Archiv


Ein Film als Patriotismusfest

Oliver Stones "World Trade Center" ist in erster Linie ein unpolitischer Film über Helden des 11. September 2001 geworden. Die Rechte liebt den Streifen, das Publikum nicht ganz so: Meistgesehener Film in den USA ist schon seit zwei Wochen nicht "World Trade Center", sondern die Rennfahrer-Klamotte "Ricky Bobby".

Von Gregor Peter Schmitz |
    An einigen Vokabeln merkt man, welche Erinnerungen fast unantastbar geworden sind in der amerikanischen Geschichte: "survivors" (Überlebende) ist so eine. Seit das Gedächtnis an den Holocaust zu einer zentralen Größe in der US-Gesellschaft geworden ist, tragen dort Juden, die dem Naziterror entkommen sind, diesen Begriff wie ein Ehrenabzeichen. Als das amerikanische Außenministerium vor einigen Tagen an Journalisten eine Einladung zu Interviews mit Überlebenden der Anschläge vom 11. September verschickte, hießen die schon in der Dachzeile "survivors". Die Ereignisse im Herbst 2001 sind ein Gründungsmythos neuen amerikanischen Patriotismus geworden.

    Künstler und Intellektuelle haben eine Neigung, sich an solchen kollektiven Vorgaben zu reiben. Doch sie mussten sehr rasch merken, dass dies in den USA kaum noch toleriert wurde. Selbst traditionell liberale Hollywood-Regisseure pilgerten nach den Anschlägen geschlossen ins Weiße Haus, um dort mit der Regierung zu durchdenken, welche Form von Terror noch denkbar sei. Die traumatischen Ereignisse zu bebildern, trauten sie sich hingegen lange nicht - erst jetzt, fünf Jahre später, laufen die ersten großen Hollywood-Streifen zum Thema an.

    Die Hauptrolle spielt dabei ausgerechnet einer, der an dieser Mythologisierung früh gerüttelt hatte: Oliver Stone. Er ist der Macher von "World Trade Center", der vorige Woche in den amerikanischen Kinos anlief und vor allem von republikanischer Seite als Patriotismusfest bejubelt wird. Der erzkonservative Fox-News-Kommentar Cal Thomas nannte Stones Film schon "einen der großartigsten God-Bless-America-Filme aller Zeiten". Das muss Stone, der während seiner Karriere immer wieder mit Drogenproblemen kämpfte, vorkommen wie ein einziger langer Drogentrip. Der Regisseur hat sich während seiner ganzen Karriere abgearbeitet an Amerikas Schatten.

    Selbst hochdekorierter Vietnam-Kämpfer, zeigte er in "Platoon" das Grauen im Dschungel ungeschminkt. Er prangerte die Gier und den Materialismus der 80er in "Wall Street" an, die Waffenfixierung der Amerikaner in "Natural Born Killers", er spann wilde Verschwörungstheorien um den Tod Kennedys. Und direkt nach dem 11. September verglich Stone die Freudentänze auf arabischen Straßen über die Anschläge mit dem Tanz des einfachen Volkes nach dem Sturm auf die Bastille, die Amerikaner hätten durch ihre Fixierung auf Globalisierung und Konsum die Ereignisse heraufbeschworen, so damals seine These.
    Doch der gebürtige New Yorker wollte das Thema unbedingt verfilmen und brauchte nach dem Debakel mit dem Monumentalepos "Alexander" dringend einen Hit, weshalb Stone den skeptischen Studiobossen hoch und heilig versprach, keinen politischen Film zu machen. "World Trade Center" erinnert an den Terror, er wertet nicht. Die auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte über zwei Polizisten, die 22 Stunden im World Trade Center verschüttet waren und schließlich doch noch gerettet werden, fängt das Grauen dieser Tage kraftvoll ein. Stone hat, genau wie die Macher von "Flight UA 91", dem anderen aktuellen Streifen über die Terroranschläge, eng mit den Überlebenden zusammengearbeitet. Die Opfer sind die Helden in seiner Erzählung.

    Und doch vertun sich die konservativen Claqueure, die dem neuen Patriotismus ihres einstigen Erzfeindes Oliver Stone nun Beifall zollen, vielleicht. Denn subtil hat der doch eine politische Botschaft in seinem Streifen versteckt - einfach durch die Erinnerung an das kollektive Mitleiden und daran, was alles möglich gewesen in den USA nach den Anschlägen. Der totalen Zerstörung wohnte, selbst wenn es makaber klingt, ja auch der Zauber des Aufbruchs inne. Ein Aufbruch einer neuen nationalen Gemeinschaft. Die Erinnerung an diese Momente auf der Leinwand führt den Amerikanern ungeschminkt vor Augen, wie sehr sich dieser Geist fünf Jahre später verflüchtigt hat, auch weil die Bush-Regierung an diesem Gemeinschaftsgefühl kaum interessiert war. Stone zählt in Interviews zur Premiere nüchtern auf, was für ihn die Folgen der Politik nach den Momenten aus seinem Film seien - ein Krieg, eine gespaltene Nation, Amerika-Hass in der ganzen Welt.

    Vor allem aber könnten Filmemacher - nun, da das Tabu der ersten großen Spielfilme über den 11. September gebrochen ist - Facetten des Themas künftig weniger pietätvoll ausmalen. Der "New York Times"-Kolumnist Clyde Haberman fragte schon, ob bald ein massentauglicher Hollywood-Film nicht das Leiden der Opfer in den Blickpunkt rücken werde, sondern etwa die katastrophalen Versäumnisse zwischen Polizei und Feuerwehr in New York, die wohl Hunderte das Leben kostete, oder die Versäumnisse der Regierung im Vorfeld der Anschläge, oder die Geschäftemacherei derer, die ihren Heldenstatus postwendend in Millionen ummünzten. "Wird man dann sagen”, schreibt Haberman, "der 11. September sei unantastbar und jedes Herumkritteln am Heldenmythos blasphemisch?"

    Dieser echte Patriotismus-Test steht den Amerikanern noch bevor.