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Ein ganz normaler Tag als Abgeordneter

Früher flog Peer Steinbrück (SPD) von einem G8-Treffen zum nächsten EU-Finanz-Gipfel, jetzt muss er sich mit dem Schwarzbrot des einfachen Bundestags-Abgeordneten begnügen. Ein Tag mit dem Finanzminister a.D. in Langenfeld.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    "Nee, nee, nee - das lassen wir noch schön aus."

    Streng zeigt Peer Steinbrück auf das Mikrofon - zu einer möglichen Kanzlerkandidatur will er hier, auf dem Vorplatz der Sparkasse Langenfeld mitten im Rheinland, nun wirklich nichts sagen. Ein ernster Blick - und dann doch ein Schmunzeln:

    "Wenn Ihre Neugier davon getrieben sein sollte, dass es in jüngster Zeit bestimmte Aufmerksamkeitswerte gegeben haben sollte."

    Da ist es wieder, das für Steinbrück so typische, aber oft auch aufgesetzte Understatement. Bei allem Gerede um seine Ambitionen gehe es ja gar nicht darum, was er wolle. Steinbrück denkt nur an die Bürger:

    "Die meisten Menschen würden uns für verrückt halten, wenn wir anderthalb Jahre nach der Bundestagswahl, von der wir uns langsam, aber mühevoll erholen, jetzt plötzlich intern eine Bauchspiegelung vornehmen würden mit irgendwelchen Namen."

    Da macht der gebürtige Hanseat seinem selbst ernannten Ruf - er sei "ein Kabeljau" - wieder alle Ehre: Stumm wie ein Fisch möchte Steinbrück alle Spekulationen um eine Kanzlerkandidatur beiseite wischen. Ein kritisches Wort über seine Partei, die SPD, kommt ihm da schon geschmeidiger über die Lippen:

    "Die SPD darf sich nicht so darstellen, als ob sie über Fakten hinweg geht, die offensichtlich gewesen sind, nämlich dass wir in Rheinland-Pfalz zehn Prozent verloren haben, und in Baden-Württemberg das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 erzielt haben. Die Menschen in ihrem Politik-Verdruss werden darin bestätigt, wenn Parteien sich kontrafaktisch aufstellen, in ihren Worten und auch in ihrer politischen Körpersprache."

    Und dann gleich noch ein Schlag in die Magengrube der SPD - Sozialpolitik sei nicht alles, die Partei müsse auch wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz beweisen. Das klingt dann doch nach Werbung in eigener Sache aus dem Munde des bis heute angesehenen Bundesfinanzministers a.D. Jetzt aber genug geredet. Sein Publikum wartet.

    Während ein ungeduldiger Bürger und ein Lokaljournalist sich in die Haare kriegen, wer nun zuerst mit Steinbrück reden darf, nimmt der schon lässig die Alu-Stufen - hoch und hinein in das sogenannte Info-Mobil des Deutschen Bundestags: Ein riesiger Lastkraftwagen, 16,5 Meter lang, 26 Tonnen schwer. Innen drin sechs Stuhlreihen und vorne ein Hocker für den prominenten Gast aus Berlin:

    "So, mein Name ist Peer Steinbrück. Viele von Ihnen wissen wahrscheinlich, dass ich der Bundestags-Abgeordnete des südlichen Wahlkreises Mettmann bin."

    Früher flog Steinbrück von einem G8-Treffen zum nächsten EU-Finanz-Gipfel, jetzt muss er sich mit dem Schwarzbrot des einfachen Bundestags-Abgeordneten begnügen. Den ganzen Tag schon tourt der 64-Jährige durch seinen Wahlkreis: Händeschütteln bei der örtlichen Spedition, die unter dem europäischen Wettbewerb ächzt, Besuch bei der kommunalen Anlaufstelle für gemeinnützige Arbeit und jetzt eine Schülerdiskussion mit dem 13. Jahrgang der Bettine-von-Arnim-Gesamtschule:

    "Das heißt, ich reiße Sie mitten aus Ihren Abitur-Vorbereitungen? Das ist ja fatal. Das heißt, Sie legen eigentlich großen Wert darauf, dass die Veranstaltung so schnell wie möglich beendet ist."

    Ein dezent duftendes Aftershave, rote Krawatte, dunkler Anzug - Steinbrück residiert geradezu auf seinem Hocker. Ein Bein angezogen, das andere dynamisch wippend auf dem Boden, strahlt er eine Aura von Eleganz und freundlicher Autorität aus. Die Wirkung bleibt nicht aus: Etwas ehrfürchtig sitzen die Schüler da. Die ersten beiden Reihen bleiben leer - wie im Klassenzimmer. Und irgendwie rutscht Peer Steinbrück in die Rolle eines, wenn auch sympathischen Lehrers. Auf dem Stundenplan: Das kleine ABC des Bundestags:

    "Wenn das die drei Verfassungsorgane sind, die Sie hier auf diesem Bild sehen, fällt Ihnen ein weiteres Verfassungsorgan ein? - Nicht vorsagen!"

    Dann der Rollentausch: Die Schüler fragen - und Steinbrück antwortet. Es geht um Atomkraft, die Euro-Krise, um Hilfe für Afrika und um die Linkspartei. Dann will Steinbrück doch noch wissen, wie viele Fraktionen im Bundestag sitzen. Die Schüler zählen sie alle auf und vergessen ausgerechnet - die SPD:

    "Jaja, wir sind noch mal über die Fünf-Prozent-Klausel gekommen."

    Solchen Spott verzeiht ihm die Partei inzwischen. Vorbei die Zeiten, als Steinbrück "Peer, der Schreckliche" hieß, weil er über linke "Heulsusen" witzelte und die SPD mit einem alten Sofa voller Katzenhaare verglich. Führende SPD-Leute haben in Steinbrück längst eine Geheimwaffe erkannt: Blitzgescheit, rhetorisch brillant und bei vielen Bürgern über Parteigrenzen hinweg beliebt. So kommt im beschaulichen Langenfeld das Thema Kanzlerkandidatur dann doch noch einmal auf den Tisch:

    "Ich hoffe ja, dass sich zur nächsten Bundestagswahl die SPD in einem wählbaren Zustand präsentiert. Das geht nur mit zwei Personen, mit Herrn Steinmeier und mit Ihnen!"

    Steinbrück kostet diesen Moment aus, und lenkt dann ausnahmsweise alle Aufmerksamkeit von sich weg. Ausgerechnet er, der selbst so gerne im Mittelpunkt steht:

    "Was glauben Sie, wie die Journalistin vom Deutschlandfunk im Augenblick mit den Augen plinkert, dass ich darauf antworte. Hahaha."

    So lustig Steinbrück seine Antwort auch findet, bei den Schülern Marie und Dominik kommt das Ausweichmanöver am Ende des Tages nicht so gut an:

    "Also wenn er da jetzt schon so gehandelt wird, wäre es schön, wenn er dazu auch klar Stellung bezieht. Vor allem kann man das ja auch schon als Wahlkampf jetzt sehen. Also wenn er sich wirklich aufstellen will, zum Bundeskanzler, dann kann man das ja auch schon sehen, eine gute Strategie, die Jugend für sich zu gewinnen. Er nimmt sich Zeit für die Jugend, dem würde ich auch auf jeden Fall zustimmen."

    In einem Interview hat Peer Steinbrück einmal bekannt, das Nashorn sei sein Lieblingstier: Es komme langsam in Gang, aber wenn es einmal in Fahrt sei, lasse es sich durch nichts mehr aufhalten. Ein Schelm, wer dabei an die K-Frage denkt.