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Ein Fest alter Schule

Das Düsseldorfer Schauspielhaus hat einen neuen Intendanten – den Schweden Staffan Valdemar Holm. Sein Einstand mit "Hamlet" mutet wie ein Rückschritt in der Theatergeschichte an, auch wenn die Schauspieler großartig sind.

Von Dorothea Marcus | 05.11.2011
    Eine winzige Ophelia spricht die berühmten Einstandsworte des Grabwächters, bevor sie sich mit Hamlet zur Musik der dänischen Punkrockband Sort Sol in einem züchtig-distanzierten Tanz umkreist. Hier lieben sich zwei, kommen sich aber doch nicht nahe. Doch das ist auch schwer in dem gewaltigen goldenen Grab, der das reiche Schloss von Helsingör bildet. Bühnenbildnerin Bente Lykke Møder hat den Palast zum wuchtigen Kasten gemacht, ein starrer riesiger Goldbarren mit unendlich langen Bühnenwegen. Auch am Hofe herrscht Strenge und Gleichförmigkeit: Die Männer treten in Reihe auf, tragen schwarze Anzüge, weiße Hemden und Krawatte, die Frauen schwarze Kleider. Jeder einzelne beschenkt uns mit Schauspielkunst alter Schule: statisch, aber souverän. Da steigert sich Aleksandar Radenković als Hamlet wirklich großartig in seinen Handlungszwang ohne Ausweg, in Raserei, Selbstekel, Menschenhass. Sehenswert, wie er sich von Ophelia abwendet, ihren Kuss und ihre Liebe verweigert, um sie schließlich am Hintern zu packen und halb zu vergewaltigen.

    "Sterben…schlafen… Mach dich auf den Weg ins Kloster, hör auf, hör auf. Wenn du heiraten willst, hör auf, hör auf. Ihr sprecht mit gespitzten Zungen, eure Geilheit…"

    "Welch edler Geist ist hier zerstört."

    Als Ophelia nach drei Stunden zu Grabe getragen wird, stürzt sich Hamlet auf ihren trauernden Bruder Laertes und schüttet die Urne über ihnen aus. Ophelias Asche schwebt in großen Wolken durch das Gold des Bühnenbilds und bedeckt Hamlets schwarzen Anzug mit einem grauen Schleier: die Frau, der er im Leben nicht nahekam, umfängt ihn jetzt mit ihren toten Körperresten. Ein brutales, extremes Bild an diesem bilderarmen, dreieinhalbstündigen Abend.

    Ein schauspielerisches Ereignis ist auch Rainer Bock als Claudius, der Usurpator des dänischen Throns: Wenn sich Gertrude ihm an den Hals wirft, steckt er erst die Brille in die Reverstasche und guckt gleich darauf schon wieder auf die Uhr. Ein machtbewusster Technokrat, der nur einmal aus der Rolle fällt, als er Gott den Stinkefinger zeigt – und hinterher auf ein mögliches Echo lauscht.

    Lea Draegers Ophelia bleibt mit einem schauderhaften Mireille Mathieu-Topfschnitt und staksigen Beinen dagegen stets auf einem verschreckten Grundtonfall. Nur als sie endlich wahnsinnig werden darf, rast sie wie eine dunkle Fledermaus in Herrenhemd und mit flatternden Armen an der Wand entlang und lässt Monströses ahnen.

    Hamlets Mutter Gertrude wird von Imogen Kogge als hochgeschlossene Dame von Welt gespielt. Doch weder spürt man ihre Mutterliebe zu Hamlet noch den Willen zur Macht noch eine Leidenschaft zum Gatten. Einzig einen Ausfall gestattet man ihr: In der Theaterszene, in der Hamlet Claudius als den Mörder seines Vaters überführen will, spricht sie einen Text von Ingmar Bergmann. Ein Statement des Regisseurs, der seinen grundsätzlichen Zweifel an jenem Theater ausspricht, an dessen Kraft zumindest Hamlet noch geglaubt hat.

    Theaterzweifel kann man Staffan Valdemar Holm trotzdem nicht so recht abnehmen. Seine Inszenierung mutet wie ein Rückschritt in der Theatergeschichte an. Gerade in Düsseldorf inszenierte doch Jürgen Goschs vor wenigen Jahren zwei Epochemachende Shakespeare-Stücke. Da wurde in "Was ihr wollt" ein ganz ähnlicher goldener Bühnenkasten in vier Stunden tiefschwarz schwarz angemalt. Da warfen im "Macbeth" nackte Männer mit Mehl und rotem Saft um sich, wie um auszustellen, dass ja Blut und Staub im Theater nur Illusionen sind. Und nun kommt der "Hamlet" wie konventionell-psychologisches Theater daher. Gewiss, es ist ein Schauspielerfest. Es rückt den Text in den Mittelpunkt, es erzählt wieder einmal die universelle Geschichte, wie ein Mensch durch Zögern und Zweifeln alles in den Abgrund reißt. Und doch will in dieser handwerklich so soliden Inszenierung kein genialer Funke zünden.

    Informationen des Düsseldorfer Schauspielhauses
    Staffan Valdemar Holm, Intendant Düsseldorfer Schauspielhaus
    Staffan Valdemar Holm (Sebastian Hoppe)