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Ein Freund

Archie ist knapp bei Kasse. Er bastelt Schmuck aus Büroklammern und reist per Autostop durch die Bundesrepublik, um seine Kreationen zu verscherbeln. Eines Nachmittags landet er in dem Cabriolet von Marcel Retzmann, einem erfolgreichen Theaterregisseur mit modischer Ponyfrisur und arrogantem Gehabe. Retzmann ist unterwegs zu seiner Geburtstagsparty und bietet Archie einen Job an. "Flaubert hat mal gesagt, wenn auf der ersten Seite kein Geld vorkommt, dann legt er das Buch weg, und das finde ich richtig. Bei mir kommt immer Geld vor." Jakob Arjouni schreibt gerne über Geld. Er selbst hat mit seinen Büchern schon eine Menge verdient; die Helden seiner Kurzgeschichten aus dem Band "Ein Freund" sind allerdings meistens abgebrannt. Sechshundert Mark will Retzmann dem abgerissenen Tramper zahlen, wenn er ihn auf seine Fête begleitet und einen Tag lang so tut, als sei er ein guter Freund aus alten Zeiten. Archie willigt ein, und die versammelte Theaterszene ist entzückt von der Ursprünglichkeit des vermeintlichen Kumpels von früher. Mit Witz und viel Gespür für das satirische Potential der Kulturwelt schildert Jakob Arjouni in seiner Titelerzählung die Verlogenheit der Theaterszene. Retzmann benutzt Archie, Archie durchschaut den eitlen Regisseur, fällt am Ende aber doch auf ihn herein. Beziehungskapitalismus, bei dem die Kosten und Nutzen einer menschlichen Bindung knallhart kalkuliert werden, spielt in allen sechs Geschichten des neuen Buches von Jakob Arjouni eine Rolle. Und noch etwas haben die Erzählungen gemeinsam: Die Protagonisten befinden sich allesamt im Abseits.

Maike Albath |
    "Das mit Außenseitern ist ja immer so eine Sache", erläutert Arjouni, "gibt's irgend jemanden, der kein Außenseiter ist? Glaube ich nicht. Jeder hält sich sicher für einen Außenseiter, und die, die im Geschehen sind, sind immer andere. Ich kenne niemanden, der von sich behaupten würde, ich habe 1000 Freunde, bin ein toller Skilehrer und bin rundherum glücklich. Das sind immer andere, die das sind, oder von denen man glaubt, sie seien es." Besteht die Welt wirklich nur aus Außenseitern? Literarisch ergiebig sind sie in jedem Fall. Jürgen Schröder-von-Hagen zum Beispiel, ein ewiger Student ohne eigenes Einkommen und in den Augen seiner adligen Ehefrau ein Versager. Ausgerechnet Jürgen gerät in die Hände einer dilettierenden Bankräuberin und plaudert in der Not sein intimstes Geheimnis aus: er schreibt nämlich an einem Jahrhundertepos. Als er der Bankräuberin die Fabel seines Werkes referiert, stellt er fest, daß die Story nichts taugt. Sein Zukunftstraum löst sich in Luft auf. Aus Wut ergreift er zum ersten Mal in seinem Leben die Initiative und handelt prompt zerstörerisch: er bringt die Frau um. Arjounis Geschichten gehen meistens schlecht aus und sind oft sehr böse. Gnadenlos entlarvt er kleine und große Lebenslügen und notiert mit beinahe sadistischer Genauigkeit, wie Bankräuber, verhinderte Romanciers, Berliner Gangster und harmlose Pensionäre an ihren Plänen scheitern. Arjouni recherchiert seine Bücher nicht, auch für Konzeptionen verschwendet er keine Zeit. Meistens hat er einfach einen Einfall: "Wenn ich nicht einschlafen kann, denke ich mir Geschichten aus. Geschichten ausdenken war für mich, seit ich fünf war, eine Möglichkeit einzuschlafen, wenn ich nicht einschlafen konnte. Außerdem hat es mir Spaß gemacht, ich habe immer in Geschichten gedacht. Das heißt natürlich auch in Symbolen, in Metaphern, auch in einer Welt, die irgendwie mehr funktioniert als die reale Welt. Ist ja auch eine Flucht."

    Vor 13 Jahren professionalisierte Arjouni seine private Einschlaftechnik und erfand die deutsche Variante des amerikanischen Hard-boiled-Krimis im Stile Raymond Chandlers und Dashiell Hammetts. In rascher Folge brachte er drei rasante Thriller mit dem smarten Privatdetektiv Kemal Kayankaya heraus, die ihn über Nacht auf die Bestsellerlisten katapultierten. Publikum und Kritik waren begeistert, denn der türkisch-deutsche Detektiv macht seinen Vorbildern Sam Spade und Philip Marlowe alle Ehre: arm, hartgesotten, metropolenerprobt, mit einer Vorliebe für steife Drinks und schöne Frauen, kämpft er im Frankfurter Bahnhofsviertel unerschrocken für Gerechtigkeit. Straff geführte Handlungen, knappe Dialoge, trockene Komik und ein Blick für soziale Spannungen sind typisch für Arjouni, der sich auch als Dramatiker einen Namen machte. Arjounis literarisches Spektrum ist breit. Das Genre des Romans probierte er in seinem Buch "Magic Hoffmann" aus, einer Abenteuerreise des sympathisch-trotteligen Provinzlers Fred Hoffmann, dem im Nach-Wende Berlin nichts als Unglück widerfährt. Die Arbeit an seinen Krimis hält Arjouni für die beste erzähltechnische Schule. "Kriminalroman ist gerade, um mit dem Schreiben anzufangen, sicher nicht das schlechteste - habe ich aber auch nicht bewußt gemacht, habe ich erst im Nachhinein gemerkt, weil man einen ganz klaren roten Faden sich ausdenken muß und an dem lang schreiben muß. Sonst ist es kein Krimi. Ein Krimi hat ja - fast wie ein Gedicht - mit die festesten Regeln, finde ich. Und ich halte sie ein. Krimi ist so wie einen Fluß runterschwimmen. Da gibt es eine Richtung, man kann auch mal ans Ufer gehen, aber einen Roman, also wie "Magic Hoffmann", ist dann wie aufs weite Meer hinaus. Das muß dann noch viel genauer gebaut sein, damit man sich nicht verliert, vor allem damit der Leser nicht meint, man verliert sich."

    Bei einer Kurzgeschichte durchwatet Arjouni höchstens einen Bach - die Dramaturgie dieser Form bedient er spielend. Mit wenigen Strichen entfaltet er in jeder der sechs Erzählungen aus "Mein Freund" eine neue Welt und deckt von der Theaterschickeria über das Proletenambiente der Berliner Immobilienmakler bis hin zu dem biederen Zuhause eines linksalternativen Mathematiklehrers alles ab. Arjouni vertritt eine pessimistische Sicht auf die Dinge des Lebens, und das muß man mögen, ebenso wie einem sein Faible für makabere Pointen und bösartige Bemerkungen gefallen sollte. Seine Milieustudien sind treffsicher, die Figuren lebendig und am Schluß jeder Geschichte steht - ganz wie bei den Klassikern der Tradition Maupassant und Tschechow - eine überraschende Wendung. Geübt durch das strenge Korsett von Drama und Krimi durchdenkt Arjouni auch in seinen Erzählungen jedes Detail. Trotzdem versteht er das Schreiben als eine intuitive Angelegenheit: "Im besten Sinne hat Schreiben etwas mit Verliebtheit zu tun. Und wenn man verliebt ist, wird man auf die lächerlichste oder beste Art das hinkriegen, diese Liebe zu gestehen, weil man's muß. Und so ist das. Da nimmt man alles, ob man Rosen kauft oder irgend etwas anderes. Und so ist es für mich, Geschichten zu erzählen. Ich nehme alles, was ich kriegen kann, um die so gut und mich so verständlich wie möglich mitzuteilen; darum geht's, glaube ich, für mich beim Schreiben, mich mitzuteilen, nicht einem Publikum, sondern mir und noch vier fünf Freunden."

    Geschichten zu erzählen, ist für Arjouni ein Zwang. Er schreibt und liest den ganzen Tag; warum er das tut, will er lieber nicht wissen. Diskussionen über ästhetische Fragen kann er wenig abgewinnen, er zählt auch nicht zu den theoriebesessenen jungen Autoren wie Thomas Meinecke, Norbert Niemann und Steffen Kopetzky, die komplexe Diskurse über Erfahrungen zweiter und dritter Ordnung literarisch verarbeiten. Arjouni wendet sich dem wirklichen Leben zu, und macht das zum Stoff seiner Erzählungen. Fußball, Billard und sein Haus in Frankreich, wo er seit vielen Jahren lebt - das findet Arjouni viel spannender.