Die Expo ist eine Ausstellung von Eidgenossen für Eidgenossen. Erklärtes Ziel der Landesschau ist Selbstbetrachtung. Schon immer gewesen. Aber Selbstkritik in selbstironischen Klischeebildern? Das ist neu. - Was vor wenigen Jahren noch mürrisch betriebene Ertüchtigung von Künstlern und Schriftstellern der eher älteren Generation war - nämlich: das Werfen kritisch-satirischer Blicke auf die Schweiz, das ist heute ein Generationen verbindender Breitensport geworden. Ja, eine regelrechte Funsportart. "Lustvoll und frech" sei die Auseinandersetzung mit Nation und Gesellschaft auf der Expo, schreiben die Schweizer Zeitungen. "Lustvoll und originell" urteilen Schweizer Politiker sogar. Und "lustvoll und selbstkritisch" lautet einhellig das Urteil des Publikums.
Wie aber gelingt es den Schweizern, Selbstkritik lustvoll zu betreiben? Es gelingt ihnen mittels einer speziellen kathartischen Kurpackung, einer Selbstreinigung, die die Expo-Macher auch als "Funbad" bezeichnen - denn es handelt sich nicht um eine Kaltdusche mit Abschrubben, sondern eine warme Wellness-Waschung für die Hände in Unschuld. Wie das funktioniert? Drei Beispiele - allesamt zu sehen in Neuchatel, wo sich die Expo vorwiegend Umweltthemen widmet.
Beispiel eins: der "Palast des Gleichgewichts". Eine 15 Meter hohe Holzkugel, von innen zu ersteigen über eine gewundene Rampe. Die führt vorbei an Texttafeln mit UNESCO-Statistiken: zu Umweltschäden, Migration, Polkappenschmelze, Analphebetismus. Was tun? Die Antwort erhält der selbstkritisch fragende Schweizer von anderen Schweizern, abgebildet in Großfotos, darunter jeweils ein Text mit einem kurzen Statement: "Ich kaufe öfter mal im Bio-Laden." - "Ich plaudere öfter mal mit meiner ausländischen Nachbarin." - "Ich lasse öfter mal das Auto stehen." - "Global denken - lokal handeln" lautet das Motto des Pavillons. - Beispiel zwei: Die Installation "Beaufort 12", benannt nach der Einheit für Windstärke, präsentiert auf dem Areal eines mittelkleinen Schrebergartens - ebenso kompakt wie pittoresk - die Folgen von Naturkatastrophen: Erdrutsch, Sturm, Lawinen - hier ein verschütteter Kleinwagen, da ein zertrümmertes Zimmer, dort drei umgeknickte Bäume. Was tun? Fragt der selbstkritische Schweizer - und erhält Antwort in einem Schutzbunker unter dem Schutt-Envorinment, wo eine Auswahl von Ausrüstungsgegenständen Schweizer Hilfsdienste ausgelegt ist: Spaten, Stiefel, dicke Pullover. "Global denken - lokal handeln." Beispiel drei. Der Pavillon "Manna" ist ein grüner Hügel, umzäunt von Palisaden aus riesigen gelben Löffelbisquitimitaten. Thema soll sein: Natur und Künstlichkeit bei Lebensmitteln. Vermittelt wird über alle Sinne. Zu fühlen ist echte gut durchwurmte Bio-Erde. Zu hören sind: Kinderstimmen, die aus versteckten Lautsprechern "guten Appetit" flüstern. Zu sehen sind: 365 Schweizer Apfelsorten, die vom Aussterben bedroht sind. Zu riechen ist: Erdbeeraroma - künstliches: denn - so erfährt man - nur 10 Prozent von dem, was nach Erdbeere schmeckt, wird aus wirklichen Erdbeeren gemacht. Das Marktangebot manipuliert Ihren Geschmack, heißt es dazu.
Und wieder soll sich der Schweizer fragen: was tun? Etwa nicht mehr bei den großen Marktanbietern, nicht mehr bei zum Beispiel Coop einkaufen? Unsinn, denn der Schweizer Konsumriese Coop hat genau diesen konsumkritischen Pavillon finanziert und gestaltet. Womit die Supermarktkette geradezu vorbildlich ist - für die neue begeisternde Art eidgenössischer Identitätsbestimmung: als selbstzufriedene Selbstkritiker. Die auf der Expo in einer Selbstironie baden, die zwar prickelt und die Durchblutung fördert, aber doch eher kosmetischen Charakter hat. Seelen-kosmetischen.
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Wie aber gelingt es den Schweizern, Selbstkritik lustvoll zu betreiben? Es gelingt ihnen mittels einer speziellen kathartischen Kurpackung, einer Selbstreinigung, die die Expo-Macher auch als "Funbad" bezeichnen - denn es handelt sich nicht um eine Kaltdusche mit Abschrubben, sondern eine warme Wellness-Waschung für die Hände in Unschuld. Wie das funktioniert? Drei Beispiele - allesamt zu sehen in Neuchatel, wo sich die Expo vorwiegend Umweltthemen widmet.
Beispiel eins: der "Palast des Gleichgewichts". Eine 15 Meter hohe Holzkugel, von innen zu ersteigen über eine gewundene Rampe. Die führt vorbei an Texttafeln mit UNESCO-Statistiken: zu Umweltschäden, Migration, Polkappenschmelze, Analphebetismus. Was tun? Die Antwort erhält der selbstkritisch fragende Schweizer von anderen Schweizern, abgebildet in Großfotos, darunter jeweils ein Text mit einem kurzen Statement: "Ich kaufe öfter mal im Bio-Laden." - "Ich plaudere öfter mal mit meiner ausländischen Nachbarin." - "Ich lasse öfter mal das Auto stehen." - "Global denken - lokal handeln" lautet das Motto des Pavillons. - Beispiel zwei: Die Installation "Beaufort 12", benannt nach der Einheit für Windstärke, präsentiert auf dem Areal eines mittelkleinen Schrebergartens - ebenso kompakt wie pittoresk - die Folgen von Naturkatastrophen: Erdrutsch, Sturm, Lawinen - hier ein verschütteter Kleinwagen, da ein zertrümmertes Zimmer, dort drei umgeknickte Bäume. Was tun? Fragt der selbstkritische Schweizer - und erhält Antwort in einem Schutzbunker unter dem Schutt-Envorinment, wo eine Auswahl von Ausrüstungsgegenständen Schweizer Hilfsdienste ausgelegt ist: Spaten, Stiefel, dicke Pullover. "Global denken - lokal handeln." Beispiel drei. Der Pavillon "Manna" ist ein grüner Hügel, umzäunt von Palisaden aus riesigen gelben Löffelbisquitimitaten. Thema soll sein: Natur und Künstlichkeit bei Lebensmitteln. Vermittelt wird über alle Sinne. Zu fühlen ist echte gut durchwurmte Bio-Erde. Zu hören sind: Kinderstimmen, die aus versteckten Lautsprechern "guten Appetit" flüstern. Zu sehen sind: 365 Schweizer Apfelsorten, die vom Aussterben bedroht sind. Zu riechen ist: Erdbeeraroma - künstliches: denn - so erfährt man - nur 10 Prozent von dem, was nach Erdbeere schmeckt, wird aus wirklichen Erdbeeren gemacht. Das Marktangebot manipuliert Ihren Geschmack, heißt es dazu.
Und wieder soll sich der Schweizer fragen: was tun? Etwa nicht mehr bei den großen Marktanbietern, nicht mehr bei zum Beispiel Coop einkaufen? Unsinn, denn der Schweizer Konsumriese Coop hat genau diesen konsumkritischen Pavillon finanziert und gestaltet. Womit die Supermarktkette geradezu vorbildlich ist - für die neue begeisternde Art eidgenössischer Identitätsbestimmung: als selbstzufriedene Selbstkritiker. Die auf der Expo in einer Selbstironie baden, die zwar prickelt und die Durchblutung fördert, aber doch eher kosmetischen Charakter hat. Seelen-kosmetischen.
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