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Ein "ganz besonderer Dichter"

Wenn Adolf Endler aus seinen Texten las, dann sah das so aus: Irgendwann kommt ein älterer Mann hereingeschlurft, "Herr" möchte man eigentlich nicht sagen, leger gekleidet, mit einem Glas Rotwein in der Hand, und man denkt, er setzt sich ins Publikum. Tut er nicht.

Wolfgang Emmerich im Gespräch mit Dina Netz | 03.08.2009
    Dina Netz: Er setzt sich nach vorn, legt ein Buch auf den Tisch und beginnt umstandslos zu lesen – mehr mit dem Text, als mit dem Publikum beschäftigt. Er gab sich keine Mühe, seine Texte besonders zu gestalten. Er nuschelte sogar ein bisschen. Adolf Endler vertraute darauf, dass seine Texte für sich sprechen würden – was sie taten. Ihr untergründiger Witz entfaltete sich so viel besser. Adolf Endler wurde 1930 in Düsseldorf geboren, er übersiedelte 1955 in die DDR. 1976 unterschrieb Endler gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, in den 80ern gehörte er zu den kritischen Prenzlauer-Berg-Dichtern.

    Frage an den Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich: Ist das ein typisches Endler-Gedicht?

    Wolfgang Emmerich: Ja, zumindest für den mittleren und späteren Endler, wenn man das so sagen kann. Er hat ja mal angefangen mit ziemlich anständigen, ordentlichen Gedichten, kurzweilig war er schon immer und vergnüglich, aber später sind die Texte immer, sagen wir ruhig mal verrückter und wilder geworden und die Fadennudeln im Bart, das ist natürlich eine Anspielung auf seinen eigenen Vollbart, der nicht immer ordentlich frisiert und gekämmt war und so weiter. Also, es steckt auch ein Stück Selbstironie und Selbstparodie in diesem Gedicht drin.

    Netz: In meinen Augen war eben genau dieser Witz, dieser Humor, den Sie auch schon angesprochen haben, ja das Markenzeichen Endlers, sein schwarzer, aber durchaus menschenfreundlicher Humor. Können Sie das mal genauer beschreiben?

    Emmerich: Ja, er ist ein ganz besonderer Dichter. Ich glaube, keiner aus der DDR oder auch aus westlichen, deutschsprechenden Ländern ist da direkt vergleichbar. Es geht eigentlich immer in die Richtung groteske Anarchie, also, die Texte verrücken alle. Sie sind in diesem Sinne, wörtlich gesprochen, verrückte Texte, und ich glaube, diese Stimme wird sehr fehlen. Es war abzusehen, dass Endler nicht mehr so lange leben würde, er war lange krank, aber so einen gibt es nicht noch mal.

    Netz: Dennoch: Das literarische Kolloquium Berlin hat ihn, Endler, zu seinem 70. Geburtstag vor einigen Jahren gefeiert als das unbekannte Genie der deutschen Literaturszene. Warum ist er eigentlich so verhältnismäßig unbekannt geblieben?

    Emmerich: Na ja, verrückte Literatur ist nicht jedermanns Sache und ich habe mir durch den Kopf gehen lassen, dass Westdeutsche mit seinem Witz, mit seinem Humor Schwierigkeiten haben. Man merkt das sehr stark, dass sein Nährboden von 1955 bis 1989 die DDR gewesen ist. Es ist schon eine besondere Art zu schreiben und auch zu hören, die vielleicht doch nicht einem ganz großen Publikum auch sich jetzt späterhin erschließen wird.

    Netz: Dieser groteske Humor, über den wir jetzt schon viel gesprochen haben – war das denn auch eine Reaktion auf den Staat, in dem er lebte, auf diesen repressiven Staat, oder hätte vermutlich Endler auch sonst so geschrieben?

    Emmerich: Na, das weiß man natürlich nicht, das ist spekulativ. Aber man muss sich vorstellen, da geht ein junger Mann, ein Journalist aus dem Westen mit 25 Jahren freiwillig aus der Bundesrepublik in die DDR. Er hofft, dort seine politischen Träume verwirklichen zu können und dann muss er sehr bald erkennen, 1961 verteidigt er noch den Mauerbau, aber danach wird es schon ganz anders: Er sieht, das ist eigentlich nicht sein Land, das ist nicht sein Sozialismus, und da entsteht Trauer und da entsteht Wut und Zorn. Und aus diesen Emotionen heraus rettet er sich gewissermaßen in seiner Art des schwarzen Humors. Da besteht ein Zusammenhang zwischen Enttäuschung und der Art, wie er dann geschrieben hat.

    Netz: Vielen ostdeutschen Dichtern ist ja, Herr Emmerich, nach der Wende so ein bisschen der Stoff ausgegangen. Es fehlten manchen die Themen. Wie war das bei Adolf Endler? Er hat ja weiter publiziert. Worüber hat er dann geschrieben nach der Wende?

    Emmerich: Na, er hat schon sehr viel rückblickende, autobiografische Prosa geschrieben, also, das vielleicht wichtigste Buch "Tarzan im Prenzlauer Berg" mit diesem wunderbaren Titel, der ihn ja selber beschreibt, als Urvieh, als Monster in einer Metropolenlandschaft, das ist ein Tagebuch, das auf die frühen 80er-Jahre zurückgeht, aber doch eigentlich noch weitergeführt wird mit den Erfahrungen der Nach-DDR-Zeit. Am meisten hat er eigentlich Essays, Fragmente, fragmentarische Prosa geschrieben und es hat fast alles immer wieder doch mit dem Leben in der untergegangenen DDR zu tun. Ich habe, glaube ich, schon etwa ein Dutzend Endler-Bücher, man kann nicht sagen, dass er sich einen ganz neuen Nach-Wende-Stoff erobert hat.

    Netz: Herr Emmerich, zum Schluss noch kurz: Ich habe vorhin beschrieben, wie wenig Adolf Endler bei Lesungen so als Dichter auftrat. Wie war er als Mensch? Unprätentiös, trifft es das?

    Emmerich: Ja, unbedingt. Ich habe ihn mehrere Male getroffen. Seine Widmungen sehen so aus: "Für Emmerich von Endler, herzlich", also kein Getue. Er war, ja, schnoddrig, knapp, aber doch meistens liebenswürdig und freundlich. Ich werde Alf Endler sehr vermissen und mit mir wird das vielen so gehen. Er ist ein, wirklich auf seine Weise ein Originalgenie gewesen, ein Häretiker, ein Anarchist, wie man ihn immer brauchen kann, und in allzu ordentlichen und gesettelten Zeiten eigentlich ganz besonders. Adolf Endler wird fehlen.

    Netz: Sagt der Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich zum Tod des Dichters Adolf Endler.