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"Ein historischer Moment"

"Ich drücke schon den Dortmundern die Daumen", sagt Grünen-Parteivorsitzende Claudia Roth. Die Bayern hätten es nicht nötig, da sie schon überlegen die Meisterschaft gewonnen hätten, so die bekennende Dortmund-Anhängerin.

Claudia Roth im Gespräch Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Aus London waren das London vorm CL-Finale (MP3-Audio) Informationen von Tobias Oelmaier, und mitgehört hat Claudia Roth, denn die Parteivorsitzende der Grünen ist schon lange ein begeisterter Fußballfan und auch im deutschen Fußballverband beim DFB aktiv – und sie drückt heute Borussia Dortmund die Daumen, haben wir zumindest gehört. Schönen guten Morgen, Frau Roth!

    Claudia Roth: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Frau Roth, wie passt das zusammen? Da nörgeln Sie jahrelang an der Berliner Regierung herum, und jetzt sind Sie doch für Schwarz-Gelb?

    Roth: Ja, aber das ist natürlich schon klar, da gibt es eine klare Aufteilung heute für Schwarz-Gelb, aber dann bei einer Art Rückspiel am 22. September wird Schwarz-Gelb natürlich verlieren müssen, das ist ganz klar.

    Zagatta: Und wieso sind Sie jetzt heute für Dortmund, warum sind Sie heute für Schwarz-Gelb?

    Roth: Ach, das hat durchaus was mit meiner eigenen Biografie zu tun, also ich …

    Zagatta: Aber Sie kommen doch aus Süddeutschland?

    Roth: Ich komme aus Süddeutschland, ich komme aus Bayern, also ich meine, eigentlich müsste ich laut ethnischer Zugehörigkeit für Bayern München sein, aber ich bin auf … mein erster Job, mein erster Beruf, den ich hatte am Theater, mein erstes Engagement, war in Dortmund, und ich habe dann dort im sogenannten Kreuzviertel gewohnt, ein Haus neben der damals ganz berühmten Borussen-Kneipe, dem Borusseneck, und ich bin sozusagen in diese Leidenschaft reingezogen worden in Dortmund, in die Leidenschaft einer ganzen Stadt, einer Region, mit dem Fußball. Ich kann mich erinnern, als Dortmund mal einen großen internationalen Pokal gewonnen hat, ist im Stadtrat drüber geredet worden und abgestimmt worden, ob man den Borsigplatz im Dortmunder Norden nicht auch schwarz-gelb streicht – also mich hat das total begeistert, die Leidenschaft und auch die Fähigkeit, wie Fußball Identität in einer Region schaffen kann. Und weil ich eine treue Seele bin, ist heute Abend mein Herz eher bei Dortmund als bei dem großen, starken FC Bayern München. Außerdem war ich natürlich immer schon eher für die Minderheiten als für die überlegenen Mehrheiten.

    Zagatta: Aber Sie stammen ja auch – gerade wenn Sie sagen, dass Sie so eine treue Seele sind –, Sie stammen ja wie Uli Hoeneß aus Ulm und sollen sogar mit ihm verwandt sein. Verraten Sie da jetzt nicht Ihre Wurzeln?

    Roth: Nein, ich verrate gar nicht meine Wurzeln. Wir sind über 25 Ecken, bin ich tatsächlich mit Uli Hoeneß verwandt, aber stellen Sie sich mal bitte vor, was das für eine Tragödie ist, Ulm-Fan zu sein. Das kann man eigentlich gar nicht mehr, weil Ulm so alles, was man nur verlieren kann, verloren hat. Ich bin aber in Augsburg – ich sitze jetzt auch gerade schon beim Frühstück in Augsburg –, bin also Augsburg-Fan, übrigens politisch superkorrekt, weil die Farben von Augsburg sind rot-grün, wir sind grade …

    Zagatta: Und Sie bekommen auch keine Gratis-Wurstlieferungen da über familiäre Bande zum Frühstück von Uli Hoeneß? Nein?

    Roth: Nein, nein, nein, so nahe sind wir uns wirklich nicht. Also, ich bin Rot-Grün-Fan in Augsburg, wir sind gerade nicht abgestiegen, also heute Abend kann gar nichts passieren, aber ich drücke schon den Dortmundern die Daumen, weil Bayern hat es wirklich eigentlich gar nicht nötig. Die haben jetzt überlegen die Meisterschaft gewonnen, und Dortmund hat halt auch einen Spielstil mit einem Trainer, der mit so viel Emotionen und so viel Leidenschaft Spieler motivieren kann. Und ich glaube, die Herzen schlagen heute eher für die Dortmunder, was vielleicht auch ungerecht ist, denn die Bayern haben natürlich einen sensationellen Fußball dieses Jahr gespielt.

    Zagatta: Und auch wenn Sie jetzt mit Uli Hoeneß über drei Ecken oder noch mehr Ecken verwandt sind, die Steueraffäre, die er da jetzt am Hals hat, wirft das einen Schatten auf dieses Finale, oder sollte es heute nur um Sport gehen?

    Roth: Heute geht es sicher um den Sport, es wäre sozusagen auch ungerecht der Mannschaft von Bayern München gegenüber, wenn man sagen würde, die müssen verlieren, weil der Präsident sich nicht an Recht und Gesetz hält, was auf keinen Fall korrekt ist. Auch ein Uli Hoeneß, auch ein erfolgreicher Präsident muss sich an Recht und Gesetz halten, und dazu gehört auch die Steuergerechtigkeit und die Steuerpflicht. Und auch wenn Bayern München heute – was ich nicht glaube – gewinnen sollte, ist das keine Reinwaschung für Uli Hoeneß.

    Zagatta: Ich frage das deshalb, Frau Roth, weil die grüne Bundestagsfraktion jetzt in einer ganz offiziellen Anfrage von Kanzlerin Merkel wissen wollte, oder von der Bundesregierung wissen wollte, was die Kanzlerin heute Abend macht, wenn sie im Wembley-Stadion auf den Bayern-Präsidenten und Steuerhinterzieher Uli Hoeneß trifft. Wie sollte Frau Merkel denn heute – sie wird ja im Stadion sein da auf der Ehrentribüne –, wie sollte die denn mit Uli Hoeneß umgehen?

    Roth: Ja, sie sollte ihn durchaus drauf ansprechen, was er gedenkt zu tun, und wie er sich sozusagen auch den Gerichten stellt. Ich meine, sie wird heute Abend was Besseres zu tun haben …

    Zagatta: Also doch Politik heute beim Sport … ja, ich denke auch.

    Roth: Sie wird was Besseres zu tun haben, also noch einmal, das wäre jetzt auch unfair gegenüber den Spielern und gegenüber dem historischen Moment, jetzt heute über Steuerpolitik zu reden. Aber eines muss einfach klar sein, auch ein Uli Hoeneß muss Steuern bezahlen und kann sich nicht vom Acker machen, wenn er ein erfolgreicher Fußballpräsident ist.

    Zagatta: Jetzt gibt es ja alle möglichen Umfragen zu dem Spiel, auch eine, der zufolge fast zwei Drittel der Grünen-Anhänger heute Abend, wie Sie, Frau Roth, für Dortmund sind. Ist das aus grüner Sicht, ist das auch irgendwie politisch korrekter, oder wie erklären Sie sich das, dass so viele Grüne da jetzt für Dortmund sind?

    Roth: Na ja, also wir haben natürlich sehr, sehr viele Fans im Ruhrgebiet. Ich war gestern in Düsseldorf, und ich habe mich mal erkundigt, wie es denn aussieht, was die vielen, vielen Schalke-Fans machen, ob die denn jetzt zu Bayern überlaufen, oder ob die sagen, jetzt muss der Pott zusammenhalten. Da gibt es wohl eine deutliche Mehrheit, die mit Biegen und Brechen dann für die Dortmunder sind, aber ich meine, Bayern München – das grüne Herz schlägt einfach eher für die Schwächeren, was auch Quatsch ist, weil Dortmund ja nicht schwach ist. Aber heute, in dieser Begegnung sagt wahrscheinlich der normale grüne Fußballfan, komm, jetzt halten wir mal denen die Daumen, die die Außenseiter-Chancen haben, die heute einen Riesenerfolg hätten, wenn sie gegen denjenigen gewinnen, der ja in allen Umfragen vorne liegt, wenn es drum geht, wer wohl gewinnen wird. Also das ist, glaube ich, politisch ist das sehr korrekt. Ich kann mich ja an lange Zeiten erinnern, wo wir am Montagmorgen immer die Bundesliga vom Wochenende analysiert haben in der großen Bundesvorstandssitzung, und da war Fritz Kuhn der Einzige, der sich offen geoutet hat als Bayern-München-Fan. Jetzt ist er natürlich in Stuttgart Oberbürgermeister, jetzt schlägt sein Herz natürlich für die Stuttgarter.

    Zagatta: Darf er auch nicht mehr so laut sagen, ja, wollte ich sagen.

    Roth: Ja, aber er hat ja nie so getan, als sei er nie Bayern-Fan gewesen.

    Zagatta: Wo schauen Sie sich das Spiel heute Abend an?

    Roth: Ja, ich habe mir lange überlegt, wo ich es mir angucke. Ich bin gerade zu Hause in Bayern, habe mir überlegt, gehe ich nach München, guck ich es mir da Public Viewing an, da ist nicht klar, ob ich meine Skiklamotten noch so schnell kriege, weil es sieht wirklich sehr, sehr kalt aus bei uns. Jetzt habe ich gesagt, jetzt gehe ich ganz nach Hause, gehe zu meiner Schwester, zu meinem Schwager, da ist die Nachbarschaft dabei, und da werde ich – ich gehe davon aus – ziemlich allein sein mit meinem Schwarz-Gelb.

    Zagatta: Was passiert, wenn Bayern München dann gewinnt, dann ärgern Sie sich heute Abend oder feiern mit den anderen?

    Roth: Ach was, ich ärgere mich gar nicht. Ich ärgere mich, wenn sie nicht gut spielen, ich freue mich, wenn sie zeigen, dass der deutsche Fußball wirklich richtig klasse ist, denn es ist schon auch natürlich ein historischer Moment. Ich erinnere mich, ich war ein sehr kleines Mädchen, 1966, da war ich gerade mal elf Jahre alt, und da habe ich bei meinen Großeltern, bei Opa und Oma, dieses legendäre Wembley-Spiel gesehen und bin tief entsetzt gewesen über diese grausame Ungerechtigkeit. Und ein bisschen ist das heute schon so eine Art Wiedergutmachung, es kommen zwei tolle Mannschaften in dieses historische Stadion, an diesen historischen Ort und zeigen, wie guter, kluger, engagierter, kreativer Fußball aussieht, leidenschaftlicher Fußball aussieht, und es ist auch ein bisschen sozusagen ein Zeichen nach Spanien, denn wenn man sich die Nationalmannschaft anguckt, war ja Spanien doch immer drückend überlegen. Und dass jetzt heute nicht eine der beiden großen spanischen Mannschaften beim Spiel ist, ist auch ein Stück weit: So, jetzt zeigen wir es euch mal.

    Zagatta: Also, Deutschland gewinnt auf alle Fälle, und wenn Bayern München gewinnt, dann gratulieren Sie auch Ihrem Verwandten Uli Hoeneß.

    Roth: Dann feiere ich erst mal mit meinen direkten Verwandten, dann gibt’s a gscheites Weizenbier und a gute Brotzeit, und dann freuen wir uns, dass es ein schöner Fußballabend war.

    Zagatta: Frau Roth, ganz herzlichen Dank für das Gespräch, viel Spaß heute Abend! Das war die Grünen-Vorsitzende und Dortmund-Anhängerin Claudia Roth.


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