Freitag, 19. April 2024

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Ein Feature aus dem Jahr 1987
Verkehrswarnfunk im Deutschlandfunk

Was mit dem Februar 2020 endet, begann im März 1964 - die Verkehrsnachrichten im Deutschlandfunk. 1987 haben wir zu diesem Thema ein Feature des damaligen Nachrichtenchefs Peter Beyersdorf gesendet. Heute ist es ein zeithistorisch Dokument zu einem Stück Rundfunkgeschichte.

Von Peter Beyersdorf | 30.01.2020
    Ausgebaute Autoradios zum Verkauf
    Ausgebaute Autoradios zum Verkauf (imago / Westend61)
    Die Audiodatei des Beitrags aus dem Jahr 1987 können Sie hier hören .
    "Deutschlandfunk, zur Verkehrslage meldet die Polizei: Hessen: A7 von Fulda in Richtung Kassel, zwischen Homberg/Efze und Melsungen fünf Kilometer Stau nach Unfall. Baden-Württemberg: A5 …"
    So, verehrte Hörerinnen und Hörer, meldet sich der Deutschlandfunk jeweils vor seinen Nachrichtensendungen für die Autofahrer. Verkehrswarnfunk – das ist die Überschrift für eine Serviceleistung, die heute von allen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland geboten wird. Der Deutschlandfunk war im Übrigen der erste Sender, der so etwas gemacht hat. Seit dem 25. März 1964 werden im Deutschlandfunk Durchsagen über Verkehrsstörungen auf den Europastraßen und den Bundesautobahnen gegeben.
    "Serviceangebot kam ganz hervorragend an"
    Dieses Serviceangebot des Deutschlandfunks kam bei den Autofahrern ganz hervorragend an. Es kam so gut an, dass die Landesrundfunkanstalten nachzogen und ihrerseits sogenannte Servicewellen einrichteten, wie zum Beispiel SWF3, HR3, WDR2 oder Bayern3. Der grundlegende Unterschied zu den genannten Programmen ist allerdings sofort erkennbar. Den Landesrundfunkanstalten stehen für ihren Verkehrsservice jeweils eigene Programmschienen zur Verfügung, in denen sich die Verkehrsredakteure ohne zeitliche Begrenzung ausbreiten können, in denen sie auch das Programm unterbrechen können, wenn es die Situation erfordert. Das können wir im DLF nicht und es ist ohne weiteres einsehbar, warum wir es nicht können. Man stelle sich vor: Mitten in der Übertragung eines Konzerts oder während des Gottesdienstes am Sonntagvormittag kommt der Triller und wir warnen vor einem Falschfahrer auf der Autobahn. Das geht nicht und das sind eben die Zwänge, denen sich ein Sender mit nur einer Programmschiene beugen muss.
    Alle Bundesländer, Grenzübergänge und Transitstrecken
    Das bedeutet für uns, dass wir stündlich eine möglichst aktuelle komprimierte überregionale Übersicht über die Verkehrslage zu geben haben. – Stichwort überregional: Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag des Deutschlandfunks versuchen wir, Verkehrsstörungen aus allen Bundesländern, von den Grenzübergängen und von den Transitstrecken zu erfassen. Sie werden geographisch von Norden nach Süden geordnet. Die entsprechenden Meldungen können wir uns natürlich nicht selbst besorgen. Wir erhalten sie von der bundesmeldestelle der Polizei in Düsseldorf. Diese wiederum wird von den einzelnen Landesmeldestellen informiert. Die Landesmeldestellen erhalten Nachricht von Polizeistationen an den Autobahnen.
    Der manchmal lange Weg von der Autobahn zum Mikrofon
    Dies ist gelegentlich ein recht langer Weg – vom Unfall mit dem sich bildenden Stau über die verschiedenen Meldestellen bis zu uns im Deutschlandfunk in die Nachrichtenredaktion. Da kann es schon einmal sein, dass die Polizeibeamten am Unfallort mit Absperrungen oder Rettungsarbeiten beschäftigt sind, bevor sie ihre Störmeldung an die nächste zuständige Stelle weitergeben, und so passiert es auch schon einmal, dass Sie, verehrte Autofahrer, schon längst in einem Stau stehen, den wir Ihnen noch nicht durchsagen konnten. Das gefällt uns auch nicht, aber es ist nun einmal so, dass wir nur weitergeben können, was uns von der Bundesmeldestelle der Polizei vorliegt. Das ist im Übrigen das Problem der Verkehrsmeldungen bei allen Sendern. Der Weg vom Ereignis, also von der Autobahn zum Mikrofon im Sender, ist immer länger als der vom Mikrofon zum Autoradio.
    Die technische Seite
    Wir im Deutschlandfunk haben versucht, diese Wege zu verkürzen. Das heißt, aktueller und schneller zu werden. Früher kamen die Verkehrsmeldungen über einen ganz normalen Fernschreiber in der Redaktion an. In Zeiten besonderer Verkehrsdichte war es vorgekommen, dass bis zum Beginn der Verkehrsmeldungen noch gar nicht alle vorliegenden Störungen bei uns eingetroffen waren und also auch nicht gesendet werden konnten. Das hatte völlig zurecht immer wieder zu Protesten unserer Hörer geführt. Seit gut drei Jahren ist das anders geworden. Mit Hilfe des computergestützten Verkehrswarndienstes der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen kann der Deutschlandfunk seine Verkehrsmeldungen jetzt aktueller und umfassender gestalten. Die wichtigsten Informationen zur Verkehrslage werden über die Nachrichten- und Führungszentrale beim Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen weitergegeben.
    Die besonderen Belange des Deutschlandfunks
    Nach langjährigen Bemühungen ist es auch gelungen, bei der Bundesmeldestelle der Polizei Verständnis für die speziellen Bedürfnisse des Deutschlandfunks nach einem überregionalen Verkehrsdurchsagenprogramm zu wecken. Dieses DLF-spezifische Programm umfasst vorrangig akute Verkehrsstörungen mit überregionaler Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland, für die Transitstrecken und für das angrenzende Ausland.
    Die aktuellen Verkehrsstörungen werden jetzt vom Computer zusammengestellt und auf ein Datensichtgerät in der Redaktion übertragen. Ein sendefähiges Manuskript wird mit einer Geschwindigkeit von 2400 Baud ausgedruckt. Damit ist es möglich geworden, noch unmittelbar vor Beginn der Verkehrsdurchsagen die jeweilige Situation auf den Fernstraßen und Autobahnen abzurufen.
    Kritik am Verkehrsfunk
    Und noch etwas möchte ich heute erläutern. Immer wieder erhalten wir Briefe, dass Nordrhein-Westfalen in unseren Verkehrsmeldungen überrepräsentiert sei. Das hat seinen Grund einmal darin, dass die Wege von den nordrhein-westfälischen Autobahnen zur Meldestelle in Düsseldorf natürlich sehr viel kürzer sind als aus anderen Bundesländern. Vor allem aber zeigt ein Blick auf die Straßenkarte, dass nirgendwo sonst das Autobahnnetz ähnlich dicht und ineinander verzahnt ist wie eben in Nordrhein-Westfalen. Mehr Autobahnen, mehr Autos, mehr Verkehr – das bedeutet zwangsläufig mehr Unfälle, mehr Störungen und mehr Staus.
    Es gibt Tage, da ist auf den Autobahnen alles dicht. Es läuft nichts mehr. Ich denke beispielsweise an die Haupttage des Ferien-Reiseverkehrs. Da brauchten wir eine viertel Stunde oder länger, um alle Störungen aufzählen zu können. Aber davon hätte der Autofahrer nichts. Das kann er nicht aufnehmen und verarbeiten. In solchen Fällen versuchen wir, redaktionell zusammenzufassen, etwa in dieser Form: "Starker Reiseverkehr führt auf nahezu allen Autobahnen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zu Staus und Behinderungen. Besonders betroffen sind die Autobahnen in Richtung Süden." Anders können wir uns bei begrenzter Sendezeit nicht helfen.
    Die Sprache der Verkehrsmeldungen
    Und ein Letztes, weil uns dazu immer wieder Hörerpost erreicht. Es betrifft die Sprache der Verkehrsmeldungen. Sie gefällt uns auch nicht immer und das immer wieder auftauchende Wort "Zähflüssigkeit" finde ich auch unschön. Aber die Verkehrsmeldungen werden so kurzfristig aus dem Computer abgerufen und ausgedruckt, dass eine redaktionelle sprachliche Gestaltung meistens nicht mehr möglich ist. Denn letztendlich geht es hierbei in erster Linie um die aktuelle Information für den Autofahrer. Sie muss Vorrang haben vor der sprachlichen Ästhetik, auch wenn es manchmal nicht sehr elegant klingt.

    Das Feature von Peter Beyersdorf wurde 1987 gesendet. Verschriftlicht hat es für Sie unser Kollege Michael Thiedeke.