Liebes- oder Ideendrama, politisches Tendenzstück oder Historie, bürgerliches Trauerspiel oder Läuterungsdrama?: Der Streit um Schillers "Don Carlos", den der Dichter als sein "Lieblingskind des Geistes" bezeichnete, ist bis heute nicht entschieden. Was Schiller als "ein Familiengemälde aus fürstlichem Hause" bezeichnete, zeigt vor allem eine patriarchalische Machtgesellschaft. Die Inszenierung des Leipziger Intendanten Wolfgang Engel überführt das von den starren Regeln des Königstums und des Katholizismus bestimmte historische Gesellschaftssystem so unaufdringlich wie eindringlich in unsere Zeit. Dabei erlebt man keine oberflächliche Aktualisierung, sondern eine aktuelle Analyse des Systems der Macht. Auf Andreas Janders durch eine Art riesiges Drehkreuz aus durchbrochenen Wänden bestimmter Bühne sind die Überwachungsmöglichkeiten wie die Öffentlichkeit der modernen Informationsgesellschaft ins Bild gesetzt. Zwischen Konferenztisch und Sitzecke mit Ledersesseln und Stehaschern agieren Anzugträger und ihre Bodygards hinter schwarzen Brillen mit intriganter Coolness. Wer hier Politiker, wer Mafiosi ist, wer politische, wirtschaftliche oder kriminelle Macht besitzt, ist nicht die Frage. Gezeigt werden Machtkämpfe und Machtstrukturen, und alles findet stets im offenen Raum vor aller Augen statt. Wir sehen die Heimlichkeiten unserer Informationsgesellschaft auf einer von den Farben Schwarz, Rot und Gold bestimmten Bühne, und ein Saxophon-Quintett spielt dazu:
Schiller hat sein Drama immer und immer wieder be- und überarbeitet. In Leipzig spielt man die Fassung der ersten Buchausgabe von 1787, weil seine zwischenzeitliche Erfahrung des Terrors der Französischen Revolution ihn 1805 bei seiner Bearbeitung letzter Hand zu einer von Widersprüchen gereinigten idealistischen Version geführt haben. In der frühen Fassung ist der Marquis von Posa noch deutlich jemand, der für seine politisch fortschrittliche Sache nicht nur über Don Carlos bestimmt, sondern alle manipuliert:
Torben Kessler kommt mit der Pistole im Schultergurt wie ein schmaler, asketischer Selbstmord-Attentäter daher, der sowohl noch eigene politische Machtinteressen wie emotionale Wünsche gegenüber der Königin besitzt. Wenn dieser Posa sein Jackett ablegt und den König mit alerter Hemdsärmeligkeit berät, dann wirkt er wie ein Politikercoach von heute. Wobei er sich in dem Maße, wie er durch den König in der Machtmaschinerie Einfluß gewinnt, deren Vertretern angleicht. Während Martin Reik den Don Carlos nicht als idealistischen Schwärmer, sondern als naiv selbstbezogenen Außenseiter zeigt, der sich immer wieder unter die Kopfhörer seines Walkman in seine eigene Welt flüchtet. König Philipp ist nicht der in Einsamkeit versteinerte alte Mann, als der er oft gezeigt wird, sondern Jens Winterstein gibt ihn als graumeliert attraktiven, zwischen Festigkeit und Unsicherheit so energisch wie nachdenklich seine Macht gebrauchenden Mann, der wie von Schiller gefordert "als Mensch gerechtfertigt wird." Wolfgang Engels Inszenierung beeindruckt durch ein bis in die kleinste Nebenrolle überzeugendes Ensemble, das Schillers Sprache sinnlich aufblühen lässt. In immerhin dreieinhalb Aufführungsstunden gibt es kein Spannungsloch.
Auch die Frauen werden in subtiler Charakterisierung als selbstbewußte Persönlichkeiten spannend: Stephanie Schönfeld gibt die Königin im Rollkragenpullover und bodenlangem Prachtrock als Frau, die zwischen Zwang und Selbstbestimmtheit kämpft, und die Prinzessin von Eboli ist keine hysterische Salonschlange, sondern eine intelligente und sinnliche Frau. Wie Anja Schneiders Eboli, eingehüllt in eine goldene Stoffbahn, einem verklemmten und begriffsstutzigen Carlos vergeblich ihre Liebe gesteht, das ergibt mit seiner gleichermaßen emotionaler wie bildhaften Kraft einen Gegenpol gegen die steife Männerwelt. In dessen Mitte ein von innen erleuchteter Milchglasturm der Ort ist, an dem, anders als bei Schiller, sowohl die Eboli von Posa wie die Königin und Carlos zum Schluss von den Schergen eines wie ein Geheimdienstchef daherkommenden Großinquistors erschossen werden. Was bleibt, sind Blutflecken inmitten einer weiter funktionierenden Gesellschaft.
Das ganze: eine beeindruckende Inszenierung ohne jedes falsche Pathos oder Sendungsbewußtsein. Im Schillerjahr erlebt man am Schauspiel Leipzig mit dieser Inszenierung zeitgenössisches politisches Theater von beeindruckender Kraft.
Schiller hat sein Drama immer und immer wieder be- und überarbeitet. In Leipzig spielt man die Fassung der ersten Buchausgabe von 1787, weil seine zwischenzeitliche Erfahrung des Terrors der Französischen Revolution ihn 1805 bei seiner Bearbeitung letzter Hand zu einer von Widersprüchen gereinigten idealistischen Version geführt haben. In der frühen Fassung ist der Marquis von Posa noch deutlich jemand, der für seine politisch fortschrittliche Sache nicht nur über Don Carlos bestimmt, sondern alle manipuliert:
Torben Kessler kommt mit der Pistole im Schultergurt wie ein schmaler, asketischer Selbstmord-Attentäter daher, der sowohl noch eigene politische Machtinteressen wie emotionale Wünsche gegenüber der Königin besitzt. Wenn dieser Posa sein Jackett ablegt und den König mit alerter Hemdsärmeligkeit berät, dann wirkt er wie ein Politikercoach von heute. Wobei er sich in dem Maße, wie er durch den König in der Machtmaschinerie Einfluß gewinnt, deren Vertretern angleicht. Während Martin Reik den Don Carlos nicht als idealistischen Schwärmer, sondern als naiv selbstbezogenen Außenseiter zeigt, der sich immer wieder unter die Kopfhörer seines Walkman in seine eigene Welt flüchtet. König Philipp ist nicht der in Einsamkeit versteinerte alte Mann, als der er oft gezeigt wird, sondern Jens Winterstein gibt ihn als graumeliert attraktiven, zwischen Festigkeit und Unsicherheit so energisch wie nachdenklich seine Macht gebrauchenden Mann, der wie von Schiller gefordert "als Mensch gerechtfertigt wird." Wolfgang Engels Inszenierung beeindruckt durch ein bis in die kleinste Nebenrolle überzeugendes Ensemble, das Schillers Sprache sinnlich aufblühen lässt. In immerhin dreieinhalb Aufführungsstunden gibt es kein Spannungsloch.
Auch die Frauen werden in subtiler Charakterisierung als selbstbewußte Persönlichkeiten spannend: Stephanie Schönfeld gibt die Königin im Rollkragenpullover und bodenlangem Prachtrock als Frau, die zwischen Zwang und Selbstbestimmtheit kämpft, und die Prinzessin von Eboli ist keine hysterische Salonschlange, sondern eine intelligente und sinnliche Frau. Wie Anja Schneiders Eboli, eingehüllt in eine goldene Stoffbahn, einem verklemmten und begriffsstutzigen Carlos vergeblich ihre Liebe gesteht, das ergibt mit seiner gleichermaßen emotionaler wie bildhaften Kraft einen Gegenpol gegen die steife Männerwelt. In dessen Mitte ein von innen erleuchteter Milchglasturm der Ort ist, an dem, anders als bei Schiller, sowohl die Eboli von Posa wie die Königin und Carlos zum Schluss von den Schergen eines wie ein Geheimdienstchef daherkommenden Großinquistors erschossen werden. Was bleibt, sind Blutflecken inmitten einer weiter funktionierenden Gesellschaft.
Das ganze: eine beeindruckende Inszenierung ohne jedes falsche Pathos oder Sendungsbewußtsein. Im Schillerjahr erlebt man am Schauspiel Leipzig mit dieser Inszenierung zeitgenössisches politisches Theater von beeindruckender Kraft.