1. Station: MENSA!
Mittags um eins auf dem Campus der Uni Malta. Die Sonne scheint, es sind über 20 Grad - und das im Spätherbst. Die meisten Gebäude hier sind rund um einen gepflasterten Platz angeordnet - ein klassischer Campus also, ein kleines Universum für sich, mit einer Menge arabischer Architektur. Die Gebäude sind würfelförmig, wie große weiße Bauklötze mit drei bis vier Stockwerken und Flachdach. Das ganze Gelände wird eingekreist von der Ring Road, einer ziemlich schmalen Straße, und die ist hemmungslos voll geparkt auf beiden Seiten. Auf dem Campus selbst stehen ein paar Bäume, umgeben von kleinen Bänken aus Stein - und überall sitzen Studenten und unterhalten sich. Ich gehe erstmal in die Mensa und will mehr erfahren über den Uni-Alltag. Hinter der Theke steht John Butigiegg, er ist hier der Manager und strahlt, weil er so stolz ist auf seine große Auswahl.
Wir haben alles, was Du dir vorstellen kannst, maltesische Käsetaschen, oder Teigtaschen mit Thunfisch und Spinat, wir haben vegetarische Gerichte, Hühnchen und Pommes, Pizza und Pasta - und natürlich Sandwichs und Salate.
Haben Sie mehr maltesische oder mehr internationale Gerichte?
Mehr internationale Küche, aber wir haben auch viele maltesische Gerichte, vor allem maltesisches Brot und die Pastizzi, unsere Teigtaschen - und wir sind ja auch international...
Alltag in der Mensa: An jedem Tisch sitzen drei oder vier Studenten - ich setze mich zu Alison, Andrew und Kirk. Alle drei sind 22 und aus Malta. Andrew und Kirk studieren Architektur, Alison macht einen Bachelor in Europäische Studien. Im Gespräch antworten mit einer Ausnahme nur Alison und Andrew - denn Kirk ist ziemlich schweigsam und nickt nur von Zeit zu Zeit. Wovon leben Studenten auf Malta, will ich wissen. Gibt es so etwas wie BAföG?
Alison Ja, wir kriegen 60 Pfund im Monat vom Staat, also 150 Euro und eine Karte, mit der wir umsonst Bücher kaufen können. Wir wohnen trotzdem fast alle zuhause - für das Geld, was übrig bleibt, kaufst Du dir ein Auto, das ist wichtiger als eine Wohnung.
Andrew Unsere Eltern unterstützen uns, du kannst nicht einfach tun, was Du willst, Gott sei Dank haben wir beim Geld unsere Eltern als Verstärkung, das brauchen wir schon...
Welche Rolle spielt die maltesische Sprache für Euch? Immerhin ist das hier ja eine englischsprachige Uni!
Andrew Das Maltesische? Das ist doch unsre Identität!
Alison Also die akademische Sprache ist Englisch, es sei denn Du studierst Maltesisch. Es wäre zu kompliziert, immer zu übersetzen, wir sprechen doch sowieso schon Englisch...
Ihr sagt, das Maltesische sei Eure Identität - was heißt es denn, auf dieser Insel zu leben?
Andrew Also, wir sind unabhängig, weißt Du. Wir haben das Glück, ein strategisch wichtiger Punkt im Mittelmeer zu sein, wir haben dadurch viele Vorteile, vor allem beim Wetter... Ich meine, wie soll ich das sagen... ich bin eben Malteser! Wir sind eine winzige Insel im Mittelmeer, ein kleiner Kieselstein auf der Weltkarte...
Was macht ihr in Eurer Freizeit, wie viel Zeit habt ihr für irgendwelche Hobbys?
Alison, lacht Ich schlafe, wenn ich kann... aber die Uni bietet auch viel Sport an, und ein Malteser ist sowieso gern draußen - und wenn nicht, dann sehe ich fern und hänge rum - und manchmal studiere ich auch...
Und was ist mit dem Nachtleben?
Andrew Das Beste ist die erste Woche im Semester, da ist auf dem Campus immer Party - und sonst gibt's ja auch immer noch Paceville...
Was ist Paceville?
Andrew Schon mal was von Ibiza gehört? Denen machen wir gerade Konkurrenz...
Alison Also das ist ein Viertel in St. Julian's, das Zentrum des Nachtlebens, mit Clubs und Bars, die spielen Dance, Hiphop, House, R&B... es ist alles an einem Ort, wenn Du einen Parkplatz findest, das Parken ist ein Alptraum, aber am Ende läufst Du dann doch nur 5 Minuten und bist überall...
Alison hat mittlerweile ihre etwas öligen Pommes aufgegessen. Andrew kaut noch auf einem Stück Pizza, Kirk hat bislang kaum mehr als gesagt als ja oder nein. Ob ihm etwas fehlt auf Malta, frage ich ihn - und wenn ja, was? Er antwortet ohne zu zögern:
Kirk Einfach das Reisen, ich würde gern mehr Architektur sehen und Landschaften - und am liebsten würde ich Rennstrecken anschauen, ich liebe Autos...
Und was willst Du nun werden?
Kirk In Malta hoffentlich ein guter Architekt, in meinen Träumen ein Rennfahrer - aber das wird natürlich nichts...
Willst Du ins Ausland gehen?
Kirk Hmmm, ich weiß noch nicht, erstmal mach ich das Studium fertig, dann entscheid ich...
Alison Ich wäre gerne näher am europäischen Festland. Ich hab da viele Freunde und die können immer rumreisen, mit dem Zug... das ist doch unfair, ICH muss immer fliegen oder das Schiff nehmen, das ist extrem teuer... wir sind hier schon so ein bisschen abgeschnitten...
Andrew Ich will auf jeden Fall ins Ausland gehen, aber ich muss mir hier erstmal einen Namen machen.... (ironisch:) na ja, ich meine, berühmt zu werden, das klingt doch nicht schlecht...
Und was sind Deine Träume?
Alison Ich würde gern Botschafterin oder so was werden, der diplomatische Dienst, das ist genau das Richtige für mich!
Dafür müsstest Du aber Deine Insel verlassen!
Alison Ja, aber es ist gut, auch mal raus zu kommen und den Horizont zu erweitern. manchmal fühlt man sich hier schon sehr eingeengt, fast klaustrophobisch - aber am Ende kommst du ja doch wieder zurück - jeder kommt eines Tages zurück!
2. Station: ZU GAST BEIM REKTOR
Und weiter geht unsere Reise durch die Welt der Universität von Malta, denn wir sind heute bei Campus und Karriere eine ganze Stunde lang zu Besuch auf der kleinen Insel im Mittelmeer. Schräg gegenüber von der Mensa liegt auf dem Campus das Administration Building. Dort - man kann es kaum anders nennen - ‚residiert' Dr. Roger Ellul-Micallef, der Rektor der Uni. Im zweiten Stock eine Glastür mit einer Klingel - direkt dahinter edles dunkles Parkett. Mister Ellul-Micallef erwartet mich in seinem Büro: Eine imposante Persönlichkeit mit einer bedeutungsschweren Stimme, in der eine Spur von Selbstgefälligkeit anklingt. Wir setzen uns auf eine hellbraune Ledercouch, in deren weiche Polster man ungefähr einen halben Meter tief einsinkt. Der Rektor tut, was ein Rektor tun muss: Er doziert. Lektion eins: Geschichte.
Die Universität von Malta reicht zurück bis ins Jahr 1592 - sie wurde damals als externes Jesuitenkolleg gegründet und wuchs und wuchs, bis die Franzosen kamen. Napoleon hatte bekanntlich diese Masche, dass er überall dort, wo er hinkam, die Unis geschlossen hat, also auch in Malta. Aber nur für zwei Jahre. Die Universität hier ist die älteste im Commonwealth außerhalb von Großbritannien und ich erinnere mich, als ich studierte, hieß sie noch "Königliche Universität von Malta". Aber nach der Unabhängigkeit von Großbritannien in den Sechziger Jahren verlor dieser Titel natürlich seinen Sinn, weil Malta eine Republik wurde...
10.000 Studenten und zehn Fakultäten hat sie, die Universität von Malta: Medizin, Jura, Theologie, Geisteswissenschaften.... und rund 20 Forschungsinstitute, zum Beispiel das Institut für mediterrane Studien, also Studien über den Mittelmeerraum. Eigentlich sind wir nur eine ganz normale europäische Uni, das spricht aus jedem Satz von Herr Ellul-Micallef. Und in punkto Europäisisierung der Studiengänge hat Malta in der Tat kein Problem. Lektion zwei: Britisches Erbe.
Diese Universität basiert auf der angelsächsischen Tradition, das gilt für die Inhalte ebenso wie für die Abschlüsse, also Bachelor und Master und so weiter. Wir haben keine Schwierigkeiten mit dem Bologna-Prozess und der europaweiten Angleichung der Studien. Die meisten Seminare sind auf Englisch, es ist also eine englischsprachige Universität.
Warum?
Nun, wir hatten über 200 Jahre lang die Briten hier, und was sie uns dagelassen haben, ist vor allem ihre Sprache als Verkehrssprache. Das zieht bis heute die Studierenden aus dem Ausland an, wir haben hier Studenten aus 80 verschiedenen Ländern.
Da fragt man sich natürlich: Wo bleibt das Maltesische? Es ist schließlich eine eigene Sprache, eine semitische Sprache, die ein bisschen dem Arabischen ähnelt, das in Tunesien gesprochen wird. Aber mit vielen englischen, französischen und italienischen Vokabeln. Also, Lektion drei: Spracherwerb.
Das Maltesische ist unsere Nationalsprache, die man auch normal studieren kann - aber wir sind eine kleine Insel und mussten immer mit anderen Staaten kommunizieren. Ich habe damals vier Sprachen gelernt, Maltesisch plus drei, heute ist das eine weniger, weil es auch Fächer wie Informatik gibt, aber viele Schüler und Studenten lernen trotzdem noch eine dritte Fremdsprache, und zwar privat.
Der Rektor und seine Universität. Immer wieder sagt er "my university" - und auch beim Thema Finanzen ist klar: Malta hat genau dieselben Probleme wie alle anderen Hochschulen in Europa. Lektion vier: Die Uni und der Arbeitsmarkt.
Viele Universitäten müssen damit leben, dass ihnen der Etat zusammengestrichen wird - auch wir hier in Malta. Die Gefahr besteht darin, dass wir ganz langsam in Richtung Markplatz geschubst werden. Dahinter steht die Frage: Kann der Markt allen Studenten mit Abschluss eine Beschäftigung bieten? In Deutschland gibt es ja erhebliche Probleme mit der Arbeitslosigkeit... Ich glaube, man muss zwar offen sein für den Dialog mit der Wirtschaft. Aber oft entsteht diese Supermarkt-Situation, dass man von uns verlangt: Ja, wir hätten gerne dies oder jenes Produkt, so als würde man ein spezielles Müsli bestellen. Die Universität läuft Gefahr, das Wichtigste zu verlieren, nämlich das, was sie eigentlich lehren soll: die Menschen zu befähigen, eigenständig zu denken.
Die Zeit ist um, und es ist gar nicht so leicht, aus dem tiefen, weichen Ledersofa aufzustehen. Etwas betulich, etwas väterlich war er, der Rektor der Uni Malta - und erst ganz am Schluss war er ein bisschen irritiert - und zwar bei der Frage nach der EU. Richard von Weizsäcker hatte einmal gesagt: Nicht Malta braucht Europa, Europa braucht Malta. Warum, frage ich zum Schluss Herrn Ellul-Micallef...
Keine Ahnung, aber er muss Malta sehr gut kennen, um das zu sagen...
Aber irgendeinen Beitrag sollte Malta doch leisten, oder?
Warum? Was hat denn Deutschland der EU gebracht?
Deutschland gibt vor allem einen Haufen Geld aus für die EU - und man kann den Eindruck gewinnen, dass Malta sich drückt und auf die Vorteile wartet.
Ja sicher, es gibt immer Vor- und Nachteile, wir müssen eben clever sein und das Beste draus machen. Wir können eine Brücke sein zwischen Europa und Nordafrika! Nachteile für Europa sehe ich da nicht, dafür ist Malta zu klein, wir sind ja kaum so groß wie eine mittlere deutsche Stadt...
Was wäre denn umgekehrt an Nachteilen für Malta zu erwarten?
Och, es gibt sicher ein paar Direktiven aus Brüssel, die nicht so gut sind für die kleinen Länder... aber da bin ich kein Experte...
Und was ist für ihre Uni zu erwarten?
Da gibt es keine Nachteile. Ich kann keine absehen.
Vielen Dank.
Ganz meinerseits...
3. Station: UNIRADIO MALTA: CAMPUS FM
Keine Uni ohne eigenen Radiosender: Mitten auf dem Campus, im zweiten Stock des Old Humanities Building, also bei den Geisteswissenschaften, sitzt das Team von Campus FM. Vicky Spiteri ist Direktorin, Station Manager, heißt das hier - und sie ist ebenso wie ihre beiden Redakteurinnen Daphne und Celaine fest angestellt. Campus FM, sagt Vicky, ist kein Uni-Radio wie alle anderen - denn wir haben eine doppelte Mission: Wir senden nicht nur Programme für die Studenten, sondern auch für den Rest der Insel, also für ganz Malta.
Das ist schon ein bisschen schizophren: Morgens haben wir viel Kultur und sehr intellektuelle Bildungsprogramme für alle - und nachmittags spielen wir lockere Musik ohne viel Gerede für die Studenten. Am Abend übernehmen wir das Programm der BBC.
In der Regie treffe ich Daphne Cassar, eine der beiden Redakteurinnen. Sie ist gerade auf dem Weg ins Studio, um die Kulturtipps des Tages vorzutragen, und zwar auf Maltesisch. Daphne ist gleich nach dem nächsten Werbespot dran.
Also ich sage natürlich erstmal hallo, dann kündige ich ein klassisches Konzert an, und ein Theaterstück, aber auch einen Computerkurs zum Beispiel - eben Sachen, die die Leute interessieren - und das war's dann auch schon und ich sage Tschüss...
Vor zwei Jahren haben wir neu angefangen mit dem Sender, davor war das schon ein ziemlich elitäres, vom Uni-Alltag abgekoppeltes Programm. Heute versuchen wir, die Qualität zu halten - und wieder mehr Draht zu den Studenten zu bekommen.
Die Chefin Vicky zählt auf: Talk-Sendungen, Fernkurse, Presseschau - das gehört zum Bildungsprogramm für die ganze Insel. Aber jeden Nachmittag ab 15 Uhr beginnt die so genannte Drive Time, die Radio-Zeit für Autofahrer - und bekanntlich fahren hier vier von fünf Studenten ein eigenes Auto. Am Mikrofon ist dann meistens Wesley, einer der DJs. Und anders als Daphne in der Kulturstrecke am Morgen, präsentiert er die Sendung Faculty of Fun von vorne bis hinten auf Englisch.
Ungefähr 20 Radiosender gibt es auf Malta, kein schlechter Schnitt bei knapp 400.000 Einwohnern. Campus FM steht in Konkurrenz zu fast allen: Bei den Musikstrecken hat Bay Radio die Nase vorn, bei den Kulturstrecken der Staatssender Radio Malta. Sogar die beiden großen Parteien, Labour und Nationalisten, haben hier eigene Funkhäuser, ebenso die Katholische Kirche - und irgendwo dazwischen, auf 103, 7, sendet Campus FM.
Beim Rundgang durch die Büros und Studios zeigt Vicky mir auch den Übertragungsraum, ein großer Schrank mit vielen blinkenden Geräte. Von hier geht das Signal raus zum Funkturm, erklärt sie. Und dann frage ich, wie viele Leute eigentlich den Sender hören.
Here is all our technique and there we transmit our signal to the tower!
How many people listen to Campus FM?
Ooohh...maybe a thousand...
1.000 Hörer - das ist selbst bei nur 400.000 Einwohnern nicht gerade viel. Und fragt man nach auf dem Campus, bekommt man auch fast immer die gleiche Antwort: Nein, hören wir nicht, langweilig, komisches Programm. Ein Uni-Radio ohne Studenten? Nicht ganz, denn für viele auf dem Campus ist der Sender sehr nützlich.
Wir arbeiten hier viel mit Studenten, aus verschiedenen Fakultäten. Viele müssen praxisbezogene Scheine machen, so wie die Kommunikationswissenschaftler. Die verfassen zum Beispiel eine Presseschau - und dann kommen sie zu uns, wir erklären ihnen alles - und am Ende gehen sie für ein paar Minuten live auf Sendung - und haben ihren Schein.
Und noch ein Detail zum Schluss: Campus FM ist sozusagen auch ein politisch korrekter Sender. Für unsere Gleichstellungspolitik, sagt Vicky, haben wir sogar schon einen Preis gewonnen. Im Programm hat das sehr konkrete Auswirkungen:
Also viele männliche DJs neigen dazu, sexistisch über Frauen zu reden. Immer wenn ich was in der Art höre, gehe ich direkt ins Studio und sage: Hey, Du kannst nicht Chicks oder Schnecken oder so was sagen. Unsere Hauspolitik spricht da eine klare Sprache: Wer sich nicht dran hält, ist weg vom Mikro!
4. Station: HOCHSCHULPOLITIK MIT ‚PULSE' UND ‚SDM'
Sie hören Campus und Karriere im Deutschlandfunk - heute sind wir für unsere Europa-Serie Zehn Plus eine Stunde lang unterwegs auf der Insel Malta:
Hello, I am David Zahra/Hello I am André Borg...
David Zahra und André Borg sind beide 20, studieren Jura - und sind die Vorsitzenden von zwei Hochschulgruppen auf Malta: David bei SDM, den Christdemokraten und André bei Pulse, den Sozialdemokraten. Wir sitzen an einem großen rechteckigen Tisch, der grün bezogen ist wie ein Spieltisch - und als erstes betonen David und André, eigentlich seien sie ja Freunde und würden gut zusammenarbeiten. Ich frage André, den Sozialdemokraten, nach dem Studentenrat, so etwas wie bei uns der ASTA - und schon zeigen sich die ersten Risse in der vermeintlichen Freundschaft... André ist ziemlich verbittert.
Der Studentenrat war immer schon in der Hand der Christdemokraten - darum haben wir Pulse gegründet vor sechs Jahren. Die meisten Studenten auf dem Campus denken christdemokratisch, das stimmt schon - aber das Wahlsystem macht es den Linken auch nicht leicht: Selbst wenn du 40 Prozent der Stimmen hast, so wie Pulse, hast Du keinen Vertreter im Rat! Darum gab es hier immer wieder Streit...
André, der Sozialdemokrat, erzählt - und David, der Christdemokrat schaut genervt, bemüht sich aber, diplomatisch zu bleiben. Man spürt deutlich: Das, was er nun sagen wird, hat er bestimmt schon 30mal erklärt.
Der Studentenrat ist eben kein Parlament, er ist eine Exekutive! Er repräsentiert die Studenten und setzt die Entscheidungen der Kommissionen um - und in den Kommissionen hat jede Organisation eine eigene Stimme: SDM hat eine Stimme, Pulse hat eine, und alle anderen haben auch eine!
Unipolitik auf Malta: Die Studenten-Vertretung mit ihren Kommissionen und dem Rat als eine Art Kabinett ist unabhängig und die erste Anlaufstelle für Studenten - eben so wie ein ASTA. Der 12-köpfige Rat wird jedes Jahr von allen Studenten neu gewählt - und 2002, erzählen André und David, gab es viel böses Blut, eine richtige Schlammschlacht zwischen Pulse und SDM. Dieses Jahr war dann die EU das Thema. SDM, die Christdemokraten, waren für den Beitritt. Darum haben sie im März bei den Wahlen ein großes Bündnis aufgestellt, mit fast allen Uni-Organisationen, auch den nicht-politischen.
Wir alle hatten zwei Ziele: Die Arbeit im Studentenrat erfolgreich fortzusetzen und die EU-Mitgliedschaft zu erreichen. Diese beiden Punkte haben uns zusammengebracht und so haben insgesamt 19 Organisationen eine einzige Kandidatenliste unterstützt - und wir haben uns durchgesetzt.
Allein, Pulse war nicht dabei in dieser Großen Koalition. Nein, nein, beteuert André, für uns kam es nie in Frage, da mitzumachen. Wir mussten allein antreten.
Pulse was never approached, to join this coalition. We had to contest on our own.
Was heißt das: Habt ihr nie gefragt - oder wurdet ihr nie gefragt?
Beides....
David Zahra: Wir haben Pulse nicht gefragt, denn sie kritisieren unsere Politik schon seit vielen Jahren - und: Sie sind gegen einen Beitritt zur EU! Am Ende gab es dann gar keine echte Wahl, denn Pulse hat den Gegenkandidaten zurückgezogen.
Es stimmt tatsächlich, so überraschend es klingt: Die Sozialdemokraten an der Uni Malta waren lange Zeit gegen die EU - ganz so wie die linke Labour-Partei auf Landesebene. Wie kann das sein, dass ein Sozialdemokrat gegen die EU ist?
Ja, es stimmt zwar, dass die meisten Sozialdemokraten in Europa dafür sind - aber wir waren ja auch nur gegen eine volle Mitgliedschaft! Die Malteser wussten einfach nicht genug über die Folgen eines Beitritts - zum Beispiel, was den Arbeitsmarkt betrifft.
Das heißt: die Angst davor, dass Arbeiter aus anderen EU-Ländern kommen und den Maltesern die Jobs wegnehmen?
Ganz genau, das stimmt. Wir sind eine kleine Insel - selbst wenn nur wenige kommen, hätte das schlimme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Nun haben die Malteser bekanntlich im Frühjahr mit knapper Mehrheit für einen Beitritt gestimmt - sehr zum Ärger der Linken im Land. Aber Pulse hat seither eine Kehrtwende vollzogen und ist auf die europäische Linie eingeschwenkt. Die sozialdemokratischen Studenten haben inzwischen sogar einen Preis der EU-Kommission gewonnen. Für den Christdemokraten David Zahra nur ein weiterer Beweis dafür, dass man auch als Linker keine Angst vor Europa haben muss:
Kaum zu glauben, was André erzählt! Ich meine, da gewinnt seine Organisation einen europäischen Preis und behauptet sich damit gegen die anderen Länder - und gleichzeitig sagt er: Malta ist zu klein, um in der EU mitzuhalten: Das ist doch paradox!
Am Ende mischt sich Christine ein, die Freundin von André, dem Sozialdemokraten. Wütend haut sie auf den Tisch und bringt das Dilemma der gesamten Linken auf Malta inklusive Pulse auf den Punkt: Es sei einfach sinnlos, jetzt noch zu behaupten: Die EU ist nicht gut für uns.
It is all useless being against EU! We are going there now! We are going in that direction! Therefore, we might also agree and get the best out of it!
Malta geht in diese Richtung, nach Europa - so oder so, schimpft Christine. Also machen wir eben das Beste draus. Studentenpolitik auf Malta - Fazit :Die Christdemokraten sind für die EU und haben die Mehrheit - die Sozialdemokraten waren lange gegen die EU und wollen auch mal die Wahlen gewinnen. Im nächsten März ist es wieder soweit - und dieses Mal, sagt André, haben wir eine Chance. In Davids Augen dagegen ist klar und deutlich zu lesen: Versucht es ruhig, aber macht euch keine allzu großen Hoffnungen...
5. Station: Deutsche auf Malta: ‚PJ' IM HOSPITAL
Morgens um kurz vor acht im St. Luke's Hospital. Das große Krankenhaus liegt auf einem Hügel in der Nähe von La Valletta, der Hauptstadt von Malta. Der ganze Komplex sieht aus wie eine Festung, eine eigene kompakte Stadt aus dunkelgelbem Sandstein mit grün gestrichenen Fensterrahmen und einem rauchenden Schornstein. Am Tor wartet Sabine Nansen* aus Tübingen. Sie ist 27, studiert Medizin und ist im PJ, im Praktischen Jahr. Acht Wochen davon verbringt sie auf Malta.
Also das hier ist der Eingang, und dann zweigen da die Stationen ab, wir gehen auf die Chirurgie.
Wie groß sind die Zimmer?
Es gibt keine Zimmer, das ist ein bisschen ungewöhnlich... es gibt so Flure, Säle, mit Trennwänden....
Die Station MS 1, Männerchirurgie, liegt im dritten Stock. Ein langer Flur, an der Decke drehen sich Ventilatoren, auf einem Tisch am Kopfende steht eine kleine Heiligenfigur, davor brennen drei Kerzen. Von dem Flur zweigen tatsächlich mehrere große Säle ab - und darin gibt es keine Zimmer, sondern kleine Einzelkabinen wie beim Hausarzt. Vor jeder hängt ein geblümter Vorhang in rosa. Es zieht.
Es ist alles ziemlich ungeordnet. Ich finde es schon komisch, dass es hier keine Klimaanlage gibt, in der Chirurgie, und die Fenster sind auf, da fliegen Tiere rein oder Taubenfedern...
Wir warten auf die Visite - heute gibt es zwei davon. Erster Rundgang mit dem Senior House Officer, dem Assistenzarzt auf der Station, danach ein zweiter Rundgang mit dem Chefarzt, dem Consultant. Sabine Nansen* erzählt von ihrem Wohnheim auf Malta.
Ich war am Anfang schon geschockt. Ich hatte nicht damit gerechnet, im Zweierzimmer zu wohnen, die Betten sind total schmal, die Sprungfedern kommen durch, und da laufen so kleine Tierchen rum, aber bis jetzt keine Kakerlaken...
Ich habe immer Angst davor, Skorbut zu kriegen, meint sie halbernst, wir essen ganz oft Toast mit Scheibletten-Käse, Obst und Gemüse sind einfach zu teuer. Nein, viel Kontakt zu Maltesern habe sie leider nicht, im Wohnheim seien fast nur ausländische Studenten. Dann beginnen die Visiten. Sabine Nansen* läuft zwar mit im Tross der Ärzte - aber die meiste Zeit steht sie schweigend daneben. Man spürt es deutlich: Sie ist nicht besonders glücklich mit ihrer Arbeit in der Klinik hier.
Die reden nicht miteinander. Nach der OP sagt keiner, die OP ist vorbei, die gehen dann einfach. Es wird einfach nicht genug geredet.
Vielleicht haben sie hier ein anderes Verständnis von Studentenbetreuung?
Schon. Ich denk mal, die wollen mir sicher nichts Böses, aber die maltesischen Studenten haben hier auch nicht so viel zu tun...
Der Chefarzt spricht deutsch. Er trägt keinen weißen Kittel, sondern Zivil - und zwar ein hellbraunes kurzärmeliges Hemd. Nach der Visite bleibt Susanne noch auf der Station, und der Chefarzt winkt mich in sein Büro. Kaum ist die Tür zu, macht er sich als erstes eine Zigarette an.
Ich bin Anthony Zammit, und ich habe hier studiert, und dann zwei Jahre hier gearbeitet...
...und er spricht so gut Deutsch, weil er zehn Jahre lang in Düsseldorf war, an der Uniklinik. Dort hat er seinen Facharzt gemacht - und ist Mitte der Achtziger Jahre nach Malta zurückgekommen.
Wir haben zuviel Krebs hier. Ich behandle viel zu viel Schilddrüsenkarzinom, da ist Malta glaube ich an zweiter Stelle in Europa, es gibt hier wirklich viele Karzinome...
Meine Studenten dürfen auch Verantwortung übernehmen, sagt Doktor Zammit, es gab sogar eine Zeit, da habe ich fast nur mit Studenten operiert.
Ich habe eine gute Beziehung zu meinen Studenten. Die dürfen durchaus mitreden, kein Problem. Wir sind eine Mannschaft, und die Studenten gehören dazu!
Das sieht Sabine Nansen* ganz anders. Nach dem Besuch beim Chefarzt treffe ich sie vorm Haupteingang wieder. Die Visiten sind um, ihr Arbeitstag ist damit vorbei, und es ist gerade mal halb elf. Susanne kann nicht fassen, dass der Chefarzt eben gesagt hat, er habe eine gute Beziehung zu den Studierenden.
Es gibt keine Beziehung. Es gibt einfach keine. Wir reden ja nicht miteinander...
Fazit: Die acht Wochen auf Malta haben sich für Sabine Nansen* beruflich nicht gelohnt. In guter Erinnerung aber wird sie die Leute aus dem Wohnheim behalten - mit denen habe sie dann doch viel Spaß gehabt. Und, meint sie, auch die Malteser auf der Straße hätten ihr regelmäßig ganz dezent gezeigt, was sie so von der schlanken blonden Frau aus Deutschland halten.
Es wird viel gehupt hier! In der Straße, die hupen fast alle... erst hat's genervt, aber man gewöhnt sich dann. Und wenn man ausgeht, hängen sie einem auch nicht so an der Backe, die sind dann eher charmant, echt charmant...
6. Station: REISE IN DEN MITTELPUNKT DER INSEL
Dieser Ort gehört eigentlich weniger auf den Campus als in einen Krimi: Von dem alten Haus stehen nur noch die Mauern, die Baustelle ist mit Gittern abgesichert und weiße, zerfetzte Plastik-Planen wehen im Wind. Vier Studenten sitzen auf dem Erdboden mit Schaufel, Handfeger oder Maurerkelle. Alle tragen Schlabberklamotten und buddeln, fegen oder kratzen, und zwar freiwillig, denn das hier ist kein offizielles Seminar der Uni Malta.
Wir haben hier eine kreisförmige Struktur entdeckt, vielleicht einen alten Trog aus Stein - und wo ich sitze, ist dieser Kreis später mit Erde aufgefüllt worden. Wir legen das frei - aber wir stehen noch ganz am Anfang damit...
Bernadette Mercieca ist 20 und macht ihren Bachelor in Archäologie. Neben ihr auf dem Boden steht eine viereckige Plastikwanne - die ersten Fundstücke. Im Augenblick liegen 20 Teile darin, die aussehen wie Splitter von Dachschindeln.
Wir sammeln hier vor allem Keramik, Ton-Scherben von Getöpfertem und so was...
Sind da auch antike Stücke dabei?
Eher Stücke von heute, wir sind eben noch in einer der oberen Schichten, da mischt sich das moderne mit dem alten, das ist alles noch ein bisschen konfus...
Sie habe schon mit 11 oder 12 Jahren gewusst, was sie studieren wolle, sagt Bernadette sagt - und schuld daran seien nicht ihre Eltern.
"Das ist alles wegen Malta so gekommen! Diese Insel ist so reich an Geschichte... Ich glaube, ich wollte mein Leben lang Archäologie studieren. Ich hab mich immer schon sehr für unsere Vergangenheit interessiert - und jetzt entdecke ich sie eben selbst!
Wir arbeiten hier in einem der alten Viertel der früheren Hauptstadt von Malta - in der Antike hieß dieser Ort Melita und wurde auch von den Griechen und Römern erwähnt. Sie finden hier viele Spuren der Stadtgeschichte, von der Bronze-Zeit über das Mittelalter bis heute.
Der Mann mit dem üppigen Bart und der Brille ist Nathaniel Cutajar von der so genannten "Superintendenz für kulturelles Erbe auf Malta". Ihm ist die freiwillige Hilfe der Studenten sehr willkommen - denn die Arbeit hier ist ziemlich mühsam und langwierig. Aber gerade darum bin ich hier, meint Bernadette. Malta braucht eigene Archäologen, die sich um die Insel kümmern und sie nicht verlassen.
It is important for us to have maltese archeologists who look a bit after our island...
Gemütlich ist das ganze nicht gerade: Durch die Löcher in der Mauer braust der Wind und treibt einem Sand in die Augen. Alle sind mehr oder weniger von einer Schlammschicht bedeckt - mit meiner sauberen Hose falle ich hier eindeutig aus der Reihe. Nathaniel geht die ganze Zeit hin und her, von einem Studenten zum anderen. Er erklärt, korrigiert - und greift immer wieder auch selbst zum Werkzeug.
Die meisten hier machen einen Bachelor, und dann gehen sie ins Ausland - das ist auch wichtig, damit wir immer die neuesten Standards und Techniken vom europäischen Festland mitbekommen. Darum gehen viele nach Italien oder Großbritannien.
Sie werde vielleicht auch für eine Weile weggehen, meint Bernadette. Danach wolle sie aber auf jeden Fall wiederkommen und auf der Insel arbeiten. Was sie eigentlich als angehende Archäologin vom Tourismus hält, frage ich dann. Immerhin kommen jedes Jahr mehr als 1,2 Millionen Menschen nach Malta: Ist das eine Gefahr für das kulturelle Erbe der Insel?
Nein, finde ich nicht. Wir Archäologen müssen doch gerade die Menschen anziehen und ihnen unser Land und unsere Geschichte erklären
Aber es kommen so dermaßen viele - und manche sind ziemlich respektlos...
Ja, stimmt schon, und die klettern dann auf den Tempeln rum... - aber am Ende ist der Tourismus gerade in Malta ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, den wir brauchen...
Mittlerweile sind Wolken aufgezogen, vielleicht wird es nachher noch Regen geben... Nathaniel wird ungeduldig... Keine Fragen mehr jetzt, sagt er, wir müssen wirklich noch was schaffen heute... Und während ich das Mikrofon einpacke, graben sie weiter in der maltesischen Vergangenheit, die vier Studenten und ihr bärtiger Lehrmeister.
Jede Ausgrabungsstätte ist anders, jede hat ihre eigene Schichten, und Du kriegst viele verschiedene Böden in die Hand - auf Dauer bekommst Du ein Gefühl dafür....
Also machen Sie hier eigentlich eine Reise durch die Geschichte von Malta?
Genau, und nur so lernt man diesen Job...
Andrew Das Maltesische? Das ist doch unsre Identität!
Alison Also die akademische Sprache ist Englisch, es sei denn Du studierst Maltesisch. Es wäre zu kompliziert, immer zu übersetzen, wir sprechen doch sowieso schon Englisch...
Ihr sagt, das Maltesische sei Eure Identität - was heißt es denn, auf dieser Insel zu leben?
Andrew Also, wir sind unabhängig, weißt Du. Wir haben das Glück, ein strategisch wichtiger Punkt im Mittelmeer zu sein, wir haben dadurch viele Vorteile, vor allem beim Wetter... Ich meine, wie soll ich das sagen... ich bin eben Malteser! Wir sind eine winzige Insel im Mittelmeer, ein kleiner Kieselstein auf der Weltkarte...
Was macht ihr in Eurer Freizeit, wie viel Zeit habt ihr für irgendwelche Hobbys?
Alison, lacht Ich schlafe, wenn ich kann... aber die Uni bietet auch viel Sport an, und ein Malteser ist sowieso gern draußen - und wenn nicht, dann sehe ich fern und hänge rum - und manchmal studiere ich auch...
Und was ist mit dem Nachtleben?
Andrew Das Beste ist die erste Woche im Semester, da ist auf dem Campus immer Party - und sonst gibt's ja auch immer noch Paceville...
Was ist Paceville?
Andrew Schon mal was von Ibiza gehört? Denen machen wir gerade Konkurrenz...
Alison Also das ist ein Viertel in St. Julian's, das Zentrum des Nachtlebens, mit Clubs und Bars, die spielen Dance, Hiphop, House, R&B... es ist alles an einem Ort, wenn Du einen Parkplatz findest, das Parken ist ein Alptraum, aber am Ende läufst Du dann doch nur 5 Minuten und bist überall...
Alison hat mittlerweile ihre etwas öligen Pommes aufgegessen. Andrew kaut noch auf einem Stück Pizza, Kirk hat bislang kaum mehr als gesagt als ja oder nein. Ob ihm etwas fehlt auf Malta, frage ich ihn - und wenn ja, was? Er antwortet ohne zu zögern:
Kirk Einfach das Reisen, ich würde gern mehr Architektur sehen und Landschaften - und am liebsten würde ich Rennstrecken anschauen, ich liebe Autos...
Und was willst Du nun werden?
Kirk In Malta hoffentlich ein guter Architekt, in meinen Träumen ein Rennfahrer - aber das wird natürlich nichts...
Willst Du ins Ausland gehen?
Kirk Hmmm, ich weiß noch nicht, erstmal mach ich das Studium fertig, dann entscheid ich...
Alison Ich wäre gerne näher am europäischen Festland. Ich hab da viele Freunde und die können immer rumreisen, mit dem Zug... das ist doch unfair, ICH muss immer fliegen oder das Schiff nehmen, das ist extrem teuer... wir sind hier schon so ein bisschen abgeschnitten...
Andrew Ich will auf jeden Fall ins Ausland gehen, aber ich muss mir hier erstmal einen Namen machen.... (ironisch:) na ja, ich meine, berühmt zu werden, das klingt doch nicht schlecht...
Und was sind Deine Träume?
Alison Ich würde gern Botschafterin oder so was werden, der diplomatische Dienst, das ist genau das Richtige für mich!
Dafür müsstest Du aber Deine Insel verlassen!
Alison Ja, aber es ist gut, auch mal raus zu kommen und den Horizont zu erweitern. manchmal fühlt man sich hier schon sehr eingeengt, fast klaustrophobisch - aber am Ende kommst du ja doch wieder zurück - jeder kommt eines Tages zurück!
2. Station: ZU GAST BEIM REKTOR
Und weiter geht unsere Reise durch die Welt der Universität von Malta, denn wir sind heute bei Campus und Karriere eine ganze Stunde lang zu Besuch auf der kleinen Insel im Mittelmeer. Schräg gegenüber von der Mensa liegt auf dem Campus das Administration Building. Dort - man kann es kaum anders nennen - ‚residiert' Dr. Roger Ellul-Micallef, der Rektor der Uni. Im zweiten Stock eine Glastür mit einer Klingel - direkt dahinter edles dunkles Parkett. Mister Ellul-Micallef erwartet mich in seinem Büro: Eine imposante Persönlichkeit mit einer bedeutungsschweren Stimme, in der eine Spur von Selbstgefälligkeit anklingt. Wir setzen uns auf eine hellbraune Ledercouch, in deren weiche Polster man ungefähr einen halben Meter tief einsinkt. Der Rektor tut, was ein Rektor tun muss: Er doziert. Lektion eins: Geschichte.
Die Universität von Malta reicht zurück bis ins Jahr 1592 - sie wurde damals als externes Jesuitenkolleg gegründet und wuchs und wuchs, bis die Franzosen kamen. Napoleon hatte bekanntlich diese Masche, dass er überall dort, wo er hinkam, die Unis geschlossen hat, also auch in Malta. Aber nur für zwei Jahre. Die Universität hier ist die älteste im Commonwealth außerhalb von Großbritannien und ich erinnere mich, als ich studierte, hieß sie noch "Königliche Universität von Malta". Aber nach der Unabhängigkeit von Großbritannien in den Sechziger Jahren verlor dieser Titel natürlich seinen Sinn, weil Malta eine Republik wurde...
10.000 Studenten und zehn Fakultäten hat sie, die Universität von Malta: Medizin, Jura, Theologie, Geisteswissenschaften.... und rund 20 Forschungsinstitute, zum Beispiel das Institut für mediterrane Studien, also Studien über den Mittelmeerraum. Eigentlich sind wir nur eine ganz normale europäische Uni, das spricht aus jedem Satz von Herr Ellul-Micallef. Und in punkto Europäisisierung der Studiengänge hat Malta in der Tat kein Problem. Lektion zwei: Britisches Erbe.
Diese Universität basiert auf der angelsächsischen Tradition, das gilt für die Inhalte ebenso wie für die Abschlüsse, also Bachelor und Master und so weiter. Wir haben keine Schwierigkeiten mit dem Bologna-Prozess und der europaweiten Angleichung der Studien. Die meisten Seminare sind auf Englisch, es ist also eine englischsprachige Universität.
Warum?
Nun, wir hatten über 200 Jahre lang die Briten hier, und was sie uns dagelassen haben, ist vor allem ihre Sprache als Verkehrssprache. Das zieht bis heute die Studierenden aus dem Ausland an, wir haben hier Studenten aus 80 verschiedenen Ländern.
Da fragt man sich natürlich: Wo bleibt das Maltesische? Es ist schließlich eine eigene Sprache, eine semitische Sprache, die ein bisschen dem Arabischen ähnelt, das in Tunesien gesprochen wird. Aber mit vielen englischen, französischen und italienischen Vokabeln. Also, Lektion drei: Spracherwerb.
Das Maltesische ist unsere Nationalsprache, die man auch normal studieren kann - aber wir sind eine kleine Insel und mussten immer mit anderen Staaten kommunizieren. Ich habe damals vier Sprachen gelernt, Maltesisch plus drei, heute ist das eine weniger, weil es auch Fächer wie Informatik gibt, aber viele Schüler und Studenten lernen trotzdem noch eine dritte Fremdsprache, und zwar privat.
Der Rektor und seine Universität. Immer wieder sagt er "my university" - und auch beim Thema Finanzen ist klar: Malta hat genau dieselben Probleme wie alle anderen Hochschulen in Europa. Lektion vier: Die Uni und der Arbeitsmarkt.
Viele Universitäten müssen damit leben, dass ihnen der Etat zusammengestrichen wird - auch wir hier in Malta. Die Gefahr besteht darin, dass wir ganz langsam in Richtung Markplatz geschubst werden. Dahinter steht die Frage: Kann der Markt allen Studenten mit Abschluss eine Beschäftigung bieten? In Deutschland gibt es ja erhebliche Probleme mit der Arbeitslosigkeit... Ich glaube, man muss zwar offen sein für den Dialog mit der Wirtschaft. Aber oft entsteht diese Supermarkt-Situation, dass man von uns verlangt: Ja, wir hätten gerne dies oder jenes Produkt, so als würde man ein spezielles Müsli bestellen. Die Universität läuft Gefahr, das Wichtigste zu verlieren, nämlich das, was sie eigentlich lehren soll: die Menschen zu befähigen, eigenständig zu denken.
Die Zeit ist um, und es ist gar nicht so leicht, aus dem tiefen, weichen Ledersofa aufzustehen. Etwas betulich, etwas väterlich war er, der Rektor der Uni Malta - und erst ganz am Schluss war er ein bisschen irritiert - und zwar bei der Frage nach der EU. Richard von Weizsäcker hatte einmal gesagt: Nicht Malta braucht Europa, Europa braucht Malta. Warum, frage ich zum Schluss Herrn Ellul-Micallef...
Keine Ahnung, aber er muss Malta sehr gut kennen, um das zu sagen...
Aber irgendeinen Beitrag sollte Malta doch leisten, oder?
Warum? Was hat denn Deutschland der EU gebracht?
Deutschland gibt vor allem einen Haufen Geld aus für die EU - und man kann den Eindruck gewinnen, dass Malta sich drückt und auf die Vorteile wartet.
Ja sicher, es gibt immer Vor- und Nachteile, wir müssen eben clever sein und das Beste draus machen. Wir können eine Brücke sein zwischen Europa und Nordafrika! Nachteile für Europa sehe ich da nicht, dafür ist Malta zu klein, wir sind ja kaum so groß wie eine mittlere deutsche Stadt...
Was wäre denn umgekehrt an Nachteilen für Malta zu erwarten?
Och, es gibt sicher ein paar Direktiven aus Brüssel, die nicht so gut sind für die kleinen Länder... aber da bin ich kein Experte...
Und was ist für ihre Uni zu erwarten?
Da gibt es keine Nachteile. Ich kann keine absehen.
Vielen Dank.
Ganz meinerseits...
3. Station: UNIRADIO MALTA: CAMPUS FM
Keine Uni ohne eigenen Radiosender: Mitten auf dem Campus, im zweiten Stock des Old Humanities Building, also bei den Geisteswissenschaften, sitzt das Team von Campus FM. Vicky Spiteri ist Direktorin, Station Manager, heißt das hier - und sie ist ebenso wie ihre beiden Redakteurinnen Daphne und Celaine fest angestellt. Campus FM, sagt Vicky, ist kein Uni-Radio wie alle anderen - denn wir haben eine doppelte Mission: Wir senden nicht nur Programme für die Studenten, sondern auch für den Rest der Insel, also für ganz Malta.
Das ist schon ein bisschen schizophren: Morgens haben wir viel Kultur und sehr intellektuelle Bildungsprogramme für alle - und nachmittags spielen wir lockere Musik ohne viel Gerede für die Studenten. Am Abend übernehmen wir das Programm der BBC.
In der Regie treffe ich Daphne Cassar, eine der beiden Redakteurinnen. Sie ist gerade auf dem Weg ins Studio, um die Kulturtipps des Tages vorzutragen, und zwar auf Maltesisch. Daphne ist gleich nach dem nächsten Werbespot dran.
Also ich sage natürlich erstmal hallo, dann kündige ich ein klassisches Konzert an, und ein Theaterstück, aber auch einen Computerkurs zum Beispiel - eben Sachen, die die Leute interessieren - und das war's dann auch schon und ich sage Tschüss...
Vor zwei Jahren haben wir neu angefangen mit dem Sender, davor war das schon ein ziemlich elitäres, vom Uni-Alltag abgekoppeltes Programm. Heute versuchen wir, die Qualität zu halten - und wieder mehr Draht zu den Studenten zu bekommen.
Die Chefin Vicky zählt auf: Talk-Sendungen, Fernkurse, Presseschau - das gehört zum Bildungsprogramm für die ganze Insel. Aber jeden Nachmittag ab 15 Uhr beginnt die so genannte Drive Time, die Radio-Zeit für Autofahrer - und bekanntlich fahren hier vier von fünf Studenten ein eigenes Auto. Am Mikrofon ist dann meistens Wesley, einer der DJs. Und anders als Daphne in der Kulturstrecke am Morgen, präsentiert er die Sendung Faculty of Fun von vorne bis hinten auf Englisch.
Ungefähr 20 Radiosender gibt es auf Malta, kein schlechter Schnitt bei knapp 400.000 Einwohnern. Campus FM steht in Konkurrenz zu fast allen: Bei den Musikstrecken hat Bay Radio die Nase vorn, bei den Kulturstrecken der Staatssender Radio Malta. Sogar die beiden großen Parteien, Labour und Nationalisten, haben hier eigene Funkhäuser, ebenso die Katholische Kirche - und irgendwo dazwischen, auf 103, 7, sendet Campus FM.
Beim Rundgang durch die Büros und Studios zeigt Vicky mir auch den Übertragungsraum, ein großer Schrank mit vielen blinkenden Geräte. Von hier geht das Signal raus zum Funkturm, erklärt sie. Und dann frage ich, wie viele Leute eigentlich den Sender hören.
Here is all our technique and there we transmit our signal to the tower!
How many people listen to Campus FM?
Ooohh...maybe a thousand...
1.000 Hörer - das ist selbst bei nur 400.000 Einwohnern nicht gerade viel. Und fragt man nach auf dem Campus, bekommt man auch fast immer die gleiche Antwort: Nein, hören wir nicht, langweilig, komisches Programm. Ein Uni-Radio ohne Studenten? Nicht ganz, denn für viele auf dem Campus ist der Sender sehr nützlich.
Wir arbeiten hier viel mit Studenten, aus verschiedenen Fakultäten. Viele müssen praxisbezogene Scheine machen, so wie die Kommunikationswissenschaftler. Die verfassen zum Beispiel eine Presseschau - und dann kommen sie zu uns, wir erklären ihnen alles - und am Ende gehen sie für ein paar Minuten live auf Sendung - und haben ihren Schein.
Und noch ein Detail zum Schluss: Campus FM ist sozusagen auch ein politisch korrekter Sender. Für unsere Gleichstellungspolitik, sagt Vicky, haben wir sogar schon einen Preis gewonnen. Im Programm hat das sehr konkrete Auswirkungen:
Also viele männliche DJs neigen dazu, sexistisch über Frauen zu reden. Immer wenn ich was in der Art höre, gehe ich direkt ins Studio und sage: Hey, Du kannst nicht Chicks oder Schnecken oder so was sagen. Unsere Hauspolitik spricht da eine klare Sprache: Wer sich nicht dran hält, ist weg vom Mikro!
4. Station: HOCHSCHULPOLITIK MIT ‚PULSE' UND ‚SDM'
Sie hören Campus und Karriere im Deutschlandfunk - heute sind wir für unsere Europa-Serie Zehn Plus eine Stunde lang unterwegs auf der Insel Malta:
Hello, I am David Zahra/Hello I am André Borg...
David Zahra und André Borg sind beide 20, studieren Jura - und sind die Vorsitzenden von zwei Hochschulgruppen auf Malta: David bei SDM, den Christdemokraten und André bei Pulse, den Sozialdemokraten. Wir sitzen an einem großen rechteckigen Tisch, der grün bezogen ist wie ein Spieltisch - und als erstes betonen David und André, eigentlich seien sie ja Freunde und würden gut zusammenarbeiten. Ich frage André, den Sozialdemokraten, nach dem Studentenrat, so etwas wie bei uns der ASTA - und schon zeigen sich die ersten Risse in der vermeintlichen Freundschaft... André ist ziemlich verbittert.
Der Studentenrat war immer schon in der Hand der Christdemokraten - darum haben wir Pulse gegründet vor sechs Jahren. Die meisten Studenten auf dem Campus denken christdemokratisch, das stimmt schon - aber das Wahlsystem macht es den Linken auch nicht leicht: Selbst wenn du 40 Prozent der Stimmen hast, so wie Pulse, hast Du keinen Vertreter im Rat! Darum gab es hier immer wieder Streit...
André, der Sozialdemokrat, erzählt - und David, der Christdemokrat schaut genervt, bemüht sich aber, diplomatisch zu bleiben. Man spürt deutlich: Das, was er nun sagen wird, hat er bestimmt schon 30mal erklärt.
Der Studentenrat ist eben kein Parlament, er ist eine Exekutive! Er repräsentiert die Studenten und setzt die Entscheidungen der Kommissionen um - und in den Kommissionen hat jede Organisation eine eigene Stimme: SDM hat eine Stimme, Pulse hat eine, und alle anderen haben auch eine!
Unipolitik auf Malta: Die Studenten-Vertretung mit ihren Kommissionen und dem Rat als eine Art Kabinett ist unabhängig und die erste Anlaufstelle für Studenten - eben so wie ein ASTA. Der 12-köpfige Rat wird jedes Jahr von allen Studenten neu gewählt - und 2002, erzählen André und David, gab es viel böses Blut, eine richtige Schlammschlacht zwischen Pulse und SDM. Dieses Jahr war dann die EU das Thema. SDM, die Christdemokraten, waren für den Beitritt. Darum haben sie im März bei den Wahlen ein großes Bündnis aufgestellt, mit fast allen Uni-Organisationen, auch den nicht-politischen.
Wir alle hatten zwei Ziele: Die Arbeit im Studentenrat erfolgreich fortzusetzen und die EU-Mitgliedschaft zu erreichen. Diese beiden Punkte haben uns zusammengebracht und so haben insgesamt 19 Organisationen eine einzige Kandidatenliste unterstützt - und wir haben uns durchgesetzt.
Allein, Pulse war nicht dabei in dieser Großen Koalition. Nein, nein, beteuert André, für uns kam es nie in Frage, da mitzumachen. Wir mussten allein antreten.
Pulse was never approached, to join this coalition. We had to contest on our own.
Was heißt das: Habt ihr nie gefragt - oder wurdet ihr nie gefragt?
Beides....
David Zahra: Wir haben Pulse nicht gefragt, denn sie kritisieren unsere Politik schon seit vielen Jahren - und: Sie sind gegen einen Beitritt zur EU! Am Ende gab es dann gar keine echte Wahl, denn Pulse hat den Gegenkandidaten zurückgezogen.
Es stimmt tatsächlich, so überraschend es klingt: Die Sozialdemokraten an der Uni Malta waren lange Zeit gegen die EU - ganz so wie die linke Labour-Partei auf Landesebene. Wie kann das sein, dass ein Sozialdemokrat gegen die EU ist?
Ja, es stimmt zwar, dass die meisten Sozialdemokraten in Europa dafür sind - aber wir waren ja auch nur gegen eine volle Mitgliedschaft! Die Malteser wussten einfach nicht genug über die Folgen eines Beitritts - zum Beispiel, was den Arbeitsmarkt betrifft.
Das heißt: die Angst davor, dass Arbeiter aus anderen EU-Ländern kommen und den Maltesern die Jobs wegnehmen?
Ganz genau, das stimmt. Wir sind eine kleine Insel - selbst wenn nur wenige kommen, hätte das schlimme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Nun haben die Malteser bekanntlich im Frühjahr mit knapper Mehrheit für einen Beitritt gestimmt - sehr zum Ärger der Linken im Land. Aber Pulse hat seither eine Kehrtwende vollzogen und ist auf die europäische Linie eingeschwenkt. Die sozialdemokratischen Studenten haben inzwischen sogar einen Preis der EU-Kommission gewonnen. Für den Christdemokraten David Zahra nur ein weiterer Beweis dafür, dass man auch als Linker keine Angst vor Europa haben muss:
Kaum zu glauben, was André erzählt! Ich meine, da gewinnt seine Organisation einen europäischen Preis und behauptet sich damit gegen die anderen Länder - und gleichzeitig sagt er: Malta ist zu klein, um in der EU mitzuhalten: Das ist doch paradox!
Am Ende mischt sich Christine ein, die Freundin von André, dem Sozialdemokraten. Wütend haut sie auf den Tisch und bringt das Dilemma der gesamten Linken auf Malta inklusive Pulse auf den Punkt: Es sei einfach sinnlos, jetzt noch zu behaupten: Die EU ist nicht gut für uns.
It is all useless being against EU! We are going there now! We are going in that direction! Therefore, we might also agree and get the best out of it!
Malta geht in diese Richtung, nach Europa - so oder so, schimpft Christine. Also machen wir eben das Beste draus. Studentenpolitik auf Malta - Fazit :Die Christdemokraten sind für die EU und haben die Mehrheit - die Sozialdemokraten waren lange gegen die EU und wollen auch mal die Wahlen gewinnen. Im nächsten März ist es wieder soweit - und dieses Mal, sagt André, haben wir eine Chance. In Davids Augen dagegen ist klar und deutlich zu lesen: Versucht es ruhig, aber macht euch keine allzu großen Hoffnungen...
5. Station: Deutsche auf Malta: ‚PJ' IM HOSPITAL
Morgens um kurz vor acht im St. Luke's Hospital. Das große Krankenhaus liegt auf einem Hügel in der Nähe von La Valletta, der Hauptstadt von Malta. Der ganze Komplex sieht aus wie eine Festung, eine eigene kompakte Stadt aus dunkelgelbem Sandstein mit grün gestrichenen Fensterrahmen und einem rauchenden Schornstein. Am Tor wartet Sabine Nansen* aus Tübingen. Sie ist 27, studiert Medizin und ist im PJ, im Praktischen Jahr. Acht Wochen davon verbringt sie auf Malta.
Also das hier ist der Eingang, und dann zweigen da die Stationen ab, wir gehen auf die Chirurgie.
Wie groß sind die Zimmer?
Es gibt keine Zimmer, das ist ein bisschen ungewöhnlich... es gibt so Flure, Säle, mit Trennwänden....
Die Station MS 1, Männerchirurgie, liegt im dritten Stock. Ein langer Flur, an der Decke drehen sich Ventilatoren, auf einem Tisch am Kopfende steht eine kleine Heiligenfigur, davor brennen drei Kerzen. Von dem Flur zweigen tatsächlich mehrere große Säle ab - und darin gibt es keine Zimmer, sondern kleine Einzelkabinen wie beim Hausarzt. Vor jeder hängt ein geblümter Vorhang in rosa. Es zieht.
Es ist alles ziemlich ungeordnet. Ich finde es schon komisch, dass es hier keine Klimaanlage gibt, in der Chirurgie, und die Fenster sind auf, da fliegen Tiere rein oder Taubenfedern...
Wir warten auf die Visite - heute gibt es zwei davon. Erster Rundgang mit dem Senior House Officer, dem Assistenzarzt auf der Station, danach ein zweiter Rundgang mit dem Chefarzt, dem Consultant. Sabine Nansen* erzählt von ihrem Wohnheim auf Malta.
Ich war am Anfang schon geschockt. Ich hatte nicht damit gerechnet, im Zweierzimmer zu wohnen, die Betten sind total schmal, die Sprungfedern kommen durch, und da laufen so kleine Tierchen rum, aber bis jetzt keine Kakerlaken...
Ich habe immer Angst davor, Skorbut zu kriegen, meint sie halbernst, wir essen ganz oft Toast mit Scheibletten-Käse, Obst und Gemüse sind einfach zu teuer. Nein, viel Kontakt zu Maltesern habe sie leider nicht, im Wohnheim seien fast nur ausländische Studenten. Dann beginnen die Visiten. Sabine Nansen* läuft zwar mit im Tross der Ärzte - aber die meiste Zeit steht sie schweigend daneben. Man spürt es deutlich: Sie ist nicht besonders glücklich mit ihrer Arbeit in der Klinik hier.
Die reden nicht miteinander. Nach der OP sagt keiner, die OP ist vorbei, die gehen dann einfach. Es wird einfach nicht genug geredet.
Vielleicht haben sie hier ein anderes Verständnis von Studentenbetreuung?
Schon. Ich denk mal, die wollen mir sicher nichts Böses, aber die maltesischen Studenten haben hier auch nicht so viel zu tun...
Der Chefarzt spricht deutsch. Er trägt keinen weißen Kittel, sondern Zivil - und zwar ein hellbraunes kurzärmeliges Hemd. Nach der Visite bleibt Susanne noch auf der Station, und der Chefarzt winkt mich in sein Büro. Kaum ist die Tür zu, macht er sich als erstes eine Zigarette an.
Ich bin Anthony Zammit, und ich habe hier studiert, und dann zwei Jahre hier gearbeitet...
...und er spricht so gut Deutsch, weil er zehn Jahre lang in Düsseldorf war, an der Uniklinik. Dort hat er seinen Facharzt gemacht - und ist Mitte der Achtziger Jahre nach Malta zurückgekommen.
Wir haben zuviel Krebs hier. Ich behandle viel zu viel Schilddrüsenkarzinom, da ist Malta glaube ich an zweiter Stelle in Europa, es gibt hier wirklich viele Karzinome...
Meine Studenten dürfen auch Verantwortung übernehmen, sagt Doktor Zammit, es gab sogar eine Zeit, da habe ich fast nur mit Studenten operiert.
Ich habe eine gute Beziehung zu meinen Studenten. Die dürfen durchaus mitreden, kein Problem. Wir sind eine Mannschaft, und die Studenten gehören dazu!
Das sieht Sabine Nansen* ganz anders. Nach dem Besuch beim Chefarzt treffe ich sie vorm Haupteingang wieder. Die Visiten sind um, ihr Arbeitstag ist damit vorbei, und es ist gerade mal halb elf. Susanne kann nicht fassen, dass der Chefarzt eben gesagt hat, er habe eine gute Beziehung zu den Studierenden.
Es gibt keine Beziehung. Es gibt einfach keine. Wir reden ja nicht miteinander...
Fazit: Die acht Wochen auf Malta haben sich für Sabine Nansen* beruflich nicht gelohnt. In guter Erinnerung aber wird sie die Leute aus dem Wohnheim behalten - mit denen habe sie dann doch viel Spaß gehabt. Und, meint sie, auch die Malteser auf der Straße hätten ihr regelmäßig ganz dezent gezeigt, was sie so von der schlanken blonden Frau aus Deutschland halten.
Es wird viel gehupt hier! In der Straße, die hupen fast alle... erst hat's genervt, aber man gewöhnt sich dann. Und wenn man ausgeht, hängen sie einem auch nicht so an der Backe, die sind dann eher charmant, echt charmant...
6. Station: REISE IN DEN MITTELPUNKT DER INSEL
Dieser Ort gehört eigentlich weniger auf den Campus als in einen Krimi: Von dem alten Haus stehen nur noch die Mauern, die Baustelle ist mit Gittern abgesichert und weiße, zerfetzte Plastik-Planen wehen im Wind. Vier Studenten sitzen auf dem Erdboden mit Schaufel, Handfeger oder Maurerkelle. Alle tragen Schlabberklamotten und buddeln, fegen oder kratzen, und zwar freiwillig, denn das hier ist kein offizielles Seminar der Uni Malta.
Wir haben hier eine kreisförmige Struktur entdeckt, vielleicht einen alten Trog aus Stein - und wo ich sitze, ist dieser Kreis später mit Erde aufgefüllt worden. Wir legen das frei - aber wir stehen noch ganz am Anfang damit...
Bernadette Mercieca ist 20 und macht ihren Bachelor in Archäologie. Neben ihr auf dem Boden steht eine viereckige Plastikwanne - die ersten Fundstücke. Im Augenblick liegen 20 Teile darin, die aussehen wie Splitter von Dachschindeln.
Wir sammeln hier vor allem Keramik, Ton-Scherben von Getöpfertem und so was...
Sind da auch antike Stücke dabei?
Eher Stücke von heute, wir sind eben noch in einer der oberen Schichten, da mischt sich das moderne mit dem alten, das ist alles noch ein bisschen konfus...
Sie habe schon mit 11 oder 12 Jahren gewusst, was sie studieren wolle, sagt Bernadette sagt - und schuld daran seien nicht ihre Eltern.
"Das ist alles wegen Malta so gekommen! Diese Insel ist so reich an Geschichte... Ich glaube, ich wollte mein Leben lang Archäologie studieren. Ich hab mich immer schon sehr für unsere Vergangenheit interessiert - und jetzt entdecke ich sie eben selbst!
Wir arbeiten hier in einem der alten Viertel der früheren Hauptstadt von Malta - in der Antike hieß dieser Ort Melita und wurde auch von den Griechen und Römern erwähnt. Sie finden hier viele Spuren der Stadtgeschichte, von der Bronze-Zeit über das Mittelalter bis heute.
Der Mann mit dem üppigen Bart und der Brille ist Nathaniel Cutajar von der so genannten "Superintendenz für kulturelles Erbe auf Malta". Ihm ist die freiwillige Hilfe der Studenten sehr willkommen - denn die Arbeit hier ist ziemlich mühsam und langwierig. Aber gerade darum bin ich hier, meint Bernadette. Malta braucht eigene Archäologen, die sich um die Insel kümmern und sie nicht verlassen.
It is important for us to have maltese archeologists who look a bit after our island...
Gemütlich ist das ganze nicht gerade: Durch die Löcher in der Mauer braust der Wind und treibt einem Sand in die Augen. Alle sind mehr oder weniger von einer Schlammschicht bedeckt - mit meiner sauberen Hose falle ich hier eindeutig aus der Reihe. Nathaniel geht die ganze Zeit hin und her, von einem Studenten zum anderen. Er erklärt, korrigiert - und greift immer wieder auch selbst zum Werkzeug.
Die meisten hier machen einen Bachelor, und dann gehen sie ins Ausland - das ist auch wichtig, damit wir immer die neuesten Standards und Techniken vom europäischen Festland mitbekommen. Darum gehen viele nach Italien oder Großbritannien.
Sie werde vielleicht auch für eine Weile weggehen, meint Bernadette. Danach wolle sie aber auf jeden Fall wiederkommen und auf der Insel arbeiten. Was sie eigentlich als angehende Archäologin vom Tourismus hält, frage ich dann. Immerhin kommen jedes Jahr mehr als 1,2 Millionen Menschen nach Malta: Ist das eine Gefahr für das kulturelle Erbe der Insel?
Nein, finde ich nicht. Wir Archäologen müssen doch gerade die Menschen anziehen und ihnen unser Land und unsere Geschichte erklären
Aber es kommen so dermaßen viele - und manche sind ziemlich respektlos...
Ja, stimmt schon, und die klettern dann auf den Tempeln rum... - aber am Ende ist der Tourismus gerade in Malta ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, den wir brauchen...
Mittlerweile sind Wolken aufgezogen, vielleicht wird es nachher noch Regen geben... Nathaniel wird ungeduldig... Keine Fragen mehr jetzt, sagt er, wir müssen wirklich noch was schaffen heute... Und während ich das Mikrofon einpacke, graben sie weiter in der maltesischen Vergangenheit, die vier Studenten und ihr bärtiger Lehrmeister.
Jede Ausgrabungsstätte ist anders, jede hat ihre eigene Schichten, und Du kriegst viele verschiedene Böden in die Hand - auf Dauer bekommst Du ein Gefühl dafür....
Also machen Sie hier eigentlich eine Reise durch die Geschichte von Malta?
Genau, und nur so lernt man diesen Job...
* Pseudonym, Name ist der Redaktion bekannt.