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Corporate Identity - heute legen Unternehmen großen Wert auf Art der Verbreitung ihrer Philosophie. Das Stuttgarter Daimler-Werk ist in dieser Hinsicht ein Vorreiter, denn hier sollte eine "Werkszeitung" eine gemeinsame Sprache finden. Am 25. August 1920 endete das Experiment jäh wegen eines Streiks kommunistischer Arbeitergruppen.

Von Matthias Sträßner | 25.08.2010
    "Es trete jemand auf, der zu nichts anderem da ist, als diese Übersetzung der Parteien, die gemeinsame Werksprache, zu sprechen, dessen Beruf eben das und nur das, auch wirtschaftlich ist. Er maskiert sich weder als Arbeiter noch als Beamter. Er saniert die geistige Einheit des Werks, in dem er anfängt, aus ihr heraus zu sprechen. Ich erbiete mich, als Sprecher für die Werkeinheit Daimler nach Untertürkheim zu ziehen."

    Im Jahr 1919, ein Jahr nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, unterbreitet der Soziologe Eugen Rosenstock, der seit seiner Heirat mit einer Schweizerin den Doppelnamen Rosenstock-Huessy führt, der Daimler-Motoren-Gesellschaft eine Denkschrift "Über die geistige Sanierung des Daimlerwerks." Der Diagnose folgt die Verabreichung einer ungewohnten und auch noch nicht erprobten Medizin: eine neue, so bisher nicht gekannte Werkzeitung. Der Vorschlag wurde angenommen. Im Juni 1919 erschien die erste Ausgabe, die der Ingenieur Paul Riebensahm, Vorstandsmitglied des Unternehmens, der Belegschaft folgendermaßen nahe zu bringen versucht:

    "So glaubt die Werksleitung in der Tat hoffen zu können, etwas Ernsthaftes zu wirken mit der Werkszeitung. Sie soll nicht die 'soziale Frage lösen'. Aber sie soll durch ihren geistigen Inhalt Verständigung anbahnen. (Sie) soll schließlich den, der Anderen vorgesetzt ist, erinnern, immer daran zu denken, dass der Mensch nicht um der Arbeit willen da ist, sondern die Arbeit um des Menschen willen. Denn auch in der Welt der Arbeit ist 'der Mensch das Maß aller Dinge'."

    19 Ausgaben in 14 Monaten wurden es insgesamt, bis – nach einer vorübergehenden Schließung des Stuttgarter Daimlerwerks am 25. August 1920 - ein bemerkenswerter Versuch sein schnelles Ende fand: Ganze Ausgaben über Leonardo da Vinci und James Watt, Hefte über Transport und Verkehr, die Eisenbahn, die Schifffahrt, über Relativitätstheorie und Psychotechnik wurden vorgelegt. Hier stellte Paul Schmitthenner die deutsche Volkswohnung vor und der Reformpädagoge Werner Picht das Prinzip der Volkshochschule. Hier schrieb Theodor Heuss über den gewünschten Zusammenschluss Deutschlands mit Österreich, hier entwickelte Paul Bonatz seine Vision eines modernen Stuttgarter Hauptbahnhofs. Fortsetzungsromane Peter Roseggers und des Ingenieurdichters Max Eyth rundeten die Ausgaben ab. Der Blick in die Welt und Lokalkolorit: Italienischer Futurismus und Amerika konnten genau so ins Bild geholt werden wie ein Stuttgarter Städteporträt aus der Feder des damals bereits verstorbenen Hamburger Museumsdirektors Alfred Lichtwark.

    Hinter diesem publizistischen Konzept einer modernen Werkzeitung stand die Figur von Eugen Rosenstock-Huessy. Der Kulturphilosoph, Soziologe und Erwachsenenbildner erwarb sich später seinen Ruf als "Vater des Kreisauer Kreises" durch seine Zusammenarbeit mit Carlo Schmid und Kurt-Martin Hahn in sogenannten Arbeitslagern, die – anders als Arbeitslager in totalitären Staaten – strikt auf der Freiwilligkeit der Beteiligten beruhten. James Graf von Moltke, Adolf Reichwein und York von Wartenburg zählten zu Rosenstock-Huessys Weggefährten auch dann noch, als dieser 1934 aufgrund seiner jüdischen Herkunft zur Emigration gezwungen wurde und in die Vereinigten Staaten zog, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1973 lebte.

    Ganz ohne Skurrilitäten ging es in der Daimler Werkzeitung der Jahre 1919/1920 nicht ab: Aber man muss schon genau hinschauen, um "Deutschlands Recht auf Kolonien", kleine Texte des Nietzsche-Adepten Arthur de Gobineau, oder die These zu entdecken, dass im Fachwerk des Geburtshauses von Schiller in Marbach altgermanische Runen zu finden sind.

    Rosenstock-Huessy ist mit seinem Konzept einer "Werksprache" allen modernen Formen der Corporate Identity um Jahrzehnte voraus. Einem amerikanischen Reporter erklärte er, was 40 zuvor Jahre sein Impetus gewesen war:

    "Wir alle brauchen das Vertrauen, das andere in uns setzen, wenn sie sagen: Du wirst gebraucht! Auf Dich warten wir! Jobs, Fähigkeiten, alles ganz nett und ich habe auch nichts dagegen, aber sie werden erst wichtig, wenn eine Person auf eine andere blickt und sagt: Ich weiß, du kannst es!"