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'Ein guter Tag für Kosovo. '

Gerner: Zweieinhalb Jahre nach Ende des Kosovokrieges kann die junge Demokratie in der Provinz noch nicht auf eigenen Beinen stehen. Die UNO mit ihren Sondergesandten zieht die Fäden, militärisch abgesichert durch die Truppen der KFOR. Wenn auch mittlerweile entwaffnet, sind Kosovo-Albaner und die rund 100.000 zurückgebliebenen Serben noch immer verfeindet. Schlecht aufeinander zu sprechen waren monatelang aber auch die Albanerparteien untereinander. Jetzt scheint ein Durchbruch gelungen: seit gestern steht eine Regierung unter Mitwirkung der UCK, die früher das Gros der Rebellen stellte. Auch Ibrahim Rugova hat es endlich geschafft: nach mehrfachem Anlauf ist er jetzt der neue Präsident des Kosovo. Keinen geringen Anteil am Zustandekommen dieser Lösung hat Michael Steiner, der deutsche UN-Sondergesandte im Kosovo. Herzlichen guten Morgen.

    Steiner: Guten Morgen, Herr Gerner.

    Gerner: Herr Steiner, Sie haben binnen Tagen das geschafft, was Ihr Vorgänger Haekkerup in Monaten nicht geschafft hat. Was haben Sie anders gemacht?

    Steiner: Ich weiß nicht, ob es angebracht ist, hier nun auf die Vorgänger zu zeigen...

    Gerner: Das fällt halt ins Auge.

    Steiner: Zum Glück. Die Zeit war reif und ich freue mich auch, dass sie jetzt eine Mannschaft hier haben, den Präsidenten des Kosovos, den Herrn Rugova, den Sie schon genannt haben, aber auch einen Premierminister, der von allen hier im Kosovo als fachlich hervorragend geeignet bezeichnet wird, den Arzt Herrn Rexhepi; wir haben hier eine gute Führungsmannschaft und ich glaube, man kann durchaus sagen, dass sei ein guter Tag für Kosovo.

    Gerner: Welche Mittel haben sie eingesetzt, um die Rivalität zwischen UCK und Rugova-Partei zu beenden? Hat es da einen Deal gegeben - denn die waren ja monatelang zerstritten?

    Steiner: Nein, es gab keinen Deal aber ich will jetzt hier auch nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Aber ein bisschen Nachbarschaftshilfe von meiner Seite war sicherlich notwendig.

    Gerner: Was heißt das, Nachbarschaftshilfe?

    Steiner: Das heißt, dass es doch einige Tage dauerte, sie davon zu überzeugen, dass die Alternative in jedem Falle schlechter ist. Ein besonderes Phänomen, auf was ich hinweisen will, was mich selbst überrascht hat, das war die Bevölkerung. Es war geradezu unglaublich, dass nach doch relativ kurzer Zeit eine einmal so große Sympathie für die internationalen Bemühungen zum Ausdruck kam, aber auch das Gefühl die Zeit ist reif, jetzt müssen die überkommen. Und insofern fühlte ich mich eigentlich nicht nur von internationaler Seite unterstützt sondern gerade auch von der Bevölkerung in Kosovo, seien es Serben oder Albaner. Und ich glaube, das war letztlich das Ausschlaggebende.

    Gerner: Herr Steiner, ich habe mir sagen lassen in Ihrer Politik, in Ihrem Vorgehen hat auch immer wieder die europäische Perspektive als Druckmittel eine Rolle gespielt nach dem Motto 'Freunde, der Weg nach Europa führt über die Einigkeit der Kosovaren'. Ist das ein Knüppel, den man von Zeit zu Zeit aus dem Sack holen muss?

    Steiner: Ja, ich glaube Sie haben ganz recht; das ist langfristig der entscheidende Punkt und das verstehen auch die Menschen hier im Kosovo. Denn ich meine jeder weiß natürlich: wer nach Europa will, der muss die strukturellen Voraussetzungen schaffen und dazu braucht man eine Regierung. Und der Vorteil dieser Regierung liegt einfach auch darin, dass wir das Vakuum vermeiden, das auch für Europa gefährlich wäre. Denn nichts wäre schlimmer, als wenn wir hier inmitten Europas eine Situation hätten, aus der Unsicherheit exportiert würde. Was wir brauchen ist, dass Kosovo ein Teil sicherer Strukturen in Europa wird.

    Gerner: Alle Albanerparteien wollen die Unabhängigkeit Kosovos als letztendliches Ergebnis. Wird es die irgendwann geben?

    Steiner: Das weiß ich nicht. Aber Sie wissen, dass diese Fragen, die Statusfragen in meiner Kompetenz hier sind und ich glaube, dass wir es irgendwann mal angehen müssen. Aber die Zeit ist noch nicht reif. Wir müssen erst mal die Fragen behandeln, die die Menschen unmittelbar betreffen und das sind ökonomische Fragen, das ist die Frage der Arbeitsplätze. Vergessen Sie nicht, dass über 50 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahren sind. Gleichzeitig ist es ja aber auch so, dass Kosovo die optimistischste Bevölkerung weltweit hat. Das heißt, wir sind in einer Situation, die schwierig ist, aber aus der man noch etwas machen kann. Aber zunächst mal müssen wir die entscheidenden Fragen adressieren: das ist Sicherheit, das ist Rechtssicherheit und schon genannten ökonomischen Fragen.

    Gerner: Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, der Übergangsstatus, den es jetzt gibt, der könnte den Keim zukünftiger Gewalt in sich tragen, wenn zu lange die Wünsche der Bevölkerung, siehe Unabhängigkeit unbeachtet blieben?

    Steiner: Das ist deswegen nicht richtig, weil die Bevölkerung sich nicht danach ausrichtet, was auf irgendwelchen Papieren steht. Die Bevölkerung will die unmittelbaren Interessen unmittelbar gewährleistet haben und sie will natürlich auch, dass nie mehr wieder der status quo ante eintritt, das heißt eine Fremdherrschaft aus Belgrad. Das ist ausgeschlossen, das wird auch nicht kommen. Wie sich das dann ausgestaltet, das ist eine ganz andere Frage, denn das muss man auch im Verbund mit der Nachbarschaft, da Kosovo keine Insel im Atlantik ist, sondern umgeben ist von anderen Staaten, lösen und das wissen die Menschen auch. Das heißt, bis wir da hinkommen müssen erst mal die Voraussetzungen geschaffen werden und dazu beizutragen sind wir auch noch hier.

    Gerner: Eine Nagelprobe beim Thema Neuanfang ist das Thema Justiz. Die Schuld der Serben am Kosovo-Krieg wird in Den Haag ganz wesentlich vor Gericht geklärt. Ermittlungen gegen Kosovo-Albaner, die nach Kriegsende an Serben sich gerächt haben, gibt es die?

    Steiner: Das müssen Sie Den Haag fragen. Ich kann nur eines sagen: hier gibt es überhaupt kein Fackeln. Wenn Den Haag jemanden anklagt und das ist jemand, der in unserem Machtbereich im Kosovo ist, dann wird er festgenommen werden. Hier gibt es überhaupt keinen Verhandlungsspielraum. Hier müssen wir uns an das halten, was das Völkerrecht, was der Sicherheitsrat und was auch das bei uns geltende Recht vorgegeben hat.

    Gerner: Aber es gibt ja UCK-Vertreter, die mutmaßlich Blut an den Händen haben.

    Steiner: Ich kann Ihnen sagen: es ist vollkommen egal, aus welcher ethnischen Gruppe der Betroffene kommt, wenn Den Haag, wenn Carla del Ponte jemanden anklagt und wir damit konfrontiert sind, werden wir uns entsprechend verhalten, das heißt, jeder, der angeklagt wird von Den Haag und wo wir eine entsprechende Anforderung haben, wird festgenommen, unbeschadet seiner ethnischen Zugehörigkeit.

    Gerner: Ein Prozess läuft bereits, wenn ich richtig informiert bin, gegen einen deutschen Söldner, der den Leiter der serbischen Passbehörde getötet haben soll. Können, wollen Sie etwas für den tun?

    Steiner: Auch da muss ich Ihnen sagen: wir haben hier eine unabhängige internationale Justiz und wenn die internationale unabhängige Justiz, deren Unabhängigkeit niemand bezweifeln kann und auch niemand bezweifelt, zu bestimmten Schlüssen kommt, dann habe ich hier keinen Verhandlungsspielraum. Ich bin auch nicht hier als Deutscher. Ich bin ein Vertreter Kofi Annans und ich habe die Rechtsstaatlichkeit auch hier in vollem Umfang unbeschadet der Nationalität des Betroffenen zu gewährleisten.

    Gerner: Herr Steiner, was hat Sie am meisten überrascht, was am meisten schockiert, als Sie ins Kosovo gekommen sind, Ihre neue Funktion auszuüben?

    Steiner: Ich war überrascht darüber, dass das äußere Erscheinungsbild im öffentlichen Raum doch ziemlich vernachlässigt ist. Wenn Sie in Privatwohnungen kommen, dann sehen Sie, dass jeder sich bemüht, diese Privatwohnungen möglichst gepflegt zu halten. Im öffentlichen Raum sieht das anders aus. ich glaube, das liegt daran, dass Kosovo sehr lange unter dieser Fremdherrschaft gelitten hat und dass die Menschen sich ins Private zurückgezogen haben. Das ist das eine. Was mich positiv überrascht hat, waren die Menschen selbst. Die Freundlichkeit, die Zuneigung, die Unterstützung, die einem hier als Neuem entgegengeschlagen ist, war geradezu überwältigend.

    Gerner: Herr Steiner, haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg noch bei Ihrer Arbeit.

    Steiner: Danke Ihnen sehr, gerne.

    Link: Interview als RealAudio