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Ein Gemälde in bewegten Bildern

Gott als Müller im Himmel und eine Mühle als Symbol der zerrinnenden Zeit. "Die Kreuztragung" des Niederländers Pieter Bruegel bietet viel Raum für Interpretation. "Die Mühle und das Kreuz" des polnischen Filmemachers Lech Majewski bringt erstmals das Gemälde auf die Kinoleinwand.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig |
    Rainer Berthold Schossig: Im Kunsthistorischen Museum zu Wien, dort wo die "Alten Meister" auf Besucher warten, ist dem Niederländischen Maler Pieter Bruegel ein ganzer Saal gewidmet. Neben anderen Hauptwerken hängt dort auch sein Bild "Die Kreuztragung", und dieses ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich: Wild bewegt, bunt bevölkert, es spielt nicht etwa in Jerusalem, sondern in Brueghels Heimat. Auf einem unglaublich steilen Fels kippelt im goldenen Schnitt eine Windmühle, den Felsen brachte Breughel aus Italien mit, die Mühle kannte er aus Flandern. Kann man so etwas verfilmen? Jetzt hat es der polnische Filmemacher Lech Majewski gewagt. – Frage an Rüdiger Suchsland: Wie hat er es denn gemacht?

    Rüdiger Suchsland: Ja, das kann man schon sagen, dass er ein Bild verfilmt hat. Zunächst einmal wird es gar nicht gedeutet. Es wird vor allem mal gezeigt und es wird gewissermaßen entfaltet. Das Kino ist zwar zweidimensional, wie die Malerei, aber es wirkt doch so, als ob das Bild hier eine dritte Dimension bekommt. Die Figuren bewegen sich in dem Bild, also auch die gemalten Figuren, und vor allem die eigentliche Hauptfigur des Films ist der Maler Pieter Bruegel, gespielt von Rutger Hauer, dem niederländischen Star von frühen Autorenfilmen in den 70ern, dann später hat er bei "Blade Runner" mitgespielt und ziemlich viele amerikanische Filme gemacht. Er ist im Grunde der Maler, der uns Zuschauern das Bild erklärt. Und dann kommen Geräusche auch: Die Geräusche einer Mühle, die Geräusche der Pferde, die Geräusche der Menschen natürlich und der vielen Tiere, die Bruegel aufgestellt hat, um sie zu malen, und es ist eine Fantasie des Regisseurs Lech Majewski über dieses Bild.

    Schossig: Dieses Bild ist sehr, sehr vielschichtig, ich glaube sogar eines der vielfigurigsten von Bruegel. Ein halbes Tausend Menschen sind dort zu sehen, wenn man genau mit der Lupe guckt. Wie hat er ausgewählt, wie erzählt er die Geschichte, ja und welche Geschichte ist es überhaupt? Ist es die der Mühle, ist es die des Kreuzes?

    Suchsland: Gewissermaßen erzählt Majewski vier Geschichten in einer. Er erzählt zunächst einmal genau die biblische, die der Kreuztragung Christi, die Szenen, in denen Christus die Dornenkrone aufgesetzt wird, in der er das Kreuz schleppt, wir sehen eine alt gewordene Jungfrau Maria. Gleichzeitig geht es darum, dass eine Geschichte erzählt wird der Zeit von Pieter Bruegel, und zwar auf der Ebene der Alltagsgeschichte. Man sieht einfach, wie die Leute lebten. Wir sehen einfach eine alte Mühle, wie sie im 16. Jahrhundert funktionierte, und das macht auch einen Riesenlärm, und dieser Müller, der macht erst mal seine Arbeit, gleichzeitig ist er ein Sinnbild für Gott. Das erklärt Rutger Hauer: Gott ist der große Müller im Himmel, der auf uns Menschen herabschaut. Und die Mühle ist natürlich auch etwas: Da sind wir bei der dritten Ebene. Es ist ein Symbol: ein Symbol für das Mahlwerk der Zeit, das große Rad der Zeit. Und die vierte Ebene, das ist die, wenn man so will, politische, wo der Film fast ein bisschen aktuell wird, denn Pieter Bruegel hat das Gemälde ja in seine eigene Zeit versetzt, das heißt in die Niederlande, damals spanisch besetzten Niederlande des späten 16. Jahrhunderts. Das Bild ist 1564 gemalt. Also die Message ist ganz klar auf dieser politischen Ebene: Die Spanier sind eigentlich die wild gewordenen Fundamentalisten, die Christus opfern – in einer Zeit, in der Protestanten gegen Spanier sich wüst bekämpften. In Frankreich waren die Hugenottenkriege, der Befreiungskampf der Niederlande gegen die spanische Besatzung hat gerade begonnen, und wir wissen, dass in Deutschland das Deutsche Reich tief gespalten war in die verschiedensten Fraktionen.

    Schossig: Herr Suchsland, Sie haben gerade gesagt, Majewski verlängert die Geschichte nach hinten, also was nach der Kreuzigung geschah. Verlängert er sie auch nach vorne? Kommt also der Verrat zum Beispiel des Judas auch vor?

    Suchsland: Ja, es kommt tatsächlich eine Judas-Figur vor. Das ist der Priester dieser Stadt Antwerpen, in der Bruegel damals gemalt hat. Man kann sagen, es legt dieser Film nahe, dass Brueghels Bild auch ein Propagandawerk für den Befreiungskampf der Niederlande ist. Es ist so, dass diese Judas-Figur im Priestergewand ist, der sich doch am Schluss aufhängt. Man sieht dann, ein Priester einer großen katholischen Kirche hängt sich auf wie Judas in der Bibel. Dann muss man aber als Zuschauer von heute natürlich sehen: das hat ein Pole gemacht. Polen war, wie wir wissen, bis vor 20 Jahren Teil des Ostblocks und hat sich als von der Sowjetunion besetzt gefühlt, und man kann da durchaus auch Formen der Kollaboration der Katholischen Kirche und eines Teils der polnischen Oberschicht vermuten. Man kann andererseits auch an amerikanische Truppen vom Irak bis Afghanistan denken.

    Schossig: Majewski hat ja schon Kunstfilme gemacht. Er hat an einem Film über "Basquiat mitgeholfen, den Julian Schnabel gemacht hat, er hat über Hieronymus Bosch gefilmt. Ist das jetzt eigentlich noch ein Kunstfilm, oder ist das – Sie haben ja sehr viel beschrieben -, dass es eigentlich auch ein ganz anderer Film mit vielen politischen und aktuellen Botschaften ist?

    Suchsland: Ja, es ist ein unglaublich sinnlicher Film, den man vergleichen kann mit einem Gang in ein Museum, mit einem Gang vielleicht auch in einen Gottesdienst, wo man sich einfach mal zwei Stunden darauf einlässt, dass einem da eine Geschichte erzählt wird, und man hat dann auch eine ganze Menge erfahren – sowohl über das 16. Jahrhundert, wie über die Kunst an sich, also auch über das Kino.

    Schossig: Und deswegen kommt dieser Film "Die Mühle und das Kreuz" heute in unsere Kinos. Rüdiger Suchsland war das über Lech Majewskis Verfilmung eines Brueghel-Gemäldes.