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Ein Finanzskandal und seine Folgen

Die Hisbollah malt gerne ein Bild von sich, das sich auf militärische Stärke, Disziplin und Opferbereitschaft ihrer Mitglieder gründet. Ein Finanzskandal hat nun dieses Bild mehr als getrübt, und er beschert der Partei und ihren Anhängern schwierige Zeiten. Vom Zusammenbruch des libanesischen Geschäftsmannes Salah Ezzedine sind Schiiten aus Beirut und dem Süden des Libanon betroffen. Und viele von ihnen richten heute unbequeme Fragen an die Partei.

Von Mona Naggar |
    Ali Mansour ist im Import und Export-Geschäft tätig. Der 33-Jährige hat vor einigen Wochen seine gesamten Ersparnisse in Höhe von 150.000 Dollar verloren. Mansour sitzt in seinem geräumigen Wohnzimmer im zehnten Stockwerk eines Hauses in einem Vorort Beiruts. Der in Jeans und T-Shirt gekleidete Geschäftsmann wirkt gefasst. Er erzählt, wie das Fiasko seinen Anfang nahm:

    "Ich habe Salah Ezzedine über Bekannte kennengelernt. Sie hatten all ihr Vertrauen in ihn gesetzt, nur gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Vor zwölf Jahren haben sie angefangen, bei ihm zu investieren. Die Gewinne lagen bei 30 Prozent. Alle vier Monate hat er ihnen einen Scheck mit den Gewinnen ausgestellt. Er war immer pünktlich. Ezzedine hatte den Ruf eines Wohltäters. Das Vertrauen, das er genoss, gründete sich auch darauf, dass er ein Mann der "Hisbollah" war. Aber jetzt stellt sich heraus, dass er alle zum Narren gehalten hat. Viele Projekte existieren gar nicht. Und es gibt keine Papiere, die das belegen."

    Seit Anfang September sitzt der 47-jährige Salah Ezzedine jetzt in Haft. Er ist des Betrugs und der Ausstellung ungedeckter Schecks angeklagt. Die finanziellen Verluste sollen zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar liegen. Genaue Angaben über die Zahl der Geschädigten gibt es nicht. Denn viele Investoren haben ihr Geld mit dem von Verwandten und Freunden zusammengetragen und dann bei Ezzedine unter einem Namen angelegt.

    Die wirtschaftlichen Folgen im schiitischen Milieu sind gravierend. Fadi Ajami kommt aus dem Dorf Toura in der Nähe des südlibanesischen Tyros. Dort leben 4000 Menschen. Die meisten von ihnen bauen Zitrusfrüchte an. Ajami betreibt eine Werkstatt für Metallarbeiten. Er hat eine größere Summe, die er nicht nennen will, verloren:

    "Bei uns im Dorf sind etliche Bauprojekte gestoppt worden. Einige können ihre Felder nicht bestellen, weil sie kein Geld mehr haben. Andere können das Schulgeld ihrer Kinder nicht bezahlen. Ich kenne Leute, deren gesamter Besitz verpfändet wurde. Ein Freund von mir hat einen Kredit aufgenommen und der Bank seine Farm als Sicherheit überlassen. Wenn er die Rate nicht bezahlen kann, ist seine Farm weg. Einige haben das Vermögen, das sie von ihren Eltern geerbt haben, Ezzedine gegeben. Und jetzt ist alles verloren!"

    Auch Ezzedine stammt aus einem Dorf in der Nähe von Tyros. Einst hatte er ein Reiseunternehmen gegründet, das Pilgerreisen nach Mekka organisierte. Mit dem Ausbau seines Imperiums waren Verlage hinzugekommen, Immobilien und Spekulationsgeschäfte mit Erdöl und Eisenerz. Salah Ezzedine ist kein Mitglied der Hisbollah. Doch er pflegt seit vielen Jahren enge Beziehungen zu einflussreichen Männern in der Partei. Zu seinen Investoren gehören etwa der Abgeordnete Hussain al-Haj Hassan oder Hashim Safi ed-Din, der Vorsitzende des Exekutivrates der Hisbollah. Und, zahlreiche hochrangige Parteimitglieder wählten seinen Verlag, um ihre Bücher zu veröffentlichen. In der libanesischen Öffentlichkeit wiederum wurde Ezzedine dafür bekannt, dass er großzügig spendete, für soziale und karitative Institutionen der Hisbollah.

    So überrascht es kaum, dass der finanzielle Zusammenbruch des schiitischen Millionärs, der für die Misere so vieler anderer verantwortlich zu sein scheint, dafür sorgt, dass auch die Partei an den Pranger gestellt wird. Ali Mansour:

    "Ich verehre Hassan Nasrallah zutiefst. Er hat uns unsere Würde zurückgegeben. Sein Sohn ist im Kampf gegen Israel gefallen. Aber ich muss sagen, nach dieser Sache mit Salah Ezzedine habe ich große Zweifel bekommen. Nicht an der Integrität unseres Generalsekretärs. Und auch nicht an der der Kämpfer, die bereit sind ihr, Leben zu opfern. Aber an allem anderen. Die Partei kontrolliert doch sonst immer alles. Warum hat sie nicht verfolgt, was Ezzedine macht? Warum haben sie zugelassen, dass die Menschen ihm so sehr vertrauten?"

    Qassim Qassir ist Chefredakteur der Zeitschrift "Shu'un Janoubiya", ein Mann, der sich für die Hisbollah ausspricht. Doch auch er kritisiert, was vorgefallen ist:

    "Es ist nicht möglich, dass Salah Ezzedine ohne Wissen der Partei gearbeitet hat. Das heißt, er wurde gedeckt. Und darin liegt die Gefahr. Diejenigen, die ihm behilflich waren, können sich jeder Rechenschaft entziehen und sie sind korrupt. (...) Man muss sich auch klarmachen, dass die Partei in einem materiell äußerst bescheidenen Umfeld entstanden ist. Sie stützt sich bei ihrer Arbeit auf Spenden und auf die Unterstützung der Menschen. Sie engagiert sich sehr für sozial Schwache. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass Mitglieder Millionen bei Ezzedine investiert haben. Und man fragt sich natürlich, wo all dieses Geld herkommt?! Gleichzeitig sagt die Partei, sie löse die Probleme der armen Leute, da passt irgendetwas nicht zusammen."

    Die "Hisbollah" - die "Partei Gottes" - sieht sich heute mit schweren Anschuldigungen konfrontiert. Korruption, ein Vorwurf, den die Partei stets an die Adresse ihrer politischen Gegner im Land richtet, haftet nun auch ihr an. Aber die Antwort der Hisbollah ist nicht etwa eine offene Diskussion über die Affäre zuzulassen, nein, sie verhängt eine Nachrichtensperre. Und: Offizielle Stellungnahmen sind nicht einzuholen. Einzig Generalsekretär Hassan Nasrallah äußerte sich. In einer Presserklärung lehnt Nasrallah jede Verantwortung für den Konkurs von Salah Ezzedine ab. Aber er bezeichnet ihn als "Katastrophe" und verspricht, die Betroffenen in ihrer Misere nicht allein zu lassen.

    Zugleich ermahnt er seine Anhänger, appelliert er an ihre Moral. Wie in seiner Rede Ende September im "Mujama Sayyid asch-Schuhada", dem zentralen Versammlungsort der Partei im Süden Beiruts. Auch der parteieigene Sender al-Manar übertrug die Predigt direkt in alle Haushalte. Nasrallah redete seinen Anhängern ins Gewissen und empfiehlt ihnen, ein bescheidenes und gottesfürchtiges Leben zu führen.

    Auffällig ist, dass seit dem Finanzskandal auch in Zeitungen, die der Hisbollah nahestehen, Kommentare und Artikel erscheinen, die die Klientel der Partei wegen Verschwendung kritisieren. Sichtbare Zeichen des Wohlstandes wie etwa teure Autos, kostbare Seidenkopftücher oder der Besuch schicker Restaurants würden dem Image der Partei schaden, heißt es. Und das klingt so, als würde die Hisbollah die Schuldigen in ihren eigenen Reihen suchen. Fadi Ajami, der Werkstattbesitzer aus einem Dorf im Süden des Libanon, reagiert mit Unverständnis:

    "Wenn ich die Armensteuer bezahlt habe und das für Schiiten verpflichtende Khums und mir dann eine Hose für 200 Dollar kaufe, wo ist das Problem? Die Menschen hier haben viel gelitten. Ihre Häuser wurden von Israel zerstört. Sie mussten ihre Heimatorte verlassen. Es steht ihnen doch zu, gut zu essen und zu trinken! Soll das etwa nur anderen Leuten vorbehalten sein?"

    Es ist nicht anzunehmen, dass die Affäre Ezzedine für die Partei bereits heute gravierende politische Folgen haben wird. Wirkliche Konkurrenz gibt es nicht. Aber der Finanzskandal hat für Unruhe gesorgt, die - so scheint es - von der Parteispitze ernst genommen wird. Es wird gemunkelt, dass es innerparteiliche Umstrukturierungen geben wird.

    Ob die Hisbollah die Geschädigten finanziell unterstützen wird, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich. Der Geschäftsmann Ali Mansour sieht es pragmatisch:

    "Popularität kostet Geld!"