Ein Gedicht . Mehr als ein Gedicht. Für viele das Gedicht.
Hälfte des Lebens – von Friedrich Hölderlin.
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser
Weh mir, wo nehm`ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen"
Der letzte-, der Schwanengesang Hölderlins, bevor er sich dorthin zurückzog, wohin niemand ihm folgen konnte. Mehr als 20 Jahre noch sollte er im Tübinger Turm am Neckar hausen - "umnachtet", wie man es später nennen wird.
In der Epoche all der idealistisch aufgeladenen ruhelosen Geister der Zeit um 1800 sollte er der Verlassenste, Unverstandenste, für Zeitgenossen und Nachgeborene gleichermaßen Beunruhigendste bleiben.
Wolfgang Menninghaus widmet diesem unglaublichen Gedicht ein ganzes Buch.
Er weiß um die unzähligen Deutungen, die ideologischen Inanspruchnahmen dieser zwei Strophen. Wurde hier "das Haus des Seins" bereitet, wie ein Begriffsdichter wie Martin Heidegger mutmaßte? War gar ein Hoherpriester in der Tradition des antiken Sehers am Werk – ein zweiter Pindar, der sich später in miefig deutschen Schulaulen so trefflich nachspielen und rezitieren ließ? – Oder deutet sich in Zeilen wie "die Mauern stehn sprachlos und kalt" schon - in aller Unversöhnlichkeit - eine Moderne an, in welcher der "Tod Gottes" nicht nur – wie von Nietzsche - beschworen und indiziert, sondern vollzogen wird. Der Rest betrifft dann jenes Schweigen, dem Paul Celan - und vielleicht nur er - Worte abringt.
Wolfgang Menninghaus beginnt sein Buch über das wahrscheinlich abgründigste deutsche Gedicht leider wie ein Professor der Germanistik:
"Während viele Hölderlin-Gedichte ihre Leser auf die Bahn einer mühsamen Entzifferung tiefsinniger Philosopheme und (privat) mythologischer Anspielungen schicken, bietet "Hälfte des Lebens" schon dem ersten Lesen eine sofortige Evidenz. Die das gesamte Gedicht strukturierende Opposition erscheint durchaus einfach und klar: eine spätsommerliche Szene wird mit dem Gedanken an den Winter kontrastiert. Offenkundig haben die evozierten Natur- und Jahreszeitenbilder etwas mit dem Zustand des sprechenden "ich" zu tun."
Die Sätze sind an eine eingeweihte Diskursgemeinschaft gerichtet - und streben doch in bemühter Lakonie und Unbekümmertheit eine andere Deutung an. Solches galt mal – ich glaube in den siebziger Jahren – als ein Neuansatz in der Literaturwissenschaft, mit dem man aus einer vermoderten "alma mater" in den Raum des Lebens vorzustoßen gedachte. Heute schlägt derlei Provokation als professoraler Habitus zu Buche und stößt obendrein auf Unverständnis. Dabei stimmt, was hier behauptet wird. Das Gedicht "Hälfte des Lebens" markiert den Augenblick einer Krise. Die erste Lebenshälfte ist gerade zu Ende gegangen, die zweite kündigt sich an als unerzählbarer Zustand von Sinnleere. Alles käme nun darauf an, dem Gedicht zu attestieren, dass es dieses in der Poesie häufig behandelte Existential weder trivialisiert noch auf einer sogenannten höheren Ebene befriedet. Genau das versucht Menninghaus zu leisten.
Zunächst durch eine Deutung auf biographischer Basis: Hölderlin stand um 1800 auch eigenem Empfinden nach in der Hälfte seines Lebens, wohl schon den Niedergang ahnend, der dann eintrat. Nach bestürzenden Erfahrungen als Hauslehrer im Haus der Susette Gontard und in Bordeaux, wo er als "von Apoll geschlagen" zurück in seine bedrückend enge Heimat zurückkehrte, vermochte er den Widerspruch zwischen Alltag, Liebe und Dichtung nicht mehr auszuhalten. Der ungewöhnlich schöne junge Mann mit dem fragilen Welt-Sensorium fand dabei zu einer eigensinnigen Aneignung der griechischen Antike. Im Gegensatz zu den Altvorderen, die dem klassischen Ideal der edlen Einfalt verpflichtet waren, in Kontrast aber auch zu jenen Romantikern, die in schwebender Reflexion und Ironie den Kontrast zwischen antiker Harmonielehre und moderner Unruhe milderten, stellt Menninghaus Hölderlin das Zeugnis aus, die Widersprüche ausgehalten und als Poesie gestaltet zu haben. – und zwar in jeder Hinsicht. Bei der Wahl von Versmaß und Rhythmus als auch in der Prägung der Bilder. Menninghaus taucht tief ein in den Kanon antiker Mythen, Figuren und Formen, um dort ein Spannungsszenario auszumachen, das seiner Meinung nach der Dichter für sich nutzte und auf der Spitze der Modernität radikalisierte. Die Pole bilden dabei der männlichen Heroismus evozierende Elogendichter Pindar und die lesbische Dichterin Sappho, die elegisch, abgründig und in für Männer bedrohlichen Bildern zu einer eigenen Sprache , einem eigenen Rhythmus fand.
Man mag an Kleists "Penthesilea" denken, wenn man Menninghaus zuhört:
Auch Kleist hatte sich mit der Gestalt der Penthesilea in eine Vision vorgewagt, die uns heute mehr beunruhigt als der gut abgehangene Kanon der gesamten Goethezeit: die virile abgründige Frau lässt uns die moderne Krankheit des zumeist männlichen Narzissmus besser verstehen, als uns lieb ist. Der in die Antike vernarrte Menninghaus sammelt indes weitere Belege, die irgendwann abenteuerlich anmuten; So findet er im Vermaß des Adoneus, das Hölderlin mehrfach benutzt, einen Beleg dafür, dass der Dichter auf das Schönheitsideal des Adonis rekurriert. Schon in seinem letzten Buch "Das Versprechen der Schönheit" hatte Menninghaus in Adonis kein männliches Individuum, sondern ein Objekt weiblichen Begehrens dingfest gemacht. Der Mann, das männlich definierte Ideal und zuletzt die männlich dominierte Ästhetik werden hier zur Disposition gestellt - und damit eine ganze Kultur. Hölderlin und sein Gedicht werden dem Autor schließlich zu Zeugen eines Wandels, der uns Moderne in ein Fremdes hinabzieht
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See."
Menninghaus sieht in dieser neigenden Bewegung auf die Wasseroberfläche Narziss, der verliebt in sein eigenes Ich, schließlich darin versinkt. Was wir daraus lesen könnten – mit Freud übrigens, wie Menninghaus hinzufügt: die Moderne, die sich immer viril und ichbezogen zu definieren suchte, versinkt zurück in ozeanische Gefühle. Wollte uns das Hölderlin sagen? - Zuletzt bleibt gegen diese so faszinierende wie verschlungene und manchmal auch verspielte Interpretation der Eindruck der betäubenden Schönheit des Gedichts. Es mag deshalb noch einmal zitiert sein:
Hälfte des Lebens
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser
Weh mir, wo nehm`ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen"
Winfried Menninghaus:
"Hälfte des Lebens..
Versuch über Hölderlins Poetik".
(Suhrkamp Verlag)
Hälfte des Lebens – von Friedrich Hölderlin.
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser
Weh mir, wo nehm`ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen"
Der letzte-, der Schwanengesang Hölderlins, bevor er sich dorthin zurückzog, wohin niemand ihm folgen konnte. Mehr als 20 Jahre noch sollte er im Tübinger Turm am Neckar hausen - "umnachtet", wie man es später nennen wird.
In der Epoche all der idealistisch aufgeladenen ruhelosen Geister der Zeit um 1800 sollte er der Verlassenste, Unverstandenste, für Zeitgenossen und Nachgeborene gleichermaßen Beunruhigendste bleiben.
Wolfgang Menninghaus widmet diesem unglaublichen Gedicht ein ganzes Buch.
Er weiß um die unzähligen Deutungen, die ideologischen Inanspruchnahmen dieser zwei Strophen. Wurde hier "das Haus des Seins" bereitet, wie ein Begriffsdichter wie Martin Heidegger mutmaßte? War gar ein Hoherpriester in der Tradition des antiken Sehers am Werk – ein zweiter Pindar, der sich später in miefig deutschen Schulaulen so trefflich nachspielen und rezitieren ließ? – Oder deutet sich in Zeilen wie "die Mauern stehn sprachlos und kalt" schon - in aller Unversöhnlichkeit - eine Moderne an, in welcher der "Tod Gottes" nicht nur – wie von Nietzsche - beschworen und indiziert, sondern vollzogen wird. Der Rest betrifft dann jenes Schweigen, dem Paul Celan - und vielleicht nur er - Worte abringt.
Wolfgang Menninghaus beginnt sein Buch über das wahrscheinlich abgründigste deutsche Gedicht leider wie ein Professor der Germanistik:
"Während viele Hölderlin-Gedichte ihre Leser auf die Bahn einer mühsamen Entzifferung tiefsinniger Philosopheme und (privat) mythologischer Anspielungen schicken, bietet "Hälfte des Lebens" schon dem ersten Lesen eine sofortige Evidenz. Die das gesamte Gedicht strukturierende Opposition erscheint durchaus einfach und klar: eine spätsommerliche Szene wird mit dem Gedanken an den Winter kontrastiert. Offenkundig haben die evozierten Natur- und Jahreszeitenbilder etwas mit dem Zustand des sprechenden "ich" zu tun."
Die Sätze sind an eine eingeweihte Diskursgemeinschaft gerichtet - und streben doch in bemühter Lakonie und Unbekümmertheit eine andere Deutung an. Solches galt mal – ich glaube in den siebziger Jahren – als ein Neuansatz in der Literaturwissenschaft, mit dem man aus einer vermoderten "alma mater" in den Raum des Lebens vorzustoßen gedachte. Heute schlägt derlei Provokation als professoraler Habitus zu Buche und stößt obendrein auf Unverständnis. Dabei stimmt, was hier behauptet wird. Das Gedicht "Hälfte des Lebens" markiert den Augenblick einer Krise. Die erste Lebenshälfte ist gerade zu Ende gegangen, die zweite kündigt sich an als unerzählbarer Zustand von Sinnleere. Alles käme nun darauf an, dem Gedicht zu attestieren, dass es dieses in der Poesie häufig behandelte Existential weder trivialisiert noch auf einer sogenannten höheren Ebene befriedet. Genau das versucht Menninghaus zu leisten.
Zunächst durch eine Deutung auf biographischer Basis: Hölderlin stand um 1800 auch eigenem Empfinden nach in der Hälfte seines Lebens, wohl schon den Niedergang ahnend, der dann eintrat. Nach bestürzenden Erfahrungen als Hauslehrer im Haus der Susette Gontard und in Bordeaux, wo er als "von Apoll geschlagen" zurück in seine bedrückend enge Heimat zurückkehrte, vermochte er den Widerspruch zwischen Alltag, Liebe und Dichtung nicht mehr auszuhalten. Der ungewöhnlich schöne junge Mann mit dem fragilen Welt-Sensorium fand dabei zu einer eigensinnigen Aneignung der griechischen Antike. Im Gegensatz zu den Altvorderen, die dem klassischen Ideal der edlen Einfalt verpflichtet waren, in Kontrast aber auch zu jenen Romantikern, die in schwebender Reflexion und Ironie den Kontrast zwischen antiker Harmonielehre und moderner Unruhe milderten, stellt Menninghaus Hölderlin das Zeugnis aus, die Widersprüche ausgehalten und als Poesie gestaltet zu haben. – und zwar in jeder Hinsicht. Bei der Wahl von Versmaß und Rhythmus als auch in der Prägung der Bilder. Menninghaus taucht tief ein in den Kanon antiker Mythen, Figuren und Formen, um dort ein Spannungsszenario auszumachen, das seiner Meinung nach der Dichter für sich nutzte und auf der Spitze der Modernität radikalisierte. Die Pole bilden dabei der männlichen Heroismus evozierende Elogendichter Pindar und die lesbische Dichterin Sappho, die elegisch, abgründig und in für Männer bedrohlichen Bildern zu einer eigenen Sprache , einem eigenen Rhythmus fand.
Man mag an Kleists "Penthesilea" denken, wenn man Menninghaus zuhört:
Auch Kleist hatte sich mit der Gestalt der Penthesilea in eine Vision vorgewagt, die uns heute mehr beunruhigt als der gut abgehangene Kanon der gesamten Goethezeit: die virile abgründige Frau lässt uns die moderne Krankheit des zumeist männlichen Narzissmus besser verstehen, als uns lieb ist. Der in die Antike vernarrte Menninghaus sammelt indes weitere Belege, die irgendwann abenteuerlich anmuten; So findet er im Vermaß des Adoneus, das Hölderlin mehrfach benutzt, einen Beleg dafür, dass der Dichter auf das Schönheitsideal des Adonis rekurriert. Schon in seinem letzten Buch "Das Versprechen der Schönheit" hatte Menninghaus in Adonis kein männliches Individuum, sondern ein Objekt weiblichen Begehrens dingfest gemacht. Der Mann, das männlich definierte Ideal und zuletzt die männlich dominierte Ästhetik werden hier zur Disposition gestellt - und damit eine ganze Kultur. Hölderlin und sein Gedicht werden dem Autor schließlich zu Zeugen eines Wandels, der uns Moderne in ein Fremdes hinabzieht
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See."
Menninghaus sieht in dieser neigenden Bewegung auf die Wasseroberfläche Narziss, der verliebt in sein eigenes Ich, schließlich darin versinkt. Was wir daraus lesen könnten – mit Freud übrigens, wie Menninghaus hinzufügt: die Moderne, die sich immer viril und ichbezogen zu definieren suchte, versinkt zurück in ozeanische Gefühle. Wollte uns das Hölderlin sagen? - Zuletzt bleibt gegen diese so faszinierende wie verschlungene und manchmal auch verspielte Interpretation der Eindruck der betäubenden Schönheit des Gedichts. Es mag deshalb noch einmal zitiert sein:
Hälfte des Lebens
"Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser
Weh mir, wo nehm`ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen"
Winfried Menninghaus:
"Hälfte des Lebens..
Versuch über Hölderlins Poetik".
(Suhrkamp Verlag)