen auf der Straße, der Salità di Capodimonte. Sie rauchen und stehen mit ihren Mopeds zusammen. Sie sprechen über Fussball. Ältere Jungen kommen mir ihren Autos angefahren. Mit starkem Hupen begrüßen sie die anderen.
Wir sind in Sanità - einem der berühmtesten Stadtviertel Neapels. Berühmt im Guten wie im Bösen. Hierher verirren sich nur wenig Touristen, denn in den letzten Monaten war immer wieder die Rede von Toten in Sanità. Von ermordeten Bossen und Helfershelfern der Camorra, wie im Großraum Neapel die organisierte Kriminalität genannt wird. Doch die Schüsse fielen vor Monaten, als in Sanità der Kampf zweier Clans um die Vorherrschaft ausgetragen wurde. Seitdem herrscht Ruhe.
Bei der barocken Kirche Santa Maria della Sanità findet jeden Tag ein malerischer Markt statt. Hier sollte man seinen Rundgang durch das vielleicht faszinierendste Viertel Neapels beginnen. Morgens, frühmorgens, wenn die Marktstände öffnen.
Das Viertel Sanità ist die Quintessenz Neapels. Man muss es gesehen haben, um einen wirklich bleibenden Eindruck von der Metropole unter dem Vesuv mit nach Hause zu nehmen: enge Straßen und Gassen, himmelwärtsstrebende Barockfassaden von Kirchen und Palästen - alles ein wenig heruntergekommen, mit viel Patina und Atmosphäre und mit Menschen, die die Straßen und Plätze zu ihren Wohnzimmern erklärt haben.
Die Familie Sarto wohnt in einer für Sanità typischen Wohnung, in einem sogenannten "basso", einem Apartment, das zumeist nur aus einem oder zwei großen Räumen besteht, die von der Straße aus über eine kleine Treppe zu erreichen sind. Eine Kellerwohnung ohne Fenster und nur mit einer Tür, erklärt Maria Sarto:
"Hier unten wohnen wir und oben die Großmutter. In unserem Basso wohnen mein Mann und ich und unsere drei Kinder. Das ist eng, aber bei schönem Wetter sind wir immer vor der Tür. Das lässt sich schon aushalten. Sonntags kommen die Verwandten und wir sitzen am Tisch auf der Straße und sind alle zusammen."
Es ist vor allem diese eigentümliche Mischung aus morbider Atmosphäre, der halbverfallenen Pracht ehemaliger Paläste, die heute Mehrfamilienhäuser sind, der aufwendig geschmückten Kirchen und der zur Schau gestellten Armut der Bewohner. Viele wohnen in den "bassi" und lassen die Türen in ihre Kellerlöcher weit offen stehen, so dass man problemlos hineinschauen kann. Niemand schämt sich hier, weil er so leben muss. Man behilft sich, notfalls arbeitet man für die Camorra oder klaut. Touristen sei deshalb angeraten, einfach gekleidet und ohne sichtbare Wertsachen durch Sanità zu bummeln.
In der Nähe der Chiesa di Santa Terese degli Scalzi führt der Weg ins Erdreich, zum unterirdischen Cimitero delle Fontanelle, einem ungewöhnlichen Friedhof, der an heißen Tagen von den Bewohnern von Sanità als Fluchtort genutzt wird, erklärt Franco Sarto, Marias Ehemann:
"Das ist wahr, das ist keine Übertreibung. Nur dort, bei den Toten, ist es an solchen Tagen so richtig frisch. Da kann man es aushalten. Die Toten und die Gräber, das stört uns nicht. Schon als Kind ging ich mit meinen Eltern an besonders heißen Tagen dorthin. Das machen alle so und das machte man auch früher schon. Wer mit dieser Tradition nicht aufgewachsen ist, findet sie sicherlich ein wenig makaber."
Der Cimitero delle Fontanelle besteht aus uralten Tuffsteingrotten, die man unbedingt besichtigen sollte. Sie gehören zu den ältesten Bestattungsorten Neapels. Die Ursprünge gehen auf die griechische Antike zurück. Die in den Tuffstein geschlagenen Grotten wurden anschließend auch von den Römern genutzt. Im Mittelalter galten sie als verzaubert und die meisten Neapolitaner machten einen großen Boden um sie. Diebe und andere Kriminelle ließen sich in den Grotten nieder, weiß der Stadthistoriker Giancarlo Minotti:
"Erst später interessierten sich die Menschen wieder für die Grabkammern. Seit dem 15. Jahrhundert werden die Grotten wieder als Begräbnisstätten genutzt. Neben den heidnischen Gräbern und den frühchristlichen Katakomben wurden neue Grotten in den Tuff geschlagen, immer tiefer in den Berg hinein, so dass ein faszinierendes Labyrinth entstand. Dieses Labyrinth ist heute ein echter Anziehungspunkt."
Der Besuch entdeckt eine selbst in Italien ungewöhnliche Aufeinanderfolge von Begräbnisstätten aus fast 2.000 Jahren Geschichte. Griechische Grabkammern, römische Sarkophage und frühchristliche Begräbnisstätten reihen sich in den langen Gängen der Grotten aneinander. In einigen Grotten lagern zehntausende von Knochenresten.
Wieder an der Erdoberfläche fühlt man sich mitten ins Leben geworfen. Bis auf die Mittagspause geht es in Sanità hoch her: Mopeds röhren, Menschen rufen sich von einem Fenster zum anderen etwas zu, es wird auf der Straße gekocht und gegessen und das Wort "Diskretion" oder "Privatsphäre" scheint man hier nicht zu kennen. Und doch wirkt Sanità wie ein Dorf, ein Dorf mitten in der Metropole. Genau das macht seinen Reiz aus.
Wir sind in Sanità - einem der berühmtesten Stadtviertel Neapels. Berühmt im Guten wie im Bösen. Hierher verirren sich nur wenig Touristen, denn in den letzten Monaten war immer wieder die Rede von Toten in Sanità. Von ermordeten Bossen und Helfershelfern der Camorra, wie im Großraum Neapel die organisierte Kriminalität genannt wird. Doch die Schüsse fielen vor Monaten, als in Sanità der Kampf zweier Clans um die Vorherrschaft ausgetragen wurde. Seitdem herrscht Ruhe.
Bei der barocken Kirche Santa Maria della Sanità findet jeden Tag ein malerischer Markt statt. Hier sollte man seinen Rundgang durch das vielleicht faszinierendste Viertel Neapels beginnen. Morgens, frühmorgens, wenn die Marktstände öffnen.
Das Viertel Sanità ist die Quintessenz Neapels. Man muss es gesehen haben, um einen wirklich bleibenden Eindruck von der Metropole unter dem Vesuv mit nach Hause zu nehmen: enge Straßen und Gassen, himmelwärtsstrebende Barockfassaden von Kirchen und Palästen - alles ein wenig heruntergekommen, mit viel Patina und Atmosphäre und mit Menschen, die die Straßen und Plätze zu ihren Wohnzimmern erklärt haben.
Die Familie Sarto wohnt in einer für Sanità typischen Wohnung, in einem sogenannten "basso", einem Apartment, das zumeist nur aus einem oder zwei großen Räumen besteht, die von der Straße aus über eine kleine Treppe zu erreichen sind. Eine Kellerwohnung ohne Fenster und nur mit einer Tür, erklärt Maria Sarto:
"Hier unten wohnen wir und oben die Großmutter. In unserem Basso wohnen mein Mann und ich und unsere drei Kinder. Das ist eng, aber bei schönem Wetter sind wir immer vor der Tür. Das lässt sich schon aushalten. Sonntags kommen die Verwandten und wir sitzen am Tisch auf der Straße und sind alle zusammen."
Es ist vor allem diese eigentümliche Mischung aus morbider Atmosphäre, der halbverfallenen Pracht ehemaliger Paläste, die heute Mehrfamilienhäuser sind, der aufwendig geschmückten Kirchen und der zur Schau gestellten Armut der Bewohner. Viele wohnen in den "bassi" und lassen die Türen in ihre Kellerlöcher weit offen stehen, so dass man problemlos hineinschauen kann. Niemand schämt sich hier, weil er so leben muss. Man behilft sich, notfalls arbeitet man für die Camorra oder klaut. Touristen sei deshalb angeraten, einfach gekleidet und ohne sichtbare Wertsachen durch Sanità zu bummeln.
In der Nähe der Chiesa di Santa Terese degli Scalzi führt der Weg ins Erdreich, zum unterirdischen Cimitero delle Fontanelle, einem ungewöhnlichen Friedhof, der an heißen Tagen von den Bewohnern von Sanità als Fluchtort genutzt wird, erklärt Franco Sarto, Marias Ehemann:
"Das ist wahr, das ist keine Übertreibung. Nur dort, bei den Toten, ist es an solchen Tagen so richtig frisch. Da kann man es aushalten. Die Toten und die Gräber, das stört uns nicht. Schon als Kind ging ich mit meinen Eltern an besonders heißen Tagen dorthin. Das machen alle so und das machte man auch früher schon. Wer mit dieser Tradition nicht aufgewachsen ist, findet sie sicherlich ein wenig makaber."
Der Cimitero delle Fontanelle besteht aus uralten Tuffsteingrotten, die man unbedingt besichtigen sollte. Sie gehören zu den ältesten Bestattungsorten Neapels. Die Ursprünge gehen auf die griechische Antike zurück. Die in den Tuffstein geschlagenen Grotten wurden anschließend auch von den Römern genutzt. Im Mittelalter galten sie als verzaubert und die meisten Neapolitaner machten einen großen Boden um sie. Diebe und andere Kriminelle ließen sich in den Grotten nieder, weiß der Stadthistoriker Giancarlo Minotti:
"Erst später interessierten sich die Menschen wieder für die Grabkammern. Seit dem 15. Jahrhundert werden die Grotten wieder als Begräbnisstätten genutzt. Neben den heidnischen Gräbern und den frühchristlichen Katakomben wurden neue Grotten in den Tuff geschlagen, immer tiefer in den Berg hinein, so dass ein faszinierendes Labyrinth entstand. Dieses Labyrinth ist heute ein echter Anziehungspunkt."
Der Besuch entdeckt eine selbst in Italien ungewöhnliche Aufeinanderfolge von Begräbnisstätten aus fast 2.000 Jahren Geschichte. Griechische Grabkammern, römische Sarkophage und frühchristliche Begräbnisstätten reihen sich in den langen Gängen der Grotten aneinander. In einigen Grotten lagern zehntausende von Knochenresten.
Wieder an der Erdoberfläche fühlt man sich mitten ins Leben geworfen. Bis auf die Mittagspause geht es in Sanità hoch her: Mopeds röhren, Menschen rufen sich von einem Fenster zum anderen etwas zu, es wird auf der Straße gekocht und gegessen und das Wort "Diskretion" oder "Privatsphäre" scheint man hier nicht zu kennen. Und doch wirkt Sanità wie ein Dorf, ein Dorf mitten in der Metropole. Genau das macht seinen Reiz aus.