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Ein Faible für Funktionärspolitik

Die Rolle von Frauen stärken, auch im Sportbereich, das fordert der Deutsche Olympische Sportbund. Aller Voraussicht nach wird auch an dessen Spitze künftig eine Frau eine wichtige Position einnehmen.

Von Grit Hartmann |
    Auf der 6. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB wird das Präsidium neu gewählt. Überraschungen werden allgemein nicht erwartet. Die wichtigste Neuerung an der Spitze des Sport-Dachverbandes ist schon seit Juni bekannt. Auf Eberhard Gienger, der nach vier Jahren nicht mehr als Vizepräsident für den Bereich Leistungssport antreten wird, folgt aller Voraussicht nach Christa Thiel – die Chefin des Deutschen Schwimmverbandes DSV.

    Christa Thiel darf als Spätberufene gelten. Die Rechtsanwältin aus Wiesbaden wäre schon 2006, bei der Gründung des DOSB, gern Vizepräsidentin geworden. Als klar war, dass Thomas Bach den Ex-Turnweltmeister und CDU-Abgeordneten Eberhard Gienger als Stellvertreter favorisierte, zog sie zurück, begnügte sich mit dem Posten als Sprecherin der Spitzenverbände, focht in der Abwehr eines Antidopinggesetzes an Bachs Seite und konzentrierte sich ansonsten auf ihre internationale Karriere.

    Die beobachtet Craig Lord, intimer Kenner des Schwimmsports, seit langem. Lord arbeitet für die "Times" und betreibt die Website Swimnews.com, die im Weltverband FINA so respektiert wie gefürchtet ist. Bezüglich Thiel setzte seine Ernüchterung vor zehn Jahren ein. Damals verkündete die DSV-Präsidentin eine Terminverschiebung für die Europameisterschaft 2002 in Berlin. Grund: München richtete in jenem Sommer die Leichtathletik-EM aus. Der neue Termin kollidierte mit dem der Commonwealth-Spiele. Lord also fragte die Deutsche, ob es kein Problem sei, dass erstmals in der EM-Geschichte traditionsreiche Schwimm-Nationen fehlen würden:

    "”Ihre Antwort war: 'Alle sind eingeladen, zu unserem Event zu kommen.’ Das war es. Die totale Verständnislosigkeit. Es war eine politische Antwort – im Interesse des Geldes, der Fernsehrechte und der Sportpolitik, das Interesse der Athleten zweitrangig. Und das ist mein grundsätzliches Problem, nicht mit Christa Thiel persönlich, aber mit all diesen Leuten, die in die Sportpolitik kommen, um ihre Karriere zu befördern – statt die Interessen und die Rechte der Athleten zu befördern.”"

    Akzeptanz erwarb sich Thiel, eine frühere Turniertänzerin, vornehmlich in Funktionärszirkeln: Zuerst brachte sie es im Europäischen Schwimmverband zur Schatzmeisterin. Als solche steht sie, sagt Lord, eher für den Ehrenamtler-Durchschnitt:

    "”Wenn wir Statements bekommen, dann solche wie das von Christa Thiel bei den letzten Europameisterschaften. Im Wesentlichen sagt man den Medien: 'Wir haben es sehr gut gemacht’. Es gibt nichts Konkretes, keine Summen, keine Details zu Sponsorenverträgen, weil die angeblich zu sensibel sind. Es gibt keine wirkliche Information.”"

    Derlei ist im Sportbusiness keine Karrierebremse. Bei Thiel stellt sich diese Frage anders: Mit dem Algerier Moustafa Larfaoui, der 2009 nach zwei Jahrzehnten an der FINA-Spitze zum Rückzug gezwungen wurde, verlor die Deutsche ihren Gönner. Die Branche quittierte das auch mit Erleichterung. Craig Lord:

    "”Dieser Mann tauchte im November bei Sportlerehrungen in Rostock auf. Auf regionalem, lokalem Niveau! Selbstverständlich war das nicht sein Job. Aber er war dort mit 350 Dollar Spesen am Tag, auf FINA-Kosten, als FINA-Präsident.”"

    Thiel verfehlte letztes Jahr den Einzug in die FINA-Exekutive, sie bekam den Vorsitz der Disziplinarkommission:

    "”Wenn man Sportfunktionäre zu den Regeln in ihren eigenen Satzungen befragt, finden sie es schwierig zu antworten. Sie verstehen nicht wirklich, wie die Regeln mit ihrem Sport verbunden sind und mit den Athleten, die sie repräsentieren sollten. Wir sind durch diesen Riesentrouble mit den Anzügen gegangen, der leicht hätte vermieden werden können. Dazu ist es nur gekommen, weil eine Handvoll Funktionäre einfach ihre eigenen Regeln falsch interpretiert haben. Deutschland war immens betroffen. Ist Christa Thiel für ihre Athleten aufgestanden und hat gesagt: 'Diese Anzüge sind falsch, sie zerstören unseren Sport’?”"

    Gegen die Hightech-Anzüge protestierten nur die Athleten. Wobei die deutschen Schwimmer zunächst Wettbewerbsfähigkeit herstellen mussten. Noch im Olympia-Jahr 2008 zwang der DSV Britta Steffen, Paul Biedermann & Co die langsameren Adidas-Arbeitsgeräte auf, was eine Revolte auslöste:

    "”Die meisten sagten dazu: Wir wollen nicht zuerst diese Anzüge. Aber wenn sie schon da sind, dann müssen wir konkurrenzfähig sein. Christa Thiel vertrat die Position, dass es einen Vertrag gibt und dass deshalb die deutschen Schwimmer Nachteile in Kauf zu nehmen hätten. Das war nicht im Interesse der Schwimmer. Das war im Interesse ihrer sportpolitischen Karriere. Über die hat sie wirklich gesprochen.”"

    Die Temporennen in Gummi überlagerten eine Frage, die nun, seit die Schwimmer wieder in textilem Gewebe stecken, neu aufkommt: die nach der Ernsthaftigkeit der Dopingbekämpfung. 2006, als deutsche Leistungsschübe beargwöhnt wurden, versprach Thiel radikale Kontrollen, Blutprofile inklusive. Die Kampfansage war ein Fake. Blutprofile legt in Deutschland bis heute nur die Nationale Anti-Dopingagentur an. Überschaubar auch das Interesse an Prävention: In diesem Jahr orderte der DSV einmal einen Infostand, teilt die Nada mit. Weitere Angebote wurden – Zitat – "bisher nicht genutzt".

    Irritierende Signale sandte der Verband zuletzt im Dopingfall Sonja Schöber aus. Unschuldsbeteuerungen der Dortmunderin schienen ihm einleuchtend genug, um die Mindestsperre auf ein Jahr zu halbieren. Die Nada rief den Weltsportgerichtshof CAS an – eine deutsche Premiere. Thiel bemühte sich um Schadensbegrenzung und erklärte, Schöber akzeptiere auch eine längere Sperre. Beim CAS streite man nur noch um die Kosten des Gerichtsgangs. Eine unkonventionelle Interpretation für eine Juristin – denn die Verfahrenshoheit lag beim CAS. Der stellte an diesem Dienstag den DSV bloß: zwei Jahre Pause für Schöber, lautete das Urteil.

    Damit erhielt die Begründung, mit der zeitgleich einer von Thiels Stellvertretern im Verband hinwarf, einen merkwürdigen Beiklang. Andreas Felchle hielt der Präsidentin vor, den fast 600.000 Mitglieder starken DSV zu einseitig auf den Leistungssport auszurichten.

    An Thiels Wahl in die DOSB-Spitze besteht deshalb kein Zweifel. Sie soll Thomas Bach, der in drei Jahren IOC-Präsident Jacques Rogge beerben will, national Arbeit abnehmen. Warum das nur gut sein kann, hat Bach vor vier Jahren begründet, als die Anwaltskollegin noch scheiterte. Es gelte, "die Rolle der Frauen in Führungspositionen zu stärken". Christa Thiel kann bald zeigen, ob sie mehr repräsentiert und vor allem: was genau.