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"Ein ganz bedeutender Saal"

Fast alles soll beim Alten bleiben im Zuschauersaal der Staatsoper Unter den Linden. Das haben die Spitzen von Politik und Kultur in Berlin entschieden. Der Architekturhistoriker Nikolaus Bernau begrüßte den Entschluss. Der in den 50er-Jahren erbaute Saal des DDR-Architekten Richard Paulick sei "ein herausragendes Denkmal". Und er stehe als Symbol dafür, wie die DDR versucht habe, mit dem Bürgertum eine Koalition einzugehen. Das genüge vollkommen, um ihn unter Denkmalschutz zu stellen, so Bernau.

Moderation: Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Die Berliner Saalschlacht scheint beendet. Die Spitzen von Politik und Kultur haben gekreißt und eine veritable Maus geboren. Fast alles soll nämlich beim Alten bleiben im Zuschauersaal der Staatsoper Unter den Linden, der in den 1950er-Jahren erbaute Saal des DDR-Architekten Richard Paulick soll erhalten bleiben, denkmalsgerecht saniert werden. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der Kulturstaatsminister Bernd Neumann haben sich darauf geeinigt, den umstrittenen Totalumbau des Raums abzublasen. Das hat Klaus Wowereit nun heute auf einer Pressekonferenz in Berlin verkündet. Damit scheint der Entwurf des Wettbewerbssiegers Klaus Roth, der ja ein solch relativ modernen Saal vorsah, vom Tisch. Und es hat den Anschein, als habe sich einfach nur der Denkmalschutz durchgesetzt. Aber was steckt hinter dem Storno von heute? Frage an Nikolaus Bernau, Kunst- und Architekturhistoriker, plötzlich macht sich Klaus Wowereit zum Anwalt schützenswerten historischen Bauerbes. Was mag ihn dazu veranlasst haben?

    Nikolaus Bernau: Na, eine zentrale Frage wird bestimmt gewesen sein, dass es dieses Wettbewerbs bedurfte offensichtlich, damit auch die Politiker, damit vor allem auch die Verwaltung gesehen hat, dass die Argumente der Denkmalschützer einfach richtig sind. Der Denkmalschutz hat von vornherein gesagt, dass die Ausschreibung nicht mit dem Denkmalschutz übereinstimmen könne, weil die Anforderungen in der Akustik und in den Sichtlinien, diese große Debatte, ist der Saal groß genug etc., dass das einfach nicht klappen kann. Man kann diese modernen Funktionen nicht auf diesen alten Saal draufpacken. Ich denke, da kann man schlichtweg mal einen Lernprozess voraussetzen. Das Zweite ist sicherlich, und bei Klaus Wowereit mit absoluter Sicherheit sogar, ein machtpolitisches. Es gab keine andere Möglichkeit mehr, aus einem Verfahren herauszukommen, in dem sich die Fronten vollkommen festgefahren hatten. Es gab hier die sogenannte Modernisten, die gesagt haben, was wollt ihr eigentlich? Wir haben ein absolut sauber abgelaufenen Wettbewerb mit einer hoch berühmten Jury. Wir haben einen Wettbewerbssieger, der uns alle Anforderungen erfüllt, die wir haben wollen, mit Ausnahme eben des Denkmalschutzes. Und es gab auf der anderen Seite die sogenannte Historisten, wenn man so will, die gesagt haben, wir wollen aber unseren alten Opernsaal wiederhaben. Aus dieser Falle gab es keinen anderen Ausweg mehr, außer zu sagen, wir hören auf, wir fangen völlig von vorne an.

    Schossig: Nun gehörte ja auch einer der prominenten Betroffenen zu den Modernisten, die sich einen neuen, akustisch guten Saal wünschten. Der Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, der hatte sich ja schon zugunsten des Neubaus von Klaus Roth ausgesprochen. Was mögen jetzt die Gründe sein, dass er anscheinend ja auf diesen besseren Roth-Entwurf verzichten will? Hat er eingelenkt?

    Bernau: Wir wissen es nicht genau. Daniel Barenboim soll wohl zugestimmt haben, dass man das Verfahren auf null zurückschiebt und eben völlig neu anfängt und dass alles im Einvernehmen geklärt wird. Wie das genau aussehen wird, ob dieses Einvernehmen auch noch morgen halten wird, das muss man bei Daniel Barenboim durchaus infrage stellen dürfen. Er ist ein ausgesprochener impulsiver Mann, einer, der sehr, sehr schnell reagieren kann und der auch große Leidenschaften hat und der vor allem eben eine große Leidenschaft hat, die Musik. Und er wollte, dass dieser Saal vor allem mal akustisch hervorragend organisiert wird. Ob das jetzt zu leisten ist, das wird sich dann zeigen innerhalb des Generalauftragnehmerwettbewerbes, der jetzt neu ausgeschrieben wird. Da werden sicherlich noch große Anforderungen sein. Aber es ist auch nicht ganz zu vergessen, Daniel Barenboim ist nicht mehr ganz jung und er wird, wenn überhaupt, die Einweihung der neuen Staatsoper Unter den Linden spielen können, aber nicht mehr dort eine große Tätigkeit entfalten.

    Schossig: Man spricht ja von der Beibehaltung der Rokoko- oder Barock-Architektur. Es handelt sich hier aber doch eigentlich ja um einen Innenraum aus den 50er-Jahren, der eigentlich das Staatsverständnis der frühen DDR repräsentiert. Inwieweit ist es gerechtfertigt, das unter Denkmalschutz zu stellen?

    Bernau: Absolut hundertprozentig ist das gerechtfertigt. Erstens ist so, dass wir natürlich sehr, sehr viele Säle in Europa inzwischen haben, die aus den 50er-Jahren langsam mal unter Schutz gestellt werden, weil es einfach eine abgeschlossene Epoche ist und weil so viele Säle inzwischen ganz fürchterlich verhunzt wurden, vor allen Dingen in den 70er- und 80er-Jahren. Teilweise werden sie ja zurückgebaut. Dieser Saal hat noch die Besonderheit, eben die, dass er tatsächlich eben ein Symbol ist für das Staatsverständnis der DDR. Es ist der große Versuch gewesen der Sozialisten, mit den Bürgerlichen irgendwie eine Einigungsebene zu finden. Ob man den jetzt ästhetisch mag oder nicht, das ist eine ganz andere Frage. In Berlin neigt man ja bedauerlicherweise ganz heftig zu großen Übertreibungen. Friedrich Dieckmann zum Beispiel hat in einem Sonderheft der Zeitschrift "Theater der Zeit" davon geschwärmt, dass es der schönste Saal Europas sei. Das ist vollkommener Unsinn. Das ist auch gar nicht notwendig dafür, dass er als Denkmal akzeptiert wird. Er ist ein Ort großer historischer Ereignisse, auch musikhistorischer Ereignisse. Und er ist als Symbol dafür, wie die DDR versucht hat, übrigens dann eben letztlich vergeblich versucht hat, mit dem Bürgertum eine Koalition einzugehen. Das genügt vollkommen, um ihn hundertprozentig unter Denkmalschutz zu stellen. Es ist ein herausragendes Denkmal, ein ganz bedeutender Saal. Alle andere Fragen muss man irgendwie klären, die akustischen, die sichttechnischen etc. Aber dieser Saal ist so, wie er jetzt ist, und zwar eben nicht verändert, ein einmaliges Dokument in der deutschen Geschichte.

    Schossig: Walter Ulbrichts Possenherrlichkeit bleibt also. Soweit Nikolaus Bernau zur heutigen Entscheidung in Berlin über die Zukunft des Sanierungsprojektes Deutsche Oper Unter den Linden.