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Ein Globalisierungskritiker ersten Ranges

Bereits 2005 wies der Soziologe Richard Sennett in seinem Sachbuch "Die Kultur des neuen Kapitalismus" auf die Sensibilität des Finanzsystems hin und prognostizierte einen baldigen Kollaps. Der Kritiker der neoliberalen Ökonomie behielt Recht. Für seine Fachgrenzen überschreitende Forschung wurde Sennett nun der internationale Gerda-Henkel-Preis verliehen.

Von Ingeborg Breuer |
    Investoren fordern schnellen Profit. Unternehmen werden den Bedürfnissen der Finanzmärkte angepasst. Mitarbeiter verlieren den sozialen Halt und die Loyalität zu ihrem Arbeitgeber. So charakterisierte der amerikanische Soziologe und Kulturwissenschaftler Richard Sennett die "Kultur des neuen Kapitalismus" im Jahr 2005. Nach dieser "Kultur" sollte die Welt hinfort funktionieren.

    "Die Regierungen, nicht nur in den USA oder in Großbritannien, sondern auch in Europa, in Frankreich fanden diesen Kapitalismus natürlich. Irgendwie war es normal, dass es so immer weitergehen würde. Aber sie hätten es besser wissen sollen und besser vorbereitet sein sollen."

    Nun - drei Jahre später - sind die Finanzmärkte kollabiert. Der Kapitalismus ist in der Krise. Für Richard Sennett, der sowohl an der London School of Economics als auch an der New York University lehrt, ist dies keine Überraschung.

    "Meine Bücher sagten ja, dass so etwas passieren würde - und es passierte. Und nun führen meine Studenten und ich ein Projekt durch, wir interviewen nämlich Leute, die ihren Job verloren haben, angefangen vom hochbezahlten Banker bis hin zu denen, die irgendwo unten gearbeitet haben. Was mich überrascht hat, ist die Überraschung der Menschen, die im Finanzsektor gearbeitet haben. Also, wissen Sie, das war kein geheimes Wissen, was ich von der Zerbrechlichkeit dieses Systems hatte. Es war offensichtlich. Aber, weil sie so reich wurden, machten sie sich keine Gedanken darüber."

    Sennett hat in seinen letzten Büchern immer wieder versucht, die Auswirkungen der neukapitalistischen Wirtschaftsordnung auf die Lebensbedingungen der Menschen zu analysieren. Lebensbedingungen, die zunehmend unsicher und bindungslos wurden. Das System der globalen Finanzmärkte löste sich von realwirtschaftlichen Kreisläufen - und trieb die Entsolidarisierung der Gesellschaft bewusst und planvoll voran - so Sennetts Analyse.

    In der neoliberalen Ökonomie herrscht, wie der Germanist Wolfgang Frühwald in seiner Laudatio formulierte, ein "up or out", ein System von Monatsbilanzen, das den Egoismus belohnt und den Altruismus bestraft. Die augenblickliche Krise der Finanzmärkte ist für Sennett deshalb die Krise eines Systems, das sich von allem Materiellen, von allem Sinnlichen und Substanziellen entfernt hat. Es sei ein struktureller Kollaps, der sich da ereignet habe. Und deshalb reicht es auch nicht, meint Sennett, dieses System durch unvorstellbare Mengen an Geld zu reparieren, sondern langfristig müsse man neue Wege finden.

    "Eine Ökonomie, die von Finanzmärkten beherrscht wird, ist auf Dauer unmöglich. Das ist einer der Gründe, weshalb ich befürworten würde, wenn Präsident Obama langsam auf die Situation reagieren würde, denn es handelt sich hier um einen strukturellen Kollaps. Die erste Antwort der amerikanischen Regierung auf diese Krise war, genau den Leuten eine enorme Menge Geld zu geben, die diese Krise verursacht haben - aber die Situation ist zu ernst. Wir können nicht zu einer Ökonomie zurückkehren, wie sie vor zwei oder drei Jahren war. Die Finanzen können gesichert werden, aber der Langzeiteffekt dieser Krise wird ein globaler Anstieg der Arbeitslosigkeit sein und das wird uns eine Generation begleiten. Also, deshalb muss man langfristig über strukturelle Veränderungen nachdenken und das muss meines Erachtens damit anfangen, darüber nachzudenken, wie wir Arbeit schaffen können. Und das ist sehr schwierig."

    Doch Arbeit schaffen allein, meint Sennett, reiche auch nicht, um der augenblicklichen Krise nachhaltig zu begegnen. Denn Arbeit sei heute zu sehr auf das rasche Lösen von Problemen gedrillt, stets unter dem Gebot von Marktgängigkeit und Effizienz. Dass Sennett in seinem 2008 erschienenen Buch gegen solche buchstäblich "flüchtigen" Jobs ausgerechnet "den Handwerker" in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellt, wirkt da zunächst wie eine rückwärtsgewandte romantische Schwärmerei.

    Doch "Craftsmanship", der englische Originalbegriff, bedeutet mehr als Handwerk. Er meint "Kunstfertigkeit" und "Könnerschaft". Oder: den Rückgriff auf vertrautes Wissen. Meint: "eine Arbeit um ihrer selbst willen gut machen". Und ebenso: das Zulassen von Fehlern als notwendige Voraussetzung für Verbesserungen.

    Auch der von Sennett sehr geschätzte Sozialstaat vermag die Arbeit ein Stück weit vor der Ungeduld des globalen Kapitals zu retten. Denn er stellt sich dem in der angelsächsischen Welt verbreiteten "Hire and Fire" entgegen und fördert, so Sennett, eine Arbeitskultur, die ein ruhiges und sorgfältiges Einüben von Fähigkeiten zulässt.

    "Also, was dieser Finanzkapitalismus tat, ist Fähigkeiten da kaufen, wo man sie finden kann, und nicht die Fähigkeiten von Mitarbeitern zu fördern. Also: Outsourcen, statt Geld in dich zu investieren. Firmen kaufen auf dem globalen Markt, was sie brauchen, und deshalb haben ihre eigenen Mitarbeiter keinen großen Wert für sie. Denn in Mitarbeiter zu investieren, ist teurer, als Arbeit zu kaufen. Also, deshalb hat meiner Meinung nach das System gegen "Craftsmanship" also Könnerschaft gearbeitet."

    Am Montag wurde Richard Sennett der Gerda-Henkel-Preis verliehen. Sennett, der einer der "bedeutenden geistigen Leitfiguren der Gegenwart" sei, hieß es in der Begründung, habe mit seinen Büchern immer wieder mühelos die "Fachgrenzen der geisteswissenschaftlichen Disziplinen" überschritten. Doch - das Überschreiten von Fachgrenzen überschreitet noch nicht die Grenze von der Theorie zur Praxis. Dem Soziologen, so nah er auch am Menschen forscht, bleibt nur die Analyse - und vielleicht noch der moralische Zeigefinger. Doch dies ist Sennett nicht genug. In den letzten Monaten engagierte er sich auch direkt politisch: als Wahlkämpfer für Barack Obama. Was erwartet Sennett von dem neuen amerikanischen Präsidenten?

    "Die jungen Leute wollen eine Politik des Konsenses, sie suchen Eintracht. Also, Eintracht ist nicht das Selbe wie ein sozialdemokratisches Programm, sondern es ist mehr in der Mitte. Also, Obama muss die Finanzkrise lösen, die Arbeitslosigkeit, die Fragen der medizinischen Versorgung. Das wird ihn nach links bewegen. Aber was die Menschen von ihm wollen, ist ein Wechsel in der politischen Praxis, in der Spaltung und Feindschaft nicht mehr die vorrangigen Modalitäten der Macht sind. Und er hat zum Beispiel in der Rassenfrage in diesem Geiste gehandelt. Er ist nicht voller Ärger, er ist niemand, der versucht, die Leiden der Afroamerikaner zu dramatisieren, was er einfach hätte tun können. Also es ist eine Politik des Wandels, nicht mehr Georg W. Bush, wo alle Menschen die zum Beispiel gegen den Irak-Krieg waren, als Verräter behandelt wurden. Und das ist das, was junge Menschen sich wünschen. Ich denke, er wird ein sehr guter Präsident sein."