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Ein falsches Bild der Kunstentwicklung?

Stefan Koldehoff: Gérard Goodrow, Direktor der Kunstmesse Art Cologne, ist Amerikaner, profunder Kenner der internationalen Nachkriegskunst und selbst Kurator. Mit ihm bin ich jetzt verbunden. Herr Goodrow, stimmen Sie den Vorwürfen von Werner Spies zu: Ist da zuviel Amerika und zu wenig Europa in Berlin?

Gérard A. Goodrow, Direktor der Art Cologne, im Gespräch |
    Gérard A. Goodrow: Ich denke, seine Vorwürfe sind übertrieben. Natürlich haben wir schon seit Jahrzehnten das Problem, hat New York die Idee der Modernen Kunst geklaut oder nicht? Man hat schon auf der Documenta in den 50er Jahren und auch auf den Biennalen in den 50er und 60er Jahren diesen Einzug der amerikanischen Kunst gesehen. Das ist in gewisser Weise eine Tatsache, das heißt nicht, dass die europäische Kunst minderwertig ist, aber die amerikanische Kunst aus dieser Epoche hat eine Vorherrscherrolle. Das kann man ruhig in einer Ausstellung dokumentieren, man muss nicht immer enzyklopädisch sein.

    Koldehoff: Das heißt, die Gewichtung, die da vorgenommen wird, ist eine Gewichtung, die ein Kurator auch ruhig treffen kann? Verzicht auf Polke und Baselitz und Kiefer und Hockney und stattdessen dann lieber nur Jasper, Jones und Lichtenstein und Rauschenberg, das kann man machen?

    Goodrow: Es liegt bei jedem Kurator, die Entscheidung selbst zu treffen. Die Schätze des Museums of Modern Art in New York sind vorwiegend die amerikanischen Schätze, vor allem aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Die haben natürlich Werke von Polke und Richter und von anderen europäischen Künstlern. Aber in dieser Ausstellung wären die vielleicht fehl am Platze.

    Koldehoff: Nun ist es ja so, dass das MoMA und auch die Berliner Nationalgalerie wirbt mit dem Slogan, "Die Highlights aus dem MoMA in New York". Hätte man dann nicht wenigstens drauf hinweisen müssen, dass man bestimmte Schwerpunkte gesetzt hat und dass bestimmte andere Sachen fehlen?

    Goodrow: Das ist sicherlich ein Fehler in der PR dieser Ausstellung. Man hat gedacht, man kriegt das Museum of Modern Art. Aber das ist tatsächlich eine kuratierte Ausstellung, wo in der zweiten Hälfte die klassische Moderne sehr europäisch ist und dann hat man für die Nachkriegskunst eher die amerikanische Kunst. Das hätte man schon durch einen Untertitel oder durch bessere Erklärung für die Presse, für die Öffentlichkeit klarstellen müssen.

    Koldehoff: Werner Spies erhebt Vorwürfe in seinem Artikel, er schreibt unter anderem, man kommt nicht um den Verdacht herum, dass die europäischen Künstler einfach geopfert, in ihre Schranken verwiesen werden. An anderer Stelle schreibt er, die Amerikaner, die die Auswahl getroffen haben, betreiben Kulturpolitik, es geht ihnen um denen Kanon, den das MoMA definiert hat, der auch weiterhin verbindlich bleiben soll. Glauben Sie, dass ein Kurator auch solche Ideen haben kann, wenn er eine Ausstellung zusammenstellt oder ist das völlig aus der Luft gegriffen?

    Goodrow: Ich denke, ein Kurator kann Ideen haben, aber ich unterstelle, dass das nicht der Fall war in diesem Fall. So einer der besten Kuratoren vom Museum of Modern Art ist Gary Garrels, der die deutsche Kunst zum Beispiel liebt, hat auch vor ein paar Jahren in Köln die große Ausstellung gemacht, Fotografie der deutschen Gegenwartskunst. Er ist ein großer Verfechter von Richter und Polke. Ich denke, dieser Vorwurf ist maßlos übertrieben. Man muss einfach sehen, dass der Herr Spies ein Europäer ist, ein sehr klassischer Europäer mit einer bestimmten Sichtweise, der ist ein Kunstwissenschaftler. Das Wort gibt es zum Beispiel nicht im Amerikanischen und die Ausstellung wurde von Amerika aus kuratiert, es gibt eine andere Sichtweise der Dinge. Die wollten was präsentieren, was publikumswirksam ist.

    Koldehoff: Was glauben Sie denn hat, Sie haben ihn gerade versucht zu charakterisieren, was glauben Sie denn, hat Werner Spies dazu gebracht, in diesem furiosen Artikel diese Vorwürfe zu erheben? Er ist eine Kapazität, eine angesehene Koryphäe auf dem Gebiet der Kunstkritik, da setzt man ja seinen Ruf nicht leichtfertig aufs Spiel.

    Goodrow: Ich denke, jeder Kunstkritiker und Kunsthistoriker hat eine Position zu verteidigen. Das mache ich selbst, ich bin ein großer Verfechter von deutscher Kunst und europäischer Kunst im Gegensatz zur amerikanischen Kunst. Das ist sein Recht, aber man muss verstehen, dass bei jedem Artikel, egal wer das geschrieben hat, was ist die Quelle? Und Werner Spies ist ein Mann, der auf die klassische Moderne setzt, er ist ein großer Verfechter von den Spätwerken der Künstler der klassischen Moderne, der schreibt selbst über Max Ernst, Matisse und Picasso, natürlich gibt es das großartige Spätwerke dieser Künstler in der Nachkriegszeit, aber die waren nicht mehr aktuell. Was die Ausstellung zeigt, ist, was aktuell war. Pop Art war in den 60er Jahren maßgeblich, weltweit, wir haben auch die Ableger und die verwandten Bewegungen in Europa, in England, in Deutschland vor allem, aber führend war amerikanische Pop Art und warum soll man das nicht so darstellen? Ich denke, das zeigt wiederum diesen Unterschied von amerikanischer Sichtweise, wo Marketing schon längst ein Teil von Ausstellungspolitik ist und vor allem die deutsche Seite, Spies ist Deutscher durch und durch, er ist ein Kunstwissenschaftler und ein Wissenschaftler sucht die Objektivität voranzutreiben und der Amerikaner sagt, nein, das ist ein Event und wir wollen das publikumswirksam gestalten.

    Koldehoff: Das MoMA in Berlin. Gérard Goodrow, Direktor der Kunstmesse Art Cologne, war das.