Heute leben in Südschleswig, jenem Landstrich im hohen Norden Schleswig-Holsteins, schätzungsweise 50 tausend Menschen, die sich zur dänischen Minderheit zählen. Ihr kollektives Alter Ego jenseits der Grenze - das sind die so genannten Nord-Schleswiger, die deutsche Minderheit in Dänemark. Organisiert haben sie sich im Bund Deutscher Nordschleswiger. Ein Verband mit etwa 3800 Mitgliedern, der Schulen und Kultureinrichtungen unterhält, und 21 Ortsvereine. Der Vorsitzende des Bundes ist Hans-Heinrich Hansen. Er lebt und arbeitet in einem kleinen Ort unweit der dänischen Stadt Apenrade.
Ein paar Handgriffe noch, und Hans Heinrich Hansen kann zur Tat schreiten. Assistiert von seinen Helferinnen Anne-Lene und Lena streift er sich die engen gelben Gummihandschuhe über, wirft einen letzten Blick auf das bereitliegende Besteck und schaut auf die Uhr - um genau zehn Minuten nach neun geht es dem Rüden "Basse" auf dem Operationstisch an die Männlichkeit.
"Der entfleucht immer seinem Hof. Und deswegen wollen sie ihn jetzt kastrieren lassen. Damit er sich nicht immer nach Frauen umschaut und sie ihn dann besser drinnen behalten können. Die haben nämlich noch einen Hund. Und wenn so zwei große Hunde weglaufen, dann ist das ein Problem."
Ein kleiner Schnitt - rasch sind die Hoden des Tiers freigelegt. Hansen klemmt den Samenstrang ab und das umliegende Gewebe. Ein Routineeingriff. Schon muss er an den Vortrag denken, den er am Nachmittag in Flensburg halten soll. Das Manuskript liegt im Büro nebenan, halbfertig. Wie so oft in diesen Tagen geht es um den SSW und die öffentlichen Anfeindungen, die der Partei der dänischen Minderheit seit der Landtagswahl in Kiel schwer zu schaffen machen.
"Wir pochen ja immer darauf, dass hier eine Parallelität, eine Ausgewogenheit im Grenzland sein muss. Damit keine Schieflage eintritt, haben wir immer für die Ausgewogenheit plädiert. Dass heißt, dass wenn südlich der Grenze Probleme entstehen, dann haben sie einen Effekt natürlich auf die Situation hier nördlich der Grenze."
Der Bund Deutscher Schleswiger hat den SSW vor den Anwürfen jenseits der Grenze mit deutlichen Worten in Schutz genommen. Für Hans Heinrich Hansen eine Selbstverständlichkeit.
"Es gibt jetzt ein Miteinander der Minderheiten. Das ist eben anders, als es vor fünfzig Jahren war. Wenn wir früher zu Kongressen fuhren, dann war die Situation die, dass wir südlich von Hamburg vielleicht anfingen, miteinander zu reden. Heute ist es so, dass wir gemeinsam reisen und dass wir uns seit etwa zehn Jahren uns einmal im Jahr treffen - der Vorstand des Südschleswigschen Vereins und der Vorstand des Bundes Deutscher Nordschleswiger. Das ist eine Entwicklung, die eben auch durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen und durch die entspannte Situation entstanden ist. Und es zeigt sich immer wieder, dass Minderheiten eben mehr miteinander gemeinsam haben als Mehrheiten und Minderheit."
Hans Heinrich Hansen bittet um Nadel und Faden. Ein paar Stiche, und der Hund auf dem Operationstisch hat das Schlimmste überstanden.
"So, jetzt sind wir so weit....(Anweisung auf dänisch an Anne-Lene)...Denn das ist, was nachbleibt: so eine kleine Schnittwunde - und jetzt ist leer, ein leeres Haus."
Anne-Lene fasst mit an. Zu zweit tragen sie den schweren Rüden nach nebenan.
"Das ist immerhin ein Tier von über 50 Kilo! Hier liegt es dann auf einem Thermokissen, bis das Tier aufwacht. ")
Anne-Lene kümmert sich weiter um den Hund, ihr Chef hat Zeit für einen Schluck Kaffee. Fast 40 Jahre ist es her, dass Hansen die Kleintierpraxis eingerichtet hat. Auf dem Regal in seinem Büro stehen zerlesene deutsche und dänische Fachbücher einträchtig nebeneinander. Der Tierarzt führt ein Leben zwischen den Sprachen, zwischen den Kulturen.
"Das ist uns ja von Kind auf an so in Fleisch und Blut übergegangen. Das Positive daran ist natürlich, dass man in diesen ganzen Kulturen auch zu Hause ist. Das heißt also, ich habe ein dänisches Abitur gemacht, weil es zu dem Zeitpunkt auch kein deutsches Gymnasium gab. Das heißt also, ich bin genauso in der dänischen Kultur zu Hause, wie jeder andere Däne auch. Nur: der normale Däne ist eben nicht in der deutschen Kultur zu Hause - wie ich in der deutschen Kultur zu Hause bin, weil ich zu Hause eine deutsche Muttersprache...gepflegt wurde... es gab nur deutsche Haussprache bei uns."
Hans Heinrich Hansen entstammt einer alteingesessenen Apothekerfamilie. Seine Eltern sind zu einer Zeit aufgewachsen, als Hadersleben noch Teil der preußischen Provinz Schleswig war. Deutsche Volkslieder und deutsches Tischgebet bestimmen die Erinnerungen an die Kindheit. Später dann die Anfeindungen nach Ende der deutschen Besatzungszeit.
"Das hat mich als Kind am meisten gestört - die Pauschalisierung, dass so etwas eben nur Deutsche tun können - wobei ich ja erlebt habe als Kind, wie Väter meiner besten Freunde nachts mit Maschinengewehrpistolen aus den Betten geholt und interniert wurden. Und da haben die Leute sie bespuckt! Und als Gegenpol dann im Hause meine Eltern, wo ich dann erlebte, dass zum Beispiel mein Vater, der sehr viel Klavier spielte; der dann auch vormittags Klavier spielte, weil der Umsatz in seiner Apotheke sich um die Hälfte reduzierte nach dem Krieg."
Damals hat Hansen gelernt, wie man sich fühlt, als underdog. Der Wunsch nach Begegnung auf Augenhöhe, nach gegenseitigem Respekt ist aus dieser Erfahrung gewachsen.
Labradordame Molly hat nach einer Operation an der Gebärmutter eine Nacht in der Praxis verbracht. Gut erholt von dem Eingriff darf sie jetzt wieder nach Hause.
Die Freude im Wartezimmer ist groß - bei dem Hund ebenso wie bei Henning Jörgensen, dem Herrchen. Dort warten auch schon Hans Martin Becker und seine Frau Margarete. Sie haben ihre beiden Katzen Oscar und Feliciti dabei.
"Die sollen nur Gesundheits-Check haben und eine Spritze ...ganzen Winter sind die nicht draußen; da sind die drinnen in Wohnung. Und im Frühjahr sind die draußen und werden erkältet, wenn die nicht ein Spritze kriegen."
Als erstes zerrt der Tierarzt Oscar aus seiner Transportbox.
Der wehrt sich nach Kräften, später faucht er nur noch zaghaft, als Hansen dem Zahnstein des Katers zu Leibe rückt. Seit dreißig Jahren kommt Margarete Becker zu dem Mann in die Praxis, der die deutsche Minderheit repräsentiert. Sie streicht ihrer Katze beruhigend über das glänzende schwarze Fell.
"Wenn Hansen im Fernsehen ist, dann geht er in’ Flur ... (Gelächter)...’Das ist mein Tierarzt!’.../ Hansen: So wird man immer wieder verkannt!...Das erzählen mehrere meiner Klienten. Wenn ich denn auf dem Fernsehschirm erscheine: Einige laufen dann weg - ich weiß von einem Hund, der kam dann immer bei seinem Besitzer an und zitterte am ganzen Körper, wenn er mich hörte..."
Seit zehn Jahren vertritt Hans Heinrich Hansen die Anliegen der deutschen Minderheit im Grenzland. Weil er darum gebeten wurde. Reist, mit heimatlichen Gefühlen für die Region im Herzen, kreuz und quer durch Europa, von Konferenz zu Konferenz, von Vortrag zu Vortrag, von Verhandlung zu Verhandlung. Und behandelt Tiere in seiner Praxis. Ein Spagat, nicht leicht zu organisieren. Und nur zu bewältigen von einem, für den Minderheitenpolitik in Europa eine Herzensangelegenheit ist.
"Ich glaube, dass eine Integration immer ein sehr großes Risiko der Assimilation in sich birgt. Insofern wird es auch an der Mehrheitsbevölkerung liegen, dafür zu sorgen, dass eine Minderheit nicht total verschwindet. Und die Aufgabe dieser Minderheiten wird es sein, Türöffner oder Brücke zu sein zwischen zwei Kulturen oder zwischen zwei Nationen. Sie sind sozusagen die Transformatoren zwischen den Mehrheiten."
Ein paar Handgriffe noch, und Hans Heinrich Hansen kann zur Tat schreiten. Assistiert von seinen Helferinnen Anne-Lene und Lena streift er sich die engen gelben Gummihandschuhe über, wirft einen letzten Blick auf das bereitliegende Besteck und schaut auf die Uhr - um genau zehn Minuten nach neun geht es dem Rüden "Basse" auf dem Operationstisch an die Männlichkeit.
"Der entfleucht immer seinem Hof. Und deswegen wollen sie ihn jetzt kastrieren lassen. Damit er sich nicht immer nach Frauen umschaut und sie ihn dann besser drinnen behalten können. Die haben nämlich noch einen Hund. Und wenn so zwei große Hunde weglaufen, dann ist das ein Problem."
Ein kleiner Schnitt - rasch sind die Hoden des Tiers freigelegt. Hansen klemmt den Samenstrang ab und das umliegende Gewebe. Ein Routineeingriff. Schon muss er an den Vortrag denken, den er am Nachmittag in Flensburg halten soll. Das Manuskript liegt im Büro nebenan, halbfertig. Wie so oft in diesen Tagen geht es um den SSW und die öffentlichen Anfeindungen, die der Partei der dänischen Minderheit seit der Landtagswahl in Kiel schwer zu schaffen machen.
"Wir pochen ja immer darauf, dass hier eine Parallelität, eine Ausgewogenheit im Grenzland sein muss. Damit keine Schieflage eintritt, haben wir immer für die Ausgewogenheit plädiert. Dass heißt, dass wenn südlich der Grenze Probleme entstehen, dann haben sie einen Effekt natürlich auf die Situation hier nördlich der Grenze."
Der Bund Deutscher Schleswiger hat den SSW vor den Anwürfen jenseits der Grenze mit deutlichen Worten in Schutz genommen. Für Hans Heinrich Hansen eine Selbstverständlichkeit.
"Es gibt jetzt ein Miteinander der Minderheiten. Das ist eben anders, als es vor fünfzig Jahren war. Wenn wir früher zu Kongressen fuhren, dann war die Situation die, dass wir südlich von Hamburg vielleicht anfingen, miteinander zu reden. Heute ist es so, dass wir gemeinsam reisen und dass wir uns seit etwa zehn Jahren uns einmal im Jahr treffen - der Vorstand des Südschleswigschen Vereins und der Vorstand des Bundes Deutscher Nordschleswiger. Das ist eine Entwicklung, die eben auch durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen und durch die entspannte Situation entstanden ist. Und es zeigt sich immer wieder, dass Minderheiten eben mehr miteinander gemeinsam haben als Mehrheiten und Minderheit."
Hans Heinrich Hansen bittet um Nadel und Faden. Ein paar Stiche, und der Hund auf dem Operationstisch hat das Schlimmste überstanden.
"So, jetzt sind wir so weit....(Anweisung auf dänisch an Anne-Lene)...Denn das ist, was nachbleibt: so eine kleine Schnittwunde - und jetzt ist leer, ein leeres Haus."
Anne-Lene fasst mit an. Zu zweit tragen sie den schweren Rüden nach nebenan.
"Das ist immerhin ein Tier von über 50 Kilo! Hier liegt es dann auf einem Thermokissen, bis das Tier aufwacht. ")
Anne-Lene kümmert sich weiter um den Hund, ihr Chef hat Zeit für einen Schluck Kaffee. Fast 40 Jahre ist es her, dass Hansen die Kleintierpraxis eingerichtet hat. Auf dem Regal in seinem Büro stehen zerlesene deutsche und dänische Fachbücher einträchtig nebeneinander. Der Tierarzt führt ein Leben zwischen den Sprachen, zwischen den Kulturen.
"Das ist uns ja von Kind auf an so in Fleisch und Blut übergegangen. Das Positive daran ist natürlich, dass man in diesen ganzen Kulturen auch zu Hause ist. Das heißt also, ich habe ein dänisches Abitur gemacht, weil es zu dem Zeitpunkt auch kein deutsches Gymnasium gab. Das heißt also, ich bin genauso in der dänischen Kultur zu Hause, wie jeder andere Däne auch. Nur: der normale Däne ist eben nicht in der deutschen Kultur zu Hause - wie ich in der deutschen Kultur zu Hause bin, weil ich zu Hause eine deutsche Muttersprache...gepflegt wurde... es gab nur deutsche Haussprache bei uns."
Hans Heinrich Hansen entstammt einer alteingesessenen Apothekerfamilie. Seine Eltern sind zu einer Zeit aufgewachsen, als Hadersleben noch Teil der preußischen Provinz Schleswig war. Deutsche Volkslieder und deutsches Tischgebet bestimmen die Erinnerungen an die Kindheit. Später dann die Anfeindungen nach Ende der deutschen Besatzungszeit.
"Das hat mich als Kind am meisten gestört - die Pauschalisierung, dass so etwas eben nur Deutsche tun können - wobei ich ja erlebt habe als Kind, wie Väter meiner besten Freunde nachts mit Maschinengewehrpistolen aus den Betten geholt und interniert wurden. Und da haben die Leute sie bespuckt! Und als Gegenpol dann im Hause meine Eltern, wo ich dann erlebte, dass zum Beispiel mein Vater, der sehr viel Klavier spielte; der dann auch vormittags Klavier spielte, weil der Umsatz in seiner Apotheke sich um die Hälfte reduzierte nach dem Krieg."
Damals hat Hansen gelernt, wie man sich fühlt, als underdog. Der Wunsch nach Begegnung auf Augenhöhe, nach gegenseitigem Respekt ist aus dieser Erfahrung gewachsen.
Labradordame Molly hat nach einer Operation an der Gebärmutter eine Nacht in der Praxis verbracht. Gut erholt von dem Eingriff darf sie jetzt wieder nach Hause.
Die Freude im Wartezimmer ist groß - bei dem Hund ebenso wie bei Henning Jörgensen, dem Herrchen. Dort warten auch schon Hans Martin Becker und seine Frau Margarete. Sie haben ihre beiden Katzen Oscar und Feliciti dabei.
"Die sollen nur Gesundheits-Check haben und eine Spritze ...ganzen Winter sind die nicht draußen; da sind die drinnen in Wohnung. Und im Frühjahr sind die draußen und werden erkältet, wenn die nicht ein Spritze kriegen."
Als erstes zerrt der Tierarzt Oscar aus seiner Transportbox.
Der wehrt sich nach Kräften, später faucht er nur noch zaghaft, als Hansen dem Zahnstein des Katers zu Leibe rückt. Seit dreißig Jahren kommt Margarete Becker zu dem Mann in die Praxis, der die deutsche Minderheit repräsentiert. Sie streicht ihrer Katze beruhigend über das glänzende schwarze Fell.
"Wenn Hansen im Fernsehen ist, dann geht er in’ Flur ... (Gelächter)...’Das ist mein Tierarzt!’.../ Hansen: So wird man immer wieder verkannt!...Das erzählen mehrere meiner Klienten. Wenn ich denn auf dem Fernsehschirm erscheine: Einige laufen dann weg - ich weiß von einem Hund, der kam dann immer bei seinem Besitzer an und zitterte am ganzen Körper, wenn er mich hörte..."
Seit zehn Jahren vertritt Hans Heinrich Hansen die Anliegen der deutschen Minderheit im Grenzland. Weil er darum gebeten wurde. Reist, mit heimatlichen Gefühlen für die Region im Herzen, kreuz und quer durch Europa, von Konferenz zu Konferenz, von Vortrag zu Vortrag, von Verhandlung zu Verhandlung. Und behandelt Tiere in seiner Praxis. Ein Spagat, nicht leicht zu organisieren. Und nur zu bewältigen von einem, für den Minderheitenpolitik in Europa eine Herzensangelegenheit ist.
"Ich glaube, dass eine Integration immer ein sehr großes Risiko der Assimilation in sich birgt. Insofern wird es auch an der Mehrheitsbevölkerung liegen, dafür zu sorgen, dass eine Minderheit nicht total verschwindet. Und die Aufgabe dieser Minderheiten wird es sein, Türöffner oder Brücke zu sein zwischen zwei Kulturen oder zwischen zwei Nationen. Sie sind sozusagen die Transformatoren zwischen den Mehrheiten."