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Ein geschwätziges Stück

Schon zu DDR-Zeiten hatte es der Dramatiker Jörg-Michael Koerbl schwer. 1989 lagen noch mehr als 30 Stücke in seiner Schublade, die noch nie aufgeführt worden waren. Als Koerbls Arbeit "Neues Deutschland" 1999 in München auf die Bühne kam, hieß es in der Kritik: "jede Menge Gerede". Wieder zehn Jahre später zeigte das Nationaltheater in Weimar jetzt die Uraufführung von Koerbls "Gefährliche Menschen".

Von Hartmut Krug |
    Begonnen hat das Deutsche Nationaltheater Weimar das Jubiläumsjahr der Wende im April mit Tine Rahel Völckers Stück "Keinland", einer Mentalitätsstudie über das Verhältnis von Kunst, Kultur und Politik in Weimar zwischen 1919 bis 1941. Mit der Ankündigung der Uraufführung von Jörg-Michael Koerbls 1984 entstandenem Stück "Gefährliche Menschen" erweckte das Theater den Eindruck, diese Mentalitätsstudie in das letzte Jahrzehnt der DDR hinein weiter zu führen.

    Der 1950 in Stendal geborene Autor, der 1990 sein Stück "Gorbatschow" an der Berliner Volksbühne uraufführte, 1999 mit "Neues Deutschland" eine Ost-West-Groteske vorlegte, dann mehrfach von Heiner Müller als Schauspieler eingesetzt wurde, bevor er für einige Jahre nach Martinique zog, hat allerdings mit "Gefährliche Menschen" kein Stück aus oder über die DDR geschrieben. Sein Stück ist ein Ideenstück aus dem Denklabor, dessen Figuren nicht sozial benannt, sondern aus der Medien- und Kulturgeschichte bekannt sind.

    Die Personen und Situationen des Stückes wirken ausgedacht und nachgemacht. Ein Erfolgsschriftsteller fährt mit einer Schauspielerin in sein Wochenendhaus im Wald und trifft dort auf seine Frau und deren Liebhaber. Hinzu kommen sein ebenfalls dichtender Sohn und dessen Freundin sowie ein alter Freund, ein Kritiker und Lektor, mit dessen Figur und ihren Reden gegen Pessimismus in der Literatur etwas DDR-Atmosphäre ins Stück gerät. Ansonsten versammelt Koerbl alles an Haltungen und Reden in seinem Worthülsen-Text, was seit Ingmar Bergmann je in Theaterstücken und Filmen an Selbsterkennungssuche, Lebensekel und -angst von Arrivierten ausgedrückt und mit der Verzweiflung und Abscheu einer jungen Generation konfrontiert wurde.

    Viel Sex und Alkohol, manche Zynismen und Verzweiflungen, viel Ehrgeiz und Konkurrenz. Nur das junge Paar, dessen unschuldiger Sex bewundert wird (!), besitzt noch Träume und Gefühle. Klar, das es sich nur mit einem gemeinsamen Selbstmord gegen die Leere und Kälte der Elternwelt zu wehren vermag. Beständig, von den ersten Sätzen an, sucht Koerbl seine Beziehungsfarce über Egozentriker hinauf zu treiben ins Grundsätzliche, hin zu Weltuntergangs-Visionen.

    Es ist ein geschwätziges Stück mit wenig Witz, aber viel tieferer Bedeutung. Das seinen Figuren keinen Freiraum gibt: Nichts wird entwickelt, nichts angedeutet, sondern alles erbarmungslos erklärt. Jedes Gefühl, jeder Gedanke wird hin und her geschwatzt. Es ist kein originelles, sondern ein epigonales, vor allem aber ein spannungsloses Stück. Dessen Protagonisten, da sie Künstler sind, besonders leiden. Zwar entlarvt Koerbl den Selbstbetrug seiner Künstlerfiguren, doch zugleich feiert er den Künstler als das besondere, wichtige Wesen.

    Statt den schmalen Text spielerisch zu verorten und zu konzentrieren, bläst die Regisseurin Claudia Meyer ihn mit enormer Kunstanstrengung auf. Damit beerdigt sie ihn vollends. Vor dem auf der Hinterbühne sitzenden Publikum zappeln die Figuren anfangs ihre Nervositäten und Neurosen zu wildem Trommelwirbel aus, um dann mit Chi-Gong-Übungen ihre Mitte und Ruhe zu suchen. Später schleichen sie in einem kalten Wald aus silbrigen Eisenstämmen umher, fallen übereinander her und belauern sich. (Achtung: Natur als Gefahr und Hoffnung!) Die Menschen setzen sich immer wieder Tiermasken auf und agieren als Affe, Krokodil, Giraffe, Kuh, Nilpferd oder Schwein. Das ergibt, weil das verfremdende Spiel der Schauspieler zwischen Tiergesten-Nachmacherei und ikonographisch-existentieller Bedeutung wichtigtuerisch, hohl und plakativ wirkt, eher unfreiwillige Komik.

    Was Botho Strauß in seinem im Programmheft zitierten Text "Paare, Passanten" vom freien Spiel der Lust und Laune, von ungeordneten Bedürfnissen und reinem Aufbegehren schreibt, das wird hier in der sprachlichen Bedeutungsmaschine des Autors und die szenische Kunstanstrengung der Regisseurin endgültig zu saurem Kitsch zermahlen.