Archiv


Ein Haus in Istrien

Sein Vaterland sei Europa, seine Heimat Österreich, und sein Zu Hause der Ort, an dem er gerade wohnt, hat H. C. Artmann einmal gesagt. Ähnliches gilt auch für Richard Swartz. Auch sein Vaterland ist Europa, sein Zu Hause sind wechselnde Orte, vor allem in Osteuropa, seine Heimat ist Schweden. Dort hält er sich seit dreißig Jahren allerdings nur mehr selten auf. Das Problem der Identitätssuche ist ihm aus eigener Erfahrung vertraut:

Cornelia Staudacher |
    Diese ganze Problematik mit Identität, mit übersetzen, mit der Frage, was ein zu Hause ist, damit, wo die Wurzeln sich befinden oder nicht befinden, ist dort sehr plastisch vorhanden, und das ist ja auch meine eigene Problematik, ich bin Schwede, aber ich lebe seit mehr als 30 Jahren außerhalb Schwedens, ich spreche einige Sprachen, aber es ist nicht meine Muttersprache, ich habe keine Verwendung für meine eigene Sprache. Oder nur sehr selten. Was bedeutet das für meine Identität, oder was ist ein Zuhause oder was ist Heimat überhaupt...

    Der Handlungsplot ist rasch erzählt. Vordergründig ist es die Geschichte einer Obsession. Ein Mann - seinen Namen erfahren wir erst gar nicht - hat sich in den Kopf gesetzt, ein ganz bestimmtes Haus in einem Bergdorf in Istrien mit dem bedeutungsvollen Namen Pelegrin zu kaufen, und macht sich deshalb gemeinsam mit seiner Frau daran, die Besitzverhältnisse dieses Hauses zu klären. Aber das Hausprojekt ist nur das äußere Netz, das die einzelnen Episoden zusammenbindet. Denn eigentlich geht es dem Autor darum, Einblicke in unterschiedliche Menschenschicksale zu vermitteln und damit den Charakter eines vergessenen Landstrichs zu umreißen. Ob der Nachbar Dimitrij oder Beppo, der Wirt des Dorfes, ob Franjo, ein Anwalt in der Kreisstadt, oder Signora Mina, die mit ihrem kranken Mann in Triest lebt und schließlich als Besitzerin des begehrten Hauses ausfindig gemacht wird - sie alle dienen als Vehikel, ein Bild der Gegend zu zeichnen, und die Wunden aufzudecken, die die Geschichte ihr geschlagen hat. Einer Gegend, die, obwohl heute fast gänzlich in Vergessenheit geraten, einst, zu Zeiten der Habsburgischen Monarchie, eine blühende Kulturlandschaft war. Ist das leere Haus in Istrien also auch eine Metapher für die Geschichtsverlorenheit eines ganzen Landstrichs und für den Verlust von Heimat und Identität der dort gebenden Menschen?

    Solche leeren Häuser gibt es viele in dieser Gegend, denn es ist eine Gebend der ethnischen Säuberungen, nicht wahr, die Italiener wurden aus dieser Gegend vertrieben nach dem Kriege von Titos Partisanen, und die Häuser konnten die nicht mitnehmen. Viele stehen immer noch leer.

    Eine andere Lesart wäre es, diesen Landstrich als pars pro toto zu verstehen für das von Kriegen, Diktaturen und anderen Verwerfungen heimgesuchte Europa des 20. Jahrhunderts, den Roman also als Parabel für das europäische Sterben zu lesen.

    Da ist ja fast wie eine Art Korridor quer durch Europa, von Ostpreußen, Königsberg im Norden über Schlesien, Böhmen bis zu Triest und Istrien, und das ist die Gegend, das Grenzland, wo die grausamsten Verbrechen des vorigen Jahrhunderts passiert sind. Es ist auch ein Inbegriff unserer modernen europäischen Geschichte. Das europäische Haus steht da leer sozusagen, und ist mit sehr viel Blut verbunden. Deshalb wahrscheinlich auch das Misstrauen gegeneinander, das Aneinandervorbeireden und auch die Tendenz, den anderen nicht zu trauen, sich vor allem gegen das, was von draußen kommt, zu schützen.

    Die Angst und das Misstrauen vor dem Fremden führen zu Missverständnissen und Schwierigkeiten in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die bei aller Tragik aller auch burlesk-komische Züge tragen.

    Jeder hat seine eigene kleine Geschichte zu erzahlen und beharrt darauf, hört nicht zu, was die ändern sagen, man redet aneinander vorbei, ich würde sagen, wie das so im Leben eben ist, und insofern ist es nur oberflächlich vielleicht ein heiteres Buch, denn es ist lustig ab und zu. Aber es ist, glaube ich, die Heiterkeit des Trauerns oder der Tragödie, es ist eine melancholische Heiterkeit.

    Und was hat es mit dieser nicht eben alltäglichen Ehegeschichte auf sich? Eine Frau, die, obwohl sie als Übersetzerin fungiert und die Faden in der Hand zu halten scheint - die Geschichte wird sinnfälligerweise aus ihrer Perspektive erzählt -, seltsam konturlos bleibt, und ein Mann, der nicht nur aufgrund seines Spleens, dieses Haus unbedingt besitzen zu müssen, etwas kindlich Skurriles hat, und zu dem die Anrede "Schatz", mit der sie ihn beharrlich bedenkt, nicht recht passen will.

    Der Roman, dem etwas Vages, Märchenhaftes, Ort- und Zeitloses anhaftet, obwohl realistisch und linear erzählt wird, ist vielfältig interpretierbar. Richard Swartz ist ein präziser und sensibler Beobachter seiner Mitwelt uni ein wortgewandter Fabulierer. Mit kluger Distanz und unterschwelligem Witz hat er, häufig in direkter Rede, notiert, was er erlebt, gesehen und gehört hat. Manchmal aber, wenn da zu ausgiebig über ein und dasselbe palavert wird, wie die Hundshitze von Triest oder den schlechten Gesundheitszustand von Sigror Antonio, laufen sich die Gespräche in ihrer puren Ereignislosigkeit tot und lassen den Eindruck entstehen, dass es der Autor im schweifenden Schwadronieren, das er fürwahr meisterlich beherrscht, allzu sehr bewenden lässt.

    Sie haben am Anfang das Wort absurd verwendet. Ich sehe das überhaupt nicht so. Ich sehe das eher als sehr konkret, was dort erzählt wird, und überhaupt nicht eigentlich überraschend. Wenn man aus der Gegend kommt, hat das also mit Absurdität sehr wenig zu tun.

    Halten wir uns also an den Rat des Autors und nehmen die beschriebenen Phänomene, wie sie sind. In ihrer lebendigen, tragikomischen Wirkung - den farbigen Abglanz für das Leben: Die reifen, saftigen Kirschen aus Nachbars Garten, die Pater Sverko mit Wollust verspeist, als er bei der ersten Hausbesichtigung höchstpersönlich erscheint, oder die Kröte, die sich vor den plötzlich auftauchenden Stimmen im Garton verschreckt in die Tiefe des Brunnens verkrochen hat, oder den Mond, "dieser fette Mond von Istrien, der Vieh und Menschen wie närrisch macht", mit dem der Roman beginnt und der, so mutmaßt seine aufmerksame Chronistin, überhaupt an allem schuld gewesen sein konnte.