Archiv


Ein Film Noir der Vergeblichkeit

"Diese Nacht" ist der Rückkehr des deutschen Regisseurs Werner Schroeter nach einer mehrjährigen Auszeit auf die Kinoleinwände. Schroeter verfilmt den Romans "Para esta noche" aus der Feder des uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti - ein Werk des noch jungen Onetti, aus dem Jahr 1943, in dem der Romancier die Erfahrungen der Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen und faschistischen Europa einfließen ließ.

Von Rüdiger Suchsland |
    "Von allen Wundern, die ich je gehört, scheint mir das Größte, dass sich Menschen fürchten, da sie doch sehen, der Tod, das Schicksal aller, kommt, wenn er kommen soll."

    Mit diesen Sätzen, einem Zitat aus William Shakespeares "Julius Caesar" beginnt der Film. Der alt gewordene Imperator spricht sie dort in der Nacht vor seinem Tod. Dazu gleitet die Kamera sanft über ein Gemälde.

    Man muss nicht wissen, könnte es aber sehen, dass es von Tizian stammt. Gemalt im schon nicht mehr ganz klassisch-korrekten, sondern eher flirrenden, impressionistischen Stil von Tizians Spätwerk. Es trägt den Titel "Die Schändung des Marsyas" und handelt also von jenem Halbgott und Künstler, der einst den Apoll herausforderte, und von diesem zur Strafe - oder aus Neid - zu Tode gefoltert wurde, indem man ihm bei lebendigem Leib die Haut abzog.

    Schon dieser Anfang ist ungemein beziehungsreich. Die Todesahnung steht im Zentrum, die Gewissheit, dass für jeden der Tod kommen wird. Tatsächlich sind am Ende dieses Films nicht mehr viele am Leben. Um einen Caesar geht es auch, einen Diktator, der gestürzt wurde, und um die Anarchie, die ihm folgt. Vor allem aber ist schon dieser Anfang eine Allegorie auf den Künstler, seine Hybris und sein Leid, und auf das Leben eines jeden, auf den geschundenen Menschen, auf den Widerstreit zwischen Eros, Bewegung, Vitalität - und dem Tod.

    Werner Schroeter ist zurück im Kino. Wie aus einer anderen, längst verlorenen Zeit taucht der große Regisseur und einstige Fassbinder-Mitstreiter, eine Schlüsselfigur des "Neuen Deutschen Films" zwischen 1970 und 1980, wieder auf. 1990 war mit der Ingeborg-Bachmann-Verfilmung "Malina" sein letzter Spielfilm ins Kino gekommen, 2000 dann noch "Die Königin", Schroeters so atemberaubende wie persönliche Dokumentation über Marianne Hoppe. Seitdem hat sich der nun auch schon 64-jährige höchst erfolgreich auf Oper und Theater konzentriert.

    "Diese Nacht", im französischen Original "Nuit de Chien", ist der erste Film, den Schroeter seit Jahren gedreht hat. Eine Verfilmung des dritten Romans des uruguayischen Schriftstellers Juan Carlos Onetti: Aus Anlass des Filmstarts erscheint das bisher nicht übersetzte Buch nun auch im Mai im Suhrkamp Verlag.

    Die Handlung lässt sich am ehesten als Paranoiathriller begreifen - mit Anspielungen auf Grimms Märchen und auf den Film Noir. In einer chaotischen Situation, in einer Nacht der langen Messer in der imaginären Hauptstadt eines imaginären Landes am Rande des Bürgerkriegs, sucht der Held, ein desillusionierter Freiheitskämpfer, seine Geliebte. Dabei begegnet er zunächst verschiedenen Personen aus seiner Vergangenheit, zuletzt der jungen Tochter eines Freundes, die mit dem Tod bedroht ist.

    "Also was kann ich für Sie tun?"... "Das ist kein guter Anfang."

    Schroeter malt den Terror des Geschehens nicht plakativ aus, ihn interessiert die Situation, die er zur existentiellen Metapher verdichtet. "Diese Nacht", in der Pracht des nächtlichen Porto gedreht, ist ein ebenso düsteres wie prächtiges Schlachtengemälde, ein Film Noir der Vergeblichkeit und der Liebe zum Leben, aber auch zu den eigenen Idealen im Angesicht des Todes.

    Tatsächlich meint Schroeter aber noch mehr. Die phantasmagorische Stadt seines Films enthält die ganze Welt, und das Geschehen ist die Chiffre für einen universalen Niedergang, eine schreckliche kulturelle Dekadenz.

    Man muss hier nicht die aktuellen Kriege von Georgien über den Irak bis Pakistan im Sinn haben - obwohl man sich die Straßen von Bagdad ungefähr so vorstellen kann, wie die Straßen in Schroeters Film - es genügt sich den ganz alltäglichen Verfall der demokratischen Kultur vor Augen zu führen, die Ökonomisierung der Künste und die Vulgarisierung des Geschmacks, in Italien zum Beispiel. Oder die Berlusconisierung der Medien im Frankreich Sarkozys. Die Panikmomente an den Börsen. Die Kämpfe um den Krisengipfel von London.

    Schroeters Film stellt den Gesellschaften des Westens die Rechnung aus. Er zeigt eine apokalyptische Situation, in der alles, wirklich alles auf einer furchtbaren Kippe steht, in der die Kultur unmittelbar vom Umschlagen in die Barbarei bedroht ist.

    Ebenso entscheidend in Schroeters Kino ist aber das Wie, die Form, in der er das alles zeigt: Keine direkte Anklage, kein Predigen, vielmehr das Gegenbild einer Fülle bestechend schöner Bilder und Momente, die mal an eine Oper erinnern, dann wieder an die Schattenspiele des Film Noir.

    Sie fügen sich zu einem unzeitgemäßen Film. Eine Ode an die Schönheit, eine Anklage der Wirklichkeit und in beidem eine Summe von Werner Schroeters Werk. Faszinierend, wie dieser Regisseur jede Konzession an den Zeitgeist vermeidet, und trotzdem ein heutiges Publikum zu fesseln vermag.